Die Rückkehr der deutschen Frage

Zur Lage der EU - Teil 5

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

2015 war ein rabenschwarzes Jahr für die Europäische Union. Eurokrise, Flüchtlingskrise und Terrorismus haben an den Fundamenten der EU gerüttelt. Nur mit Mühe konnten die EU-Eliten ein Auseinanderbrechen ihres Clubs verhindern. Die meisten Probleme wurden vertagt oder mit Scheinlösungen übertüncht, wie diese Serie gezeigt hat.

Wie geht es im neuen Jahr weiter? Werden die Chefs erneut die Flucht nach vorn versuchen und mögliche Lösungen auf 2017 verschieben, also auf die Zeit nach den Wahlen in Deutschland und Frankreich? Oder ist Europa bereits in einem "Niedergang" begriffen, der sich kaum noch aufhalten lässt, wie die "Financial Times" unkt ("The decline of Europe is a global concern")?

Aus Brüsseler Sicht ist diese Sorge maßlos übertrieben. Zwar warnen fast alle EU-Chefs in schrillen Tönen vor einem "Scheitern" der Union. Doch die Rhetorik des Scheiterns verfolgt vor allem das Ziel, alle 28 Mitgliedstaaten und ihre nationalen Politiker bei der Stange zu halten (siehe Teil 1: dieser Serie: Die Rhetorik des Scheiterns).

Nachdem 2015 der Regelbruch zur Regel geworden war, sollen 2016 wieder alle brav den Vorgaben aus Brüssel folgen. Dann, so das Versprechen, werde auch alles gut.

Gleich zu Beginn des Jahres wollen die EU-Chefs zwei große Brocken abräumen: Den Streit um den Schuldenschnitt mit Griechenland und um den "Brexit" (EU-Austritt) mit Großbritannien. Athen und London sollen, so der Plan, mit kleinen Zugeständnissen ruhig gestellt werden. Bis Juni soll dann auch der gordische Knoten in der Flüchtlingskrise durchschlagen werden. Wie das gelingen soll, bleibt offen.

Denn die EU hat 2015 so viel Autorität eingebüßt, dass sie eine Umsetzung ihrer eigenen Beschlüsse kaum noch durchsetzen kann. Vor allem die EU-Kommission wirkt wie ein Papiertiger. In allen großen Streitfragen des letzten Jahres - Griechenland, Ungarn, Polen - hat sie den Kürzeren gezogen. Kommissionschef Jean-Claude Juncker und sein Team der "letzten Chance" dürften 2016 weiter an Bedeutung verlieren; ihren Zickzackkurs in der Flüchtlingspolitik können sie allein nicht zum Erfolg führen.

Eine Alternative wäre, Druck auf die "Unwilligen" in Osteuropa auszuüben. In der "Koalition der Willigen" um Kanzlerin Angela Merkel denkt man schon laut darüber nach. Wer nicht mitziehe, müsse mit Entzug von EU-Hilfen rechnen, droht Österreichs Kanzler Werner Faymann. Schließlich könnten die Nettozahler Osteuropa nicht ewig subventionieren, wenn diese Solidarität verweigern.

Allerdings könnte sich die finanzielle Knute schnell als Bumerang erweisen. Wer Polen oder Ungarn die EU-Hilfen streicht, muss mit Trotz-Reaktionen rechnen. Außerdem passt die Sanktionsdrohung schlecht zu dem Plan, dem britischen Premier David Cameron im Brexit-Streit mit Zugeständnissen zu helfen. Schließlich verweigert auch Großbritannien Solidarität. Und zwar nicht nur in der Flüchtlingskrise, sondern auch beim Euro.