China im Wandel

Die Volksrepublik zieht immer größere Mengen ausländischen Kapitals an und erlebt einen Gründer-Boom

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China ist bei ausländischen Investoren so beliebt, wie nie zuvor. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur /Xinhua/ steckten sie 2015 114 Milliarden Dollar in Aufkäufe, neue Produktionsanlagen und Neugründungen in der Volksrepublik. Das war ein Allzeitrekord und 7,9 Prozent mehr als im Vorjahr, in dem laut Agentur das Land der Mitte erstmals die USA als Empfänger als ausländischer Direktinvestitionen überholt hatte.

In den ersten elf Monaten des Jahres wurden 24.000 Firmen mit ausländischem Geld gegründet, so Xinhua. Das sei eine Steigerung um elf Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum in 2014 gewesen. Ein nicht näher quantifizierter wachsender Teil der Investitionen ginge den Absichten der Regierung entsprechend in den Dienstleistungssektor und ins obere Segment der verarbeitenden Industrie.

Das passt zur seit einigen Jahren vorangetrieben Politik der forcierten technischen Entwicklung, die China weg von der arbeitsintensiven, aber relativ wenig wertschöpfenden Produktion von Textilien und ähnlichen Billig-Konsumgütern hin zu höherwertigen und innovativen Produktlinien führen soll. Eine ähnliche Entwicklung hatten zuvor zuerst Japan und dann ab den 1980er Jahren Südkorea und Taiwan durchlaufen, deren Vorbild in China seit langem studiert wird.

Dazu passt eine regelrechte Innovationsflut, von der Xinhua berichtet. In den ersten drei Quartalen 2015 seien landesweit jeden Tag 10.000 neue Unternehmen gegründet worden. Die Regierung habe einen Fonds von 40 Milliarden Yuan (5,7 Milliarden Euro) aufgelegt, aus dem Neugründungen gefördert werden. Das Land würde jedoch erst etwas mehr als zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung in Forschung und Entwicklung stecken, während in den Industriestaaten dieser Anteil meist bei drei bis vier Prozent liegen.

Und wie passt das alles mit den jüngsten Börsen-Turbulenzen zusammen? Offensichtlich spiegeln die chinesischen Aktienkurse - aus welchen Gründen auch immer - nur sehr bedingt den Zustand der real Ökonomie wieder. Diese befindet sich in einer größeren Umbruch-aber keineswegs in einer Kontraktionsphase. Das Wirtschaftswachstum scheint sich nach einem Bericht des Guardian bei 6,5 Prozent eingependelt zu haben. Das ist weniger als im Schnitt der letzten 25 Jahre aber angesichts der erreichten Größe der chinesischen Volkswirtschaft immer noch beachtlich.

Der Guardian zitierte allerdings auch Skeptiker, die auf das deutlich geringere Wachstum des Stromverbrauchs von nicht einmal drei Prozent verweisen und damit die offiziellen Angaben über das Wirtschaftswachstum in Frage stellen. Angesichts der Schwierigkeiten der chinesischen Statistik und der schieren Größe des Landes ist das eine immer wiederkehrende Diskussion die bereits während der sogenannten Asienkrise Ende der 1990er geführt wurde. Damals konnten sich einige Ökonomen nicht recht vorstellen, dass China die großen Probleme seiner östlichen und südöstlichen Nachbarn unbeschadet aussitzen kann.

Sie sollten allerdings mit ihren Zweifeln nicht recht behalten. Das chinesische Wachstum hatte sich zwar etwas verlangsamt aber keinesfalls so sehr, wie die Skeptiker seinerzeit vermutet haben. Danach konnte das Land zu einem großen Sprung ansetzen. 2014 war es mit rund 10,35 Billionen US-Dollar nach Angaben der Weltbank die zweitstärkste Volkswirtschaft hinter den USA (17,42 Billionen US-Dollar) und weit vor Japan (4,6 Billionen US-Dollar). Im Jahre 2000 hatte die Volksrepublik noch mit lediglich 1,2 Billionen US-Dollar Bruttosozialprodukt auf Platz sechs gelegen.

Das alles zeigt zwar die Kraft des chinesischen Aufstiegs, ist aber noch kein Argument gegen die Kritik an den offiziellen Wachstumsangaben mit Verweis auf den Strombedarf. Chinesische Quellen verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass die Entkoppelung von Strombedarf und Wirtschaftswachstum ein Anzeichen für den Wandel in der chinesischen Wirtschaft sei. Die relative Bedeutung energieintensiver Branchen würde ab- und die des weniger energiehungrigen Dienstleistungssektors zunehmen. Und tatsächlich zeigt der Blick auf die letzten 25 Jahre, dass in China Wirtschafts- und Strombedarfswachstum nur bedingt korrelieren und selten im Einklang mit einander sind.

Anbindung des Yuan an den US-Dollar

Probleme machen der chinesischen Wirtschaft derweil die Anbindung des Yuan an den US-Dollar. Dieser hat in den letzten Jahren kräftig aufgewertet und die chinesische Währung mit nach oben gezogen. Die Führung in Beijing versucht gegen zu steuern, in dem sie den Yuan gegen den US-Dollar abwerten lässt. Letzten Sommer geschah das in einem abrupten Schritt, der in Europa und den USA für Aufregung sorgte. Seitdem erfolgt die Abwertung eher graduell in Minischritten. Dennoch wurde eine leichte weitere Abwertung zum Auftakt des Jahres für die jüngsten Börsenturbulenzen mitverantwortlich gemacht.

Einige Kommentatoren sprechen bei derartigen Gelegenheiten gerne von einem Währungskrieg, aber ein Blick auf die Entwicklung der Währungskurse in den letzten Jahren zeigt, dass die Veränderungen noch immer recht moderat sind. Der Yuan hat gemessen am kurzzeitig im April 2015 erreichten Jahreshöchststand bisher 6,2 Prozent gegenüber dem US-Dollar verloren. Damit ist der Yuan gegenüber dem US-Dollar aber immer noch 4,8 Prozent stärker als in den Krisenjahren 2008/2009 zu dieser Zeit hatte Beijing (Peking) den langfristigen Aufwärtstrend unterbrochen und seine Währung für mehrere Jahre auf nahezu konstantem Niveau gehalten, um zusätzliche Unruhe an den Finanzmärkten zu vermeiden und seine Exportindustrie zu stützen.

Aber das Verhältnis des Yuan zum US-Dollar ist nur die eine Seite der Medaille. Die Aufwertung des Dollars bedeutet für China, dass sich seine Exporte in andere Weltregionen verteuern, wenn der Yuan diese Entwicklung mitmacht. So ist die chinesische Währung heute in Euros gerechnet trotz der jüngsten Abwertungen noch immer um rund 60 Prozent teurer als 2008. Das macht - sehr zur Freude der deutschen Industrie - chinesische Einkäufe im Euroraum günstig, chinesische Exporte nach Europa aber teurer.