Terrorwarnung von München war heiße Luft

Münchner Hauptbahnhof. Bild: Richard Huber/CC-BY-SA-3.0

Alle Warnungen stammten aus einer Quelle, so der Spiegel. Haben nicht nur in Köln, sondern auch in München Polizei und Politik die Lage falsch eingeschätzt?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Es wurde still um die angebliche Terrorwarnung für München. Weil sie auch von einem französischen Geheimdienst am Nachmittag geäußert wurde, wurde beschlossen, den Hauptbahnhof und den Bahnhof in Pasing zu sperren, die Polizei forderte die Menschen auf, Menschenmengen zu meiden.

Gelegentlich wurde geäußert, dass die Polizei in München alles gut im Griff hatte, während man diejenige in Köln kritisierte, wo es keine Terrorwarnung gab, sondern junge Männer vermutlich arabischer oder nordafrikanischer Herkunft teilweise alkoholisch enthemmt oder auch organisiert gewalttätig wurden. Die Polizei von Köln und die Bundespolizei wurden davon offensichtlich überrascht, beide waren unterbesetzt, zudem wurde zunächst versucht, die Öffentlichkeit über die Vorgänge und die Täter hinters Licht zu führen. Der nordrhein-westfälische Innenminister Jäger zog daher die Reißleine und beurlaubte als Bauernopfer den Polizeipräsidenten von Köln.

Aber haben die Sicherheitsbehörden in München tatsächlich richtig gehandelt? Zumal sich ziemlich schnell herausstellte, dass es keinerlei Hinweise auf die angeblichen Terroristen gab, die sich in München aufhalten sollten (Bislang keine Hinweise, die die Terrorwarnung in München bestätigen)? Kurz zuvor hatte es in den USA eine Terrorwarnung gegen Schulen in New York und Los Angeles gegeben. Während die Polizei in Los Angeles alle Schulen schloss, vermutlich weil kurz davor das Massaker in San Bernardino stattgefunden hatte, reagierte man in New York nicht, weil die Drohung unglaubwürdig war (Wegen Terrordrohung wurden in Los Angeles alle Schulen geschlossen). Zu Recht, wie sich später herausstellte.

Solche Entscheidungen sind absolut schwierig zu treffen. Aber sie müssen nicht nur dann hinterfragbar sein, wenn man eine Warnung nicht beachtet hat und etwas passiert ist, sondern auch dann, wenn man auf die Warnung fälschlicherweise ernst nahm und damit auch dem terroristischen Kalkül in die Netze ging. Im Fall von München hatte die Terrorwarnung allerdings eine Vorgeschichte, die den Verantwortlichen bekannt sein musste. Sie kam nämlich bereits am 23. Dezember von einem Mann in Baden-Württemberg, der in einem Polizeirevier erschienen war und berichtete, er habe von einem in Bagdad lebenden Bruder telefonisch gehört, dass ein Anschlag auf München geplant sei (Weiter ungeklärte Terrorwarnung und fragwürdige Rolle der Geheimdienste).

Der Staatsschutz rief den Mann dann an, der von 5-7 Syrern und Irakern sprach, Namen nannte und erklärte, die Anschlage sollten um Dreikönig herum in München stattfinden. Die Information wurde der bayerischen Polizei übergeben. Die Überprüfung der Namen kam zu keinem Ergebnis. Ein BND-Mitarbeiter hat dann nochmal den Mann am 24. 12. befragt. Da die Täter sich schon in München in einem Hotel in der Landsberger Straße einquartiert haben sollten, wurde dieses am 30. 12. überprüft, wieder ohne einen Hinweis zu finden. Eine ähnliche Warnung - mit sich überschneidenden Namen - scheint über einen amerikanischen Geheimdienst gekommen zu sein - und schließlich dann die zu Silvester vom französischen. Offenbar waren noch mehr im Spiel.

Obgleich sich bislang nichts ergeben hatte, wurde, vermutlich ohne die Quelle der Informationen zu überprüfen, der Terroralarm ausgerufen. An ihm wurde auch noch festgehalten, obgleich der Münchner Polizeipräsident Hubert Andrä bereits am Freitag eingestehen musste oder womöglich skeptisch gegenüber anderen beteiligten Sicherheitsbehörden anmerkte: "Wir wissen nicht, ob die Namen stimmen, ob es die Personen wirklich gibt, und wo sich die Personen aufhalten." Ein Sprecher des Münchner Polizeipräsidiums sagte allerdings dennoch, dass die Überprüfung noch Wochen oder Monate fortgeführt werden könnte. Und Bundesinnenminister de Maizière sowie der bayerische Innenminister und andere Politiker meinten, es sei nun der Anlass, bei all der Vagheit des Warnung noch die Forderung aufzustellen, dass enger mit den ausländischen Geheimdiensten zusammengearbeitet werden müsse.

