Systematische Misshandlungen beim bayerischen Domchor

Domspatzen im Dom St. Peter; Bild: Michael Vogl/CC BY-SA 3.0

Regensburger Domspatzen: Sonderermittler veröffentlicht Zwischenbericht über Gewalt und sexuelle Übergriffe im Zeitraum von 1953 bis 1992

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Systematisch ist ein Stichwort, das bei dieser Gewalt gegen Wehrlose fällt, begangen im Schutz einer abendländisch religiösen Einrichtung. Das nächste Phänomen: Es melden sich immer mehr, weil eine Hemmschwelle gefallen ist. Die Zahl der Opfer ist höher als bisher angenommen. Und: Es ging laut SZ darum der Öffentlichkeit etwas zu erklären, was kaum zu begreifen ist.

Der vom Bistum Regensburg als Sonderermittler eingesetzte Anwalt Ulrich Weber stellte gestern der Presse eine Zwischenbilanz zu den Missbrauchs- und Misshandlungsfällen bei den Regensburger Domspatzen vor.

Seine Ausgangsposition zu Beginn einer acht monatigen Untersuchungszeit, teilte Weber mit, waren die Angaben des Bistums, wonach die Institution 72 anerkannte Opfer körperlicher Gewalt eingeräumt hatte und es konkret zwei namentlich bekannte Beschuldigte gab, die wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt wurden und die im Zusammenhang mit den Regensburger Domspatzen standen.

Nach seinen Recherchen, 141 persönliche Gespräche, 70 mit Opfern, die anderen mit Verantwortlichen, Mediatoren, Psychologen u.a., ergänzt und begleitet durch Studium von Akten, liegen im Zeitraum von 1953 bis 1992 aber mindestens 231 Fälle von Anwendung körperlicher Gewalt vor.

Mindestens heißt es, weil der Anwalt nach seinen Einschätzungen noch eine weitaus höhere Zahl für möglich hält. Nach Berichten des BR und der SZ von der Pressekonferenz könnte die Zahl bei 700 liegen. Das wäre jedes dritte Kind im untersuchten Zeitraum.

Er sehe keinen Grund an einer solchen Gesamtopferzahl zu zweifeln, wird Weber zitiert. Er sprach laut den genannten Berichten von 50 bis 60 mutmaßlichen Opfer sexuellen Missbrauchs und von Beschuldigungen gegenüber zehn ehemaligen Lehrern und Aufsichtspersonen, die Kinder missbraucht haben sollen. Als "hochplausibel" stuft Weber die Vorwürfe gegen vier ein.

Webers Recherchen gehen weiter. Dem Bistum ist es anzurechnen, dass es sich dieser Aufklärung geöffnet hat. Die Dinge, die Weber ans Licht bringt, sind für die katholische Institution nicht leicht zu schlucken.

Der Missbrauch habe in allen Institutionen, die mit der Ausbildung der legendären Domspatzen (tausendjährige Geschichte, Konzertreisen in alle Welt, UNICEF-Botschafter) verbunden sind, stattgefunden. Von Einzelfällen zu reden, sei zynisch, wird Weber zitiert. Der Missbrauch hatte System und er war perfid samt dem Schweigen dazu.

Die sexuellen Übergriffe reichten "von Streicheln bis hin zu Vergewaltigungen". Darüber hinaus seien die Kinder teils blutig geschlagen worden - mit dem Stock, mit dem Siegelring, mit dem Schlüsselbund.

Über sexuellen Missbrauch wurde "untereinander größtenteils gar nicht kommuniziert", so der Anwalt.

Zur Omerta gab es dann noch die Frage nach dem Bruder des bayerischen Papstes Benedikt. Von 1964 bis 1994 war Georg Ratzinger Domkapellmeister und Leiter des Knabenchores. Auf die Frage, ob Ratzinger von den Misshandlungen wusste, antwortete Weber auf der Pressekonferenz: "Davon muss ich ausgehen."

Hinweis: Richter Gottes. Die geheimen Prozesse der Kirche