Das unterschätzte Nervengift

Kohlekraftwerk in Datteln. Bild: Arnold Paul/CC-BY-SA-3.0

Die Energie- und Klimawochenschau: Über zu hohe Quecksilber-Grenzwerte, tatenlose Landesregierungen und schüchtern-positive Signale aus China und Indien

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Deutschlands Kohlekraftwerke emittieren nicht nur jede Menge Treibhausgase - über 40 Prozent der hiesigen Emissionen -, sie pusten auch allerlei andere üble Schadstoffe wie Feinstaub, Arsen, Stickoxide, Schwermetalle und Schwefeldioxid in die Luft.

Und Quecksilber. Eine im Auftrag der Grünen Bundestagsfraktion verfasste Übersichtsstudie zitiert Angaben der Europäischen Umweltagentur und des Umweltbundesamtes. Demnach werden in Deutschland jährlich rund zehn Tonnen Quecksilber an die Luft abgegeben und davon sieben Tonnen durch den Energiesektor. Allein aus 16 Braunkohlekraftwerken sei 2013 3,44 Tonnen des giftigen Metalls emittiert worden.

Quecksilber ist ein Schadstoff, der je nach Konzentration bei Kindern die geistige Entwicklung hemmt, zu Seh-, Hör- und Sprachstörungen führt und Gedächtnisverlust zur Folge haben kann. Schlimmsten falls kommt es zu geistigen Behinderungen. Bei Erwachsenen kann eine Quecksilbervergiftung unter anderem zum Zittern der Hände, motorischen Störungen, Sprachstörungen, vermehrter Aggressivität und Schwerhörigkeit führen.

Zu hohe Grenzwerte für Quecksilber

Umso beunruhigender ist es, dass die in der Umwelt gemessenen Konzentrationen weltweit und auch hierzulande weiter steigen und dass das Gift sich in der Nahrungskette anreichert. Besonders Fische nehmen es auf, sodass in einigen Ländern mit hohem Fischverzehr die tägliche Quecksilberaufnahme vieler Bürger über dem liegt, was Fachleute für unbedenklich halten. Die Studie zitiert eine Untersuchung aus dem Jahre 2013, wonach bereits eins Drittel der Neugeborenen in 25 europäischen Ländern "eine Methylquecksilberkonzentration im Haar über dem tolerierbaren Höchstwert (0,58 Mikrogramm pro Gramm)" zeigt.

Erstaunlich ist daher, dass die gesetzlichen Grenzwerte für Quecksilber Emissionen nicht nur weit hinter dem technisch Machbaren zurückbleiben, sondern auch keine Begrenzung der absoluten Menge vorsehen. Limitiert ist lediglich die Konzentration in den Abgasen. Zur Zeit beträgt dieser Höchstwert nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz 30 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m³), der im Tagesmittel nicht überschritten werden darf. Ab 2019 gilt EU-weit ein strengerer Wert von zehn Mikrogramm pro Kubikmeter, der sich allerdings auf den Jahresmittelwert bezieht.

Auch dieser Wert bleibt hinter dem Möglichen weit zurück. Die Grünen-Studie zitiert Dokumente der EU, wonach mit der entsprechenden Filtertechnik die Emissionen auf minimal ein Mikrogramm Quecksilber pro Kubikmeter reduziert werden könnte. Damit könnten die Emissionen aus den deutschen Kraftwerken um 85 Prozent vermindert werden.

Ein Kommentar auf der Internetseite der Grünen Bundestagsfraktion verweist außerdem darauf, dass die hiesigen gesetzlichen Grenzwerte weit über den US-amerikanischen liegen. Selbst wenn 2019 niedrigere Limits verbindlich würden, seine diese noch "2,5- bis 6,7-fach" höher als in den USA.

Allerdings werden die Vorschriften der dortigen Bundesumweltagentur (Envrionmental Protection Agency, EPA) von den Kraftwerksbetreibern heftig bekämpft. Die Kosten stünden in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Einsparungen im Gesundheitssektor. Im vergangenen Sommer gab ihnen das höchste Gericht der USA recht. In einer knappen Fünf-zu-vier-Entscheidung befanden die Richter, dass die Behörde die Kosten ihrer Verordnung nicht ausreichend berücksichtigt hätte.

Mehr Quecksilber in NRW

Vielleicht hätten die Grünen also nicht über den Atlantik, sondern an der Rhein schauen sollen, wo sie in Nordrhein-Westfalen in der Landesregierung sitzen und damit auch für die dortige Umwelt- und Energiepolitik Verantwortung tragen. Das Bundesland ist Heimat von vier der zehn schmutzigsten deutschen Kohlekraftwerke, heißt es bei der dortigen Piratenpartei. Deren Landtagsfraktion verweist auf die hohen Quecksilberbelastungen in Teilen des Landes:

Die viel zu hohen deutschen Grenzwerte werden in NRW sogar noch übertroffen. Die Belastung durch das hochtoxische Nervengift und seine noch giftigeren organischen Verbindungen liegen an der Lippe seit langem deutlich über den Umweltqualitätsnormen. Dennoch dürfen die Verursacher, die Kohlekraftwerke, nicht nur weiter laufen, es werden sogar neue geplant, die erst gerichtlich gestoppt werden müssen.

