"Politik ist ein schmutziges Geschäft"

Leopard 2A7+ auf der Waffenmesse Eurosatory. Bild: AMB Brescia. Lizenz: CC-BY-2.0

Wer übernimmt nun Verantwortung für die Aufrüstung der saudi-arabischen Öl-Theokratie?

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Unter dem neoliberalistischen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Vizekanzler Joschka Fischer (Die Grünen) hatte eine sogenannte rotgrüne Regierung 1999 gleich im ersten Jahr ihrer Amtszeit die deutschen Rüstungsexporte mehr als verdoppelt.

Mehr Menschrechtsschutz und gleichzeitig höhere Kriegsprofite?

Geliefert wurde ohne Rücksicht auf Menschenrechtsverletzungen durch die Käufer z.B. an den NATO-Partner Türkei und die Vereinigten Emirate. Die saudi-arabische Öl-Theokratie erhielt u.a. "erhebliche Mengen Kleinwaffen" (das heißt: Produkte aus dem mörderischsten Sektor des Kriegsexportsortiments), wie der westfälische Politiker Winfried Nachtwei später selbstkritisch zu bedenken gab.

Die militärpolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, kam damals in heftige Erklärungsnöte und musste sie die drastisch gestiegenen Kriegsgüterexporte unter Mitwirkung ihrer ehedem pazifistisch ambitionierten Partei am Ende doch zugeben:

Unter dem Strich stimmt das. Aber es geht nicht nur um Quantität, sondern auch um Qualität. Das heißt: Die Kriterien für die Exportbewilligung haben sich geändert.

Mit Angelika Beers geheimnisvollem Votum sollte wohl irgendwie ausgedrückt werden, man habe die Kriterien qualitativ in Richtung von mehr Menschenrechtsschutz verbessert und auf wundersame Weise im gleichen Atemzug die Quantität der deutschen Rüstungsprofite steigern können.

Angelika Beer wechselte später übrigens zu den Piraten, jener Partei, die es 2012 angemessen fand, ihren unbefangenen Standort bezüglich der Frage einer remilitarisierten Politik in Deutschland durch die Wahl eines Regierungsdirektors aus dem Bundesmilitärministerium zum Parteivorsitzenden unter Beweis zu stellen.

Politik hat nichts mit "Wünsch dir was" zu tun, aber womit dann?

Das saudi-arabische Regime ist laut Focus ein "Reich der Finsternis" und zugleich "der wichtigste Verbündete des Westens in der arabischen Welt". Unter Schwarz-Gelb machte sich die deutsche Regierung nicht einmal mehr die Mühe, die Preisgabe moralischer und vom Grundgesetz zwingend gebotener Gesichtspunkte bei den Kriegsgüterexporten an das fundamentalistische Königshaus in Riad in Abrede zu stellen.

Es lohnt sich in diesem Zusammenhang, noch einmal Zeugnisse aus der wahrlich historischen Bundestagsdebatte vom 8. Juli 2011 zu sichten. Der sozialistische Politiker Dr. Gregor Gysi führte in seiner Rede zum ersten Mal in seiner Parlamentslaufbahn zustimmend einen Artikel der BILD-Zeitung an, um die offenbar über Parteispenden der deutschen Kriegsindustrie vorbereitete Hochrüstung Saudi-Arabiens mit deutschen Panzern als Ausverkauf jeglichen Anspruchs auf moralische Glaubwürdigkeit anzuprangern.

Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter demonstrierte hingegen in seinem Debattenbeitrag, welche Abgründe mit der NATO-Propagandaparole "Werte und Interessen" zunächst verschleiert werden und dann immer deutlicher zur Sprache kommen sollen:

Wir haben die werteorientierte und interessengeleitete Außenpolitik. Es ist Aufgabe der Regierung, diesen Spannungsbogen zwischen Werten und Interessen auszuhalten. Wir gehen normalerweise davon aus, dass Werte und Interessen ein und dasselbe sind. Aber Politik hat nichts mit "Wünsch dir was" zu tun. [Zwischenruf des grünen Abgeordneten Jürgen Trittin: Politik ist ein schmutziges Geschäft.] Politik ist ein hartes Geschäft […]. Ich weiß auch, dass in dem Spannungsbogen der Verantwortung die Bundesregierung mit aller Kraft auf Saudi-Arabien einwirken wird. […] Unser Land ist das einzige Land in Europa, das seine Rüstungsexporte in klarer Weise offenlegt. […] Entscheidend ist auch, dass unsere Regierung den Spannungsbogen zwischen Werten und Interessen erkennt und aushält. […] Wir stehen in der Region, die unsere Unterstützung braucht [Zuruf von der LINKEN: Aber doch nicht mit Panzern!], vor einem Paradigmenwechsel. Diese Unterstützung ist sowohl hinsichtlich der zivilen Krisenprävention als auch hinsichtlich der Nachbarschaftspolitik und der Lieferung von Rüstungsgütern ganz entscheidend.

