Weiter ungeklärte Terrorwarnung und fragwürdige Rolle der Geheimdienste

Ausgerechnet nach der bislang leeren Terrorwarnung in München fordern Politiker eine verstärkte Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten

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Bei der Terrorwarnung von München stellt sich weiterhin die Frage, ob die Bedrohung tatsächlich so konkret und glaubwürdig war, dass man sie weiterhin ernst nehmen muss oder ob man die Entstehung der Terrorwarnung stärker hinterfragen müsste, zumal Politiker gleich wieder versuchen, daraus Konsequenzen abzuleiten.

Zudem hatte ein Trittbrettfahrer eine Terrorwarnung am Samstag abgesetzt, ließ sich aber nicht finden, nachdem er in einen Regionalexpress eingestiegen war, der gestoppt und untersucht wurde. Es sollen noch weitere falsche Terrorwarnungen eingegangen sein. Ein verdächtiger öffentlicher Telefonapparat führte zu einem Großalarm, zur Teilschließung des Pasinger Bahnhofs und zur Evakuierung benachbarter Häuser. Auch das war ein Fehlalarm, allerdings wurde in dem öffentlichen Telefonapparat eine Überwachungskamera gefunden, deren Zweck im Dunklen bleibt.

Auf die gestern via Twitter gestellte Frage, ob man die Innenstand meiden sollte, erklärte die Polizei, wie üblich die Bevölkerung duzend: "Nein. Bitte führt Euer Leben weiter wie bisher. Uns liegen derzeit keine konkreten Hinweise auf eine Gefährdung vor!" Damit scheint man Warnungen, die einen Anschlag erst um den 6. Januar ankündigten, nicht (mehr) als glaubwürdig zu betrachten. Angeblich habe es mehr als 100 Hinweise aus der Bevölkerung gegeben, die aber ebenfalls zu nichts führten.

Verworrene Vorgeschichte

Dabei wird die Vorgeschichte immer seltsamer. Zunächst hatten NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" berichtet, die Terrorwarnung sei bereits kurz vor Weihnachten bekannt geworden. Woher die Nachricht stammte, blieb dabei erst einmal im Dunkeln, der Terrorismus-Experte Elmar Theveßen vom ZDF wollte am 1. Januar von mehreren Warnungen durch den französischen Geheimdienst im Dezember gehört haben. Es seien die zwei Bahnhöfe genannt worden, aber nicht die Namen der angeblichen Attentäter und auch kein Zeitpunkt. Bundeskriminalamt, Staatsanwaltschaft München und das bayerische Innenministerium waren eingeschaltet, eine Sonderkommission sei geschaffen worden. Die Rede war von einem Hotel, es gab Durchsuchungsbeschlüsse, die angeblich nicht durchgeführt wurden.

Dann kommt der BND ins Spiel. Der soll einen Iraker befragt haben, der einen Hinweis gegeben hatte. Offenbar gab es auch Hinweise von einem amerikanischen Geheimdienst und vom französischen Geheimdienst, der dann am 31. Januar um 19:40 Uhr eine konkrete Warnung gegeben hatte, dass Anschläge von 5-7 mit dem IS verbundenen Irakern und Syrern, von denen einige Namen genannt wurden, auf den Hauptbahnhof und den Bahnhof in Pasing geplant seien. Obgleich keine Hinweise auf mögliche Attentäter in München zu finden waren und auch nicht klar war, ob es die genannte Gruppe überhaupt gibt, warnte die Polizei um 22:40 über Twitter die Bevölkerung, die vertraulich geduzt wurde, und schloss in einer Blitzaktion die beiden Bahnhöfe, S- und U-Bahnen fuhren allerdings weiter, hielten nur nicht an den Bahnhöfen.

Gestern berichteten Oliver Bendixen vom Bayerischen Rundfunk und Holger Schmidt vom SWR, dass die Terrorwarnung am 23. Dezember begonnen habe, als ein Iraker gegen Mittag ein Polizeirevier "im Badischen" aufgesucht habe, um dort vor einem Terroranschlag zu warnen, von dessen Planung er von seinem im Irak lebenden Bruder erhalten habe. Der Staatsschutz beim Landeskriminalamt in Stuttgart rief daraufhin den Bruder an, der die Terrorwarnung bestätigt haben soll. Die Rede war angeblich von sieben Männern, die sich bereits in München aufhalten sollen, Namen wurden genannt, aber keine konkreten Anschlagsziele. Vor allem soll der Iraker gesagt haben, die Anschläge seien um den 6. Januar geplant, nicht an Silvester.

Die Namen ergaben aber nichts, die beiden Reporter nennen sie "Allerweltsnamen". Bendixen ist sich offenbar auch nicht sicher, ob die Informanten vertrauenswürdig sind. In einem BR-Kommentar wollte er nicht ausschließen, dass die Terrorwarnung auch vom IS lanciert gewesen sein könnte, um zu sehen, wie die Polizei darauf reagiert. Es hätte allerdings auch alleine darum gehen können, für Angst zu sorgen, was dem zuletzt in Bedrängnis gekommenen IS in die Hände spielen könnte.

