Entwicklungsminister: "8-10 Millionen Flüchtlinge sind noch unterwegs"

Der CSU-Minister spricht zwar noch nicht von einer Obergrenze, warnt aber davor, dass sich Deutschland und Europa erst am Anfang der Flüchtlingskrise befinden

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Der ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler hatte gestern seine Partei aufgefordert, aus der Koalition mit der CDU auszutreten, wenn es keine Einigung auf eine Obergrenze gibt. Das wird von ihm offenbar als wichtigste politische Maßnahme angesehen, um derzeit politisch punkten zu können. Dabei machte er sich zu eigen, was vom rechten Rand schon lange als "Argument" verwendet, nämlich dass die Regierung von Angela Merkel mit der Zulassung der Flüchtlinge "ohne demokratische Legitimation" und "auch rechtsstaatswidrig" gehandelt habe (Nach Köln: Die Stunde der politischen Scharfmacher).

Gauweiler ruft indes nicht wie manche in der rechten Szene zum Sturz der Regierung auf, sondern verlangt entweder einen Beschluss im Bundestag oder eben die Einführung einer Obergrenze, die der bayerische Ministerpräsident Seehofer ja schon einmal auf 200.000 Flüchtlinge jährlich angesetzt hat. Nach Umfragen kann man davon ausgehen, dass die meisten Deutschen eine Obergrenze für richtig halten.

Gerd Müller, der Entwicklungsminister, hält sich ein wenig mehr zurück. Auch er kommt von der CSU, gibt sich aber regierungskonformer und nennt keine Zahl, sondern folgt der Sprachregelung der CDU, dass eine "Reduzierung" der Flüchtlingszahlen bewirkt werden müsse. Allerdings wird indirekt doch von ihm eine Zahl genannt, wenn er der BamS sagt: "Eine Million wie im vergangenen Jahr können wir nicht erfolgreich integrieren." Da man keine Zäune um Deutschland und Europa bauen könne, müssten sich Deutschland und Europa darauf besinnen, mehr Verantwortung zu übernehmen: "Wir haben unseren Wohlstand auf dem Rücken der Entwicklungsländer aufgebaut. Das wird nicht mehr lange gut gehen. Diese Spannungen entladen sich. Dann ist egal, was wir hier festlegen. Die Menschen werden uns nicht fragen, ob sie kommen können."

Das wird man dann in der CSU vielleicht nicht so gerne hören, denn das hieße, dass Deutschland deutlich mehr Geld in die Entwicklungshilfe stecken, Handelsabkommen verändern oder auch militärische Interventionen überdenken müsste. 2014 hat die Bundesregierung mit insgesamt 16 Milliarden Euro gerade einmal 0,41 Prozent des BIP für Entwicklungshilfe (Official Development Assistance- ODA-Quote) ausgegeben. Eigentlich sollten es mindestens 0,7 Prozent sein, für die von Müller angesichts des Flüchtlingsstroms aufzuwendende Hilfe müsste es wohl deutlich mehr sein. Müllers Ministerium hatte 2015 einen Etat von 6,5 Milliarden Euro, für 2016 sind 7,4 Milliarden Euro vorgesehen. Das ist mehr, sicherlich aber nicht genug. Noch brüstet sich vor allem die Union, an der Schwarzen Null festzuhalten, mehr Entwicklungshilfe und steigende Ausgaben für die Integration, sowie die der stetige Ausbau der Auslandseinsätze der Bundeswehr werden dies aber nicht lange mehr zulassen.

Aber Müller kommt dabei doch der die Politik umtreibenden Stimmung nahe, die auf Obergrenzen, Abschottung und Ausweisung setzt. Er warnt nämlich davor, dass man bislang erst den Anfang gesehen habe: "Erst zehn Prozent der in Syrien und Irak ausgelösten Fluchtwelle ist bei uns angekommen. Acht bis zehn Millionen sind noch unterwegs", prophezeite er, wohl wissend, was er damit bewirken wird oder kann. Ob sie "unterwegs" nach Europa sind, ist ja keineswegs klar, Müller suggeriert dies jedoch. In Afrika käme es erst noch zu den "größten Fluchtbewegungen", da sich dort die Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten verdoppeln werde. "In der Sahara sollen bis