Roderich Kiesewetter nannte 2011 die Kritik an den deutschen Panzerlieferungen populistisch und machte im Rahmen seines "nachbarschaftspolitischen", außernormalen Paradigmas allen Ernstes geltend, die Aufrüstung des fundamentalistischen Regimes in Riad trage dazu bei, "die Sicherheit Israels gewährleisten".

Sehr kompetent zeigte sich im gleichen Monat auch Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel in seiner Kommentierung der von einem nicht öffentlich tagenden Regierungsgremium abgesegneten Leopard-Exporte an die Herrschenden in Saudi-Arabien:

Die Stabilisierung einer Region trägt durchaus dazu bei, die Menschenrechte zu wahren - vielleicht nicht in dem Land, in dem man tätig ist, aber in den Nachbarländern.

So gesehen sind natürlich auch profitable deutsche Waffenlieferungen in Kriegsgebiete und namentlich an eine der - laut BILD-Zeitung - schlimmsten Diktaturen auf dem Globus unbedingt verfassungskonform, denn sie dienen eben auf magische Weise irgendwie der Stabilisierung einer Region und somit dem "Frieden in der Welt" (Grundgesetz, Präambel).

Wer übernimmt Verantwortung?

Nun hat freilich mit Sperrfrist vom 2. Dezember 2015 der Bundesnachrichtendienst zwischenzeitlich dem Regime in Saudi-Arabien bescheinigt , eine "impulsive Interventionspolitik" (sprich: gefährliche, aggressive Kriegspolitik) zu verfolgen.

Kritisiert wird hier ein Bündnispartner von "westlichen" Regierungen, der sich anschickt, die insbesondere durch "westliche" Hegemonialpolitik schon weit vorangetriebene Destabilisierung einer ganzen Weltregion ins Unberechenbare (Nach den saudischen Hinrichtungen: Der Nahe Osten im Eskalationsmodus) hineinzulenken.

Eine solche Diagnose passt freilich nicht gut zum Mantra über einen stabilisierenden Verbündeten Saudi-Arabien, das versierte Weltpolitiker wie Angela Merkel und Roderich Kiesewetter von der CDU uns seit Jahren vorbeten. Sie passt auch nicht zur Realität der deutschen Rüstungsgeschäfte mit Riad unter Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD).

Bezogen auf die deutsche Rüstungsprofitpolitik gibt es in unserem Land schon lange keinen bürgerlichen Konsens mehr. Als Katholik nehme ich mit Erleichterung zur Kenntnis, dass z.B. auch mein Ortsbischof, der Kölner Kardinal Rainer Woelki, seit seinem Amtsantritt immer wieder das Wort ergreift, um den Skandal der deutschen Mordwaffenlieferungen in alle Welt beim Namen zu nennen.

Ihre Predigten im Dienste des militärischen Heilsaberglaubens stellen viele Parteipolitiker hingegen als vernünftige "geopolitische Expertisen" hin. Um die deutschen Rüstungsprofite am Laufen zu halten, wird eine schmutzige und aus meiner Sicht mutwillig verfassungsfeindliche Exportpolitik im Massenmordgeschäft betrieben.

Nie jedoch übernehmen Politiker Verantwortung für ihre "strategischen" Phantasien , ihre Stimmabgabe zur Durchführung von Militärabenteuern und die Absegnungen von Kriegsexporten. Wenn der vorherrschende Diskurs in unserer Demokratie ihnen das weiterhin durchgehen lässt, werden diese Politiker ihr Hase-und-Igel-Spiel mit rationalen Kritikern der Militär- und Kriegsideologie ("Sie können es nicht!") bis in alle Ewigkeit fortsetzen können.

Als Bewohner eines demokratischen Landes verlange ich, dass angesichts der jüngsten Entwicklung in Saudi-Arabien alle einschlägigen Bündnispolitiker Fehler und moralische Irrungen eingestehen und endlich Verantwortung übernehmen für ihre Handlungen.

All jenen, die über ihre berufliche Tätigkeit im Medienbereich Mitverantwortung tragen für eine kritische Debatte im Land, möchte ich empfehlen, im neuen Jahr 2016 das Etikett "Verteidigungspolitik" (Verteidigungsministerium etc. etc.) endlich nicht mehr dort zu verwenden, wo es seit langem schon um nichts anderes geht als um deutsche Kriegspolitik.