Die baden-württembergische Polizei übergab die Angelegenheit den bayerischen Kollegen, die mit dem BKA und dem Verfassungsschutz und mit der Hilfe von Euro- und Interpol die genannten Namen überprüften und wieder nichts fanden. Jetzt scheint der BND ins Spiel gekommen zu sein, der den Mann im Irak erneut befragt haben soll - ob vor Ort oder telefonisch bleibt unklar. Ein Apartmenthotel wurde überprüft, ohne Anhaltspunkte zu finden. Die vermeintlichen Attentäter blieben ein Phantom des Informanten und der Geheimdienste. Nicht einmal klar ist, ob der Informant aus dem Irak auch die Quelle für die Warnungen des französischen oder gar auch des amerikanischen Geheimdienstes war. Am Freitag musste der Münchner Polizeipräsident Hubert Andrä bereits eingestehen: "Wir wissen nicht, ob die Namen stimmen, ob es die Personen wirklich gibt, und wo sich die Personen aufhalten." Ein Sprecher des Münchner Polizeipräsidiums meinte, dass die Überprüfung noch Wochen oder Monate fortgeführt werden könnte.

"Ganz wichtig ist eine enge Kooperation mit den Nachrichtendiensten anderer Länder"

Daher ist es umso erstaunlicher, wenn der bayerische Innenminister Herrmann und der Bundesinnenminister de Maizière, die einen besseren Informationsstand als die Journalisten haben sollten, eine noch engere Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten forderten. So sagte de Maizière der Bild-Zeitung nicht nur, dass die Lage weiter "ernst" bleibe, obgleich es noch keine Hinweise auf eine wirkliche Begründung für die Terrorwarnung gibt, zudem werde es "noch intensiver als bisher darauf ankommen, dass wir mit den Sicherheitsbehörden anderer Staaten eng zusammenarbeiten und Informationen austauschen".

Das ausgerechnet in einem Kontext, in dem noch keineswegs klar ist, ob die ausländischen Geheimdienste glaubwürdige Informationen gegeben oder voreilig gewarnt haben, um nicht davon zu sprechen, dass man in Frankreich und in den USA vielleicht auch ein Interesse haben könnte, wenn in Deutschland, das einen Sonderweg in der Flüchtlingsfrage eingeschlagen hatte, die Angst steigt und man stärker in Antiterrormaßnahmen polizeilich und militärisch einsteigt. Wenn de Maizière die bislang nicht bestätigten Warnungen als Aufforderung für eine intensivere Zusammenarbeit vor allem wohl mit den amerikanischen Geheimdiensten verstehen will, dann will er vor allem wieder einmal die Skepsis in der Bevölkerung gegenüber den Lauscheskapaden von NSA und CIA einschläfern.

Noch verwegener versuchte Unionsfraktionschef Volker Kauder die Terrorwarnung zu instrumentalisieren. Er forderte eine bessere Ausstattung der Nachrichtendienste, "die die Informationen über Anschlagsplanungen zusammentragen und bewerten". Daraus könnte man vielleicht herauslesen, dass es mit dem Zusammentragen und vor allem dem Bewerten - etwa des Informanten im Irak - nicht so weit her ist, weswegen mehr Geld benötigt wird, aber vermutlich geht es Kauder nur darum, die deutschen Geheimdienste weiter zu stärken. "Ganz wichtig ist eine enge Kooperation mit den Nachrichtendiensten anderer Länder", sagte er der Bild. Die kuriose Begründung ist, dass die Vorgänge in München wieder einmal gezeigt hätten, "wie falsch hier viele in den anderen Parteien liegen, die diese Zusammenarbeit immer wieder infrage stellen". Tatsächlich könnte man gerade daraus zumindest eine höhere Skepsis ableiten, nicht ein höheres Vertrauen.

Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, ist inzwischen auf den Zug aufgesprungen und fordert nach der Terrorwarnung die Einrichtung eines gemeinsamen europäischen Terrorabwehrzentrums. Das will er kritisch gegenüber de Maizière sehen, der nur allgemein eine stärkere Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten forderte (und damit wahrscheinlich vor allem die US-Geheimdienste im Auge haben dürfte). Eine mangelnde Zusammenarbeit der Polizeibehörden und Geheimdienste auf europäischer Ebene sei das "bislang größte Versäumnis im Anti-Terrorkampf". Auch hier könnte man sich fragen, ob Lischka der Meinung ist, dass mit einem solchen Terrorabwehrzentrum möglicherweise besser zu erkennen gewesen wäre, ob es sich um eine glaubwürdige Terrorwarnung handelte oder nicht. Man wird aber auch bei dem Sicherheitspolitiker der SPD davon ausgehen können, dass der Vorfall, der bislang keiner war, nur zur Ausweitung der Sicherheitsmaßnahmen dienen soll.

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