Hanns-Jörg Rohwedder, umweltpolitischer Sprecher der Piraten im Landtag von NRW

Der Piraten-Landesvorsitzende Patrick Schiffer fordert daher, dass die "Folgerungen aus der EU-Wasserrahmenrichtlinie und dem Pariser Klimaschutzabkommen (...) unverzüglich umgesetzt werden. Neben der Ausrüstung der betreffenden Kraftwerke mit moderner Filtertechnik muss als Nächstes ein Kohleausstiegsgesetz her", so Schiffer. Seine Fraktion habe von der Düsseldorfer Landesregierung einen Bericht "über die derzeitige und zukünftig zu erwartende Quecksilberbelastung im Land" angefordert, der auf der nächsten Sitzung des dortigen parlamentarischen Umweltausschusses am 20. Januar vorgelegt werden soll.

Weniger Kohle in China

Natürliche Quecksilber-Quellen sind unter anderem Vulkane. Ansonsten wird es bei der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas sowie in einigen industriellen Prozessen freigesetzt. In den fossilen Rohstoffen war es über viele Millionen Jahre durch natürliche Prozesse eingelagert und nach und nach aus der Biosphäre entfernt worden. Der Mensch bringt es nun innerhalb einer geologisch mikroskopischen Zeitspanne dorthin zurück.

Das giftige Metall ist übrigens leicht flüchtig und verdampft schon bei Zimmertemperatur. Daher kann es weit durch die Luft getragen werden. Ein Teil der chinesischen Emissionen schafft es zum Beispiel bis in die USA. Insofern dürften dortige Umweltschützer in doppelter Hinsicht über die Meldungen aus China erfreut sein. Dort ist der Kohleverbrauch zum ersten Mal seit über 30 Jahren in zwei aufeinander folgenden Jahren zurückgegangen. Das bedeutet nicht nur weniger Quecksilber- und Treibhausgasemissionen, sondern es nimmt auch den lautstarken US-amerikanischen Klimaschutzgegnern den Wind aus den Segeln, die sich gerne hinter China verstecken.

Die Internationale Energie Agentur sieht in ihrem Anfang Dezember veröffentlichten Kohlebericht Anzeichen für einen weiteren Rückgang der chinesischen Kohlenutzung. Damit könnte deren Höhepunkt bereits zehn Jahre vor dem von der Regierung angepeilten Ziel erreicht sein. Bis zum Jahr 2020 könnte der Verbrauch um knapp zehn Prozent zurückgehen. Das wäre auch für den Klimaschutz gut, denn die Verbrennung von Kohle in Chinas Kraftwerken, Hochöfen und Heizungsanlagen ist für einen großen Teil der dortigen Treibhausgasemissionen zuständig.

Mehr Sonne in Indien

Es sei denn, Indien löst China ab, auf dessen Konto zur Zeit noch allein rund die Hälfte des globalen Kohleverbrauchs geht. Auf der Pariser Klimakonferenz hatte Indiens Präsident Narendra Modi noch vehement darauf bestanden, dass sein Land zwar Solar- und Windenergie ausbaue, aber dennoch zahlreiche weitere Kohlekraftwerke benötige. Das sei Indiens gutes Recht, da es eine knappe Milliarde Menschen aus der Armut führen und das Land industrialisieren müsse.

Immerhin kann Modi darauf verweisen, dass Indiens Pro-Kopf-Treibhausgasemissionen mit zwei Tonnen pro Jahr und Einwohner noch immer weit hinter den europäischen (6,8 Tonnen pro Kopf und Jahr in der EU) oder US-amerikanischen (17,4) liegen (Daten nach dem neuesten Bericht des Global Carbon Projects).

Pro-Kopf-CO2-Emissionen in China, Indien, den USA und der EU aus der Verbrennung fossiler Energieträger und der Zementproduktion. Bild: Global Carbon Project

Aber wie es aussieht, scheint der Markt in Indien eine andere Sprache als der gern auf die nationalistische Pauke hauende Ministerpräsident zu sprechen. Ohnehin hatte es schon in Paris aus der indischen Delegation geheißen, Sonne und Wind seien für Indien die erste Wahl. Neue Kohlekraftwerke seien nur für jenen Teil, der nicht durch Wasserkraftwerke, andere erneuerbare Energieträger sowie Atomkraftwerke abgedeckt werden könne.

Nun warnte am Montag The Sydney Morning Herald die heimische Bergbauindustrie vor zu großen Hoffnungen auf neue Kohlekraftwerke in Indien. Dort sei der Strom aus neuen Solaranlagen inzwischen billiger als der aus Kraftwerken, die australische Importkohle verbrennen.

Die Zeitung verweist auf die Zuschläge in zwei Ausschreibungen im November und Dezember. Dabei wären die Lizenzen für neue Solarparks von 500 und 350 Megawatt zu Strompreisen vergeben worden, die rund 20 Prozent niedriger liegen als bei vor einem Jahr abgeschlossenen Verträgen. Die Betreiber der neuen Parks würden demnach umgerechnet 6,5 Euro-Cent pro Kilowattstunde für den von ihnen gelieferten Strom bekommen.

Die Zeitung zitiert außerdem Schätzungen, wonach der Preis für Solarstrom in Indien in den nächsten Jahren um fünf Prozent pro Jahr abnehmen werde. Damit würde Solarstrom schon bald auch die heimische Kohle unterbieten. Indien hat also gute Aussichten, sein Ausbauziel von 100 GW Solarenergie bis 2022 vorzeitig zu erreichen, vorausgesetzt natürlich, der sauberen Energie werden keine administrativen Knüppel zwischen die Beine geworfen und der Netzausbau kommt gut voran. Für die vielen bisher nicht angeschlossenen Dörfer sind Insellösungen mit Solar- und Windenergie ohne sinnvoller als große Zentralkraftwerke.