Falsche Lehren aus den Doping-Skandalen

Mit dem gerade in Kraft getretenen Gesetz wird Doping auch strafrechtlich strafbar

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Am 1. Januar 2016 trat das Anti-Doping-Gesetz in Kraft. Damit ist Doping auch im strafrechtlichen Sinne strafbar und wird im schlimmsten Fall mit bis zu fünf Jahren Haft versehen. Damit reagiert die Bundesregierung auf viele so genannte Doping-Skandale der letzten Jahre, auch weil der Sport selbst nicht in der Lage zu sein scheint, diesem Problem Herr zu werden.

Es ist allerdings stark zu bezweifeln, ob ein solches Gesetz tatsächlich die richtige Antwort auf ein endemisches Problem ist. Dass Doping im Sport ein eher strukturelles Phänomen ist, jenseits von Einzelfällen, hat in den letzten Jahren vor allem der ARD-Journalist Hajo Seppelt mit seinen TV-Dokumentationen über das russische Dopingsystem sowie die Verstrickungen des internationalen Leichtathletikverbandes in die Verschleierungen von positiven Dopingfällen gezeigt.

Doping, und das wird in den Filmen sehr deutlich, ist eng verbunden mit der im Sport ebenfalls verbreiteten und hoch problematischen Korruption. Systeme, wie die von Seppelt mit Hilfe der Whistleblower Julija und Witali Stepanova aufgedeckten, funktionieren nur mit Korruption und den geplanten Betrug im Kampf um Gold, aber vor allem handfestes Geld. Der konsequente Ausschluss des russischen Leichtathletikverbandes von internationalen Wettkämpfen war angesichts der jahrelangen Untätigkeiten des Weltverbandes überraschend. Allerdings müssten nun andere folgen, denn es ist unwahrscheinlich, dass es sich bei den Russen um den einzigen Fall handeln sollte.

Das Anti-Doping-Gesetz reagiert auf diese Fälle und andere, speziell deutsche Vorkommnisse aus den Jahren zuvor. Und auch wenn inzwischen klar geworden ist, dass es Systeme von generalstabsmäßigem Betrug hinsichtlich Doping gab und gibt, so geht dieses Gesetz im Kern in entscheidenden Aspekten an der Realität vorbei.

Zum einen betrifft das die Realität der AthletInnen im Alltag, der hauptsächlich aus Leistungssteigerung besteht. Zum anderen reagiert das Gesetz nicht auf die vielfach angebrachte Kritik am Dopingkontrollsystem selbst, welches zum einen in Teilen einen massiven Eingriff in die Privatsphäre der SportlerInnen darstellt, zum anderen einfach nicht effektiv genug genutzt wird. Und letztlich steht es im Widerspruch zu anderen Zielen der Regierung, nämlich mehr Medaillen bei internationalen Wettbewerben zu knüpfen. Unter anderem sind an diese Medaillen die Zuwendungen des Bundes an die Verbände geknüpft, was auch ein guter Grund wäre, Dopingverstöße zu verschleiern oder gar dem Doping Vorschub zu leisten, wenn es darauf ankäme.

In einer Untersuchung, bei der wir deutsche KaderathletInnen zu Doping, Alltag und Dopingkontrollen befragt haben, wurde vor allem deutlich, dass die Abgrenzung von Doping zu anderen Formen der Leistungssteigerung sehr dünn und vor allem semantischer Art ist. Natürlich oder künstlich ist zwar die oft genannte Grenze, die angesichts moderner medizinischer Unterstützung und Hightech-Equipment sich schnell selbst ad absurdum führt. Natürlich ist, was nicht auf der Verbotsliste der WADA steht, die permanente Leistungssteigerung der Lebensinhalt. Der Druck auf die AthletInnen ist enorm und der Griff zu einem "unerlaubten" Mittel der Leistungssteigerung oft nur einen kleinen Schritt weg.

Unter den oft prekären Umständen, bei gleichzeitig häufig als unfair empfundenen Kontrollen, dennoch sauber zu bleiben ist eine enorme Leistung. Eine Leistung, die nicht belohnt wird, wenn es nicht zu einem Sieg reicht. Und dabei geht dieser Druck auch von den Kontrollmaßnahmen selbst aus.

Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein, die sich seit Jahren mit Verbänden und der NADA um Kontrollen uns Sperren streitet, bezeichnet die Kontollen als inhuman. Sie kritisiert, dass SportlerInnen nur noch in Risikogruppen eingeteilt und nicht länger als SpitzenathletInnen gesehen werden.

Unsere Interviews zeigen, dass die Kontrollen durchaus als Druck empfunden werden, in zweifacher Hinsicht: Der Umstand positiv getestet zu werden ist ebenso groß, wie ein möglicher Miss-Test, weil man nicht am angegebenen Ort war, aus was für Gründen auch immer. Die ständige Verfügbarkeit macht vielen AthletInnen zu schaffen und ist schwierig zu rechtfertigen. Auch weil deutsche AthletInnen wissen, dass ähnliche Bedingungen im internationalen Vergleich so nicht überall vorhanden sind. Sie fühlen sich hier doppelt benachteiligt und unfair behandelt. Doch Fairness ist genau jener Aspekt, der im Zentrum der Kontrollen steht: das Ideal eines fairen Wettbewerbes, der nun durch ein Gesetz mit dem Strafrecht eingefordert werden soll.

Das Gesetz reagiert mit einer starken moralischen Keule auf die begangenen Regelverstöße ohne dabei die weitergehenden Begleiterscheinungen des Doping selbst zu berücksichtigen. Doping wird hier als scheinbar unverbrüchliche Norm begriffen und basiert selbst doch nur auf einem wandelbaren Regularium, welches über die recht zweifelhafte Unterscheidung von "natürlich" und "künstlich" vermittelt werden soll.

Die Hilflosigkeit der Unterscheidung wird deutlich, wenn man sich den Gebrauch von Schmerzmitteln unter Sportlerinnen vergegenwärtigt. Die Kriminalisierung von SportlerInnen ist damit nicht zu rechtfertigen - das ist aber, was mit dem Gesetz vor allem gemacht wird. Die AthletInnen werden noch mehr zu einem Risiko gestempelt, als das bisher ohnehin der Fall ist. Die Bekämpfung des Doping im Sport ist damit nicht wahrscheinlich, schon gar nicht um die korrupten Netzwerke dahinter dran zu kriegen. Und schließlich ändert das Gesetz auch nichts an den Bedingungen, unter denen Sport in einem weltweiten, Kapital-orientierten Veranstaltungszirkus betrieben wird, der nicht unerheblich für die prekäre Situation vieler AthletInnen verantwortlich ist.

Das Anti-Doping-Gesetz ist weder ein Gesetz für den Sport, noch für die AthletInnen. Ob die Kritik des DOSB an dem Gesetz allerdings der reinen Fürsorge um die SportlerInnen entspringt, ist durchaus wert zu diskutieren, denn auch sie profitieren von den Erfolgen und haben daher ein genuines Interesse am Erfolg und nicht an verurteilten SportlerInnen durch ein ihrer eigenen Gerichtsbarkeit externen Instrumentes.

Nils Zurawski & Marcel Scharf: Das Anti-Doping-Gesetz: Doping, Sport und Überwachung aus AthletInnen-Sicht, in: Neue Kriminalpolitik 4/2015