Dazu gab es bislang keine Berichtigung. Offiziell scheint man zu versuchen, den Vorfall möglichst vergessen zu machen, der sich in eine Reihe von anderen Falschalarmen und Großeinsätzen stellt, zuletzt die Absage des Länderfußballspiels in Hannover. Köln kommt da gerade recht. Immerhin hat nun der Spiegel herausgefunden, dass der Iraker, von dem die Terrorwarnung kam, früher beim irakischen Geheimdienst gearbeitet und mit dem FBI kooperiert hat. Er sei ein zuverlässiger Informant gewesen, das FBI habe die Zusammenarbeit nur eingestellt, weil er zu viel Honorar verlangt hat.

Vom BND soll er auch "viel Geld" verlangt haben. Angeblich soll dieser nicht bezahlt haben. Aber wer weiß das schon. Offenbar hat er dem BND - und anderen Geheimdiensten - eine Märchengeschichte erzählt, ob nur aus finanziellen Gründen, aus Hilfe für Terrorgruppen oder aus welchen Gründen auch immer, ist nicht klar. Fotos, die er der Polizei gab, erwiesen als Kopien aus dem Internet, so der Spiegel. Zunächst wollten die Ermittler allerdings die Information als unwahrscheinlich bewertet haben, die Polizei entschied sich aber nach der um 18 Uhr am 31. eingehenden Warnung des französischen Geheimdienstes zum Handeln.

Ein paar Tage später wurde auch diese Meldung nach Spiegel als unwahrscheinlich bewertet, die Informationen aller Geheimdienste stammten vom selben Mann - der Öffentlichkeit teilte man dies aber nicht, obgleich dies eben auch den von Regierungspolitikern ausgehenden Druck relativiert hätte, verstärkt mit ausländischen Diensten zusammenarbeiten zu müssen. Politiker wie de Maizière oder Seehofer erklärten den Großeinsatz nachträglich als richtig. Auch im Fall von Hannover hatte man auf die Terrorwarnung eines ausländischen Geheimdienstes reagiert. Dort ging die Warnung auch kurz vor dem Spiel um 18 Uhr vom israelischen Geheimdienst ein. Auch der sprach von einem genauen Anschlagsplan und gab einen Namen weiter. Wie in Paris - und auch in der Terrorwarnung für München - seien mehrere Anschläge vor und im Stadion und später am Hauptbahnhof geplant. Das Spiel wurde abgesagt, die Warnung auch dieses ausländischen Geheimdienstes war heiße Luft.

Wie auch schon vermutet, sollen Sicherheitsbehörden die nun als unwahrscheinlich geltenden Warnungen auch als mögliche "Desinformation" des IS diskutieren. Eine offene Frage ist, inwieweit der in Deutschland lebende "Bruder" des irakischen Informanten, der seine Warnungen vermutlich gegen gutes Geld reihum streute, noch einmal befragt wurde. Und vor allem, wie vertrauenswürdig die von ausländischen Geheimdiensten zugesteckten Warnungen sind, zumal man fast annehmen könnte, dass die kurz vor Großereignissen eingehenden leeren Warnungen nicht unbedingt eine Desinformation des IS, sondern von interessierten Geheimdiensten stammen könnten, die damit ja auch einen Zweck verfolgen können, beispielsweise die deutsche Regierung durch Druck des veränstigten Volkes zu mehr Zusammenarbeit im Antiterrorkampf zu bringen. Und die Frage wäre auch, wer auf deutscher Seite Interesse gehabt haben könnte, die von den Sicherheitsbehörden eigentlich als unwahrscheinlich eingestufte Warnung doch ernst zu nehmen, um öffentlichkeitswirksame Maßnahmen einzuleiten? Ohne Aufklärung auch in diesem Fall wird es schwer werden, das Vertrauen der Menschen in die Sicherheitsbehörden weiterhin einfach beanspruchen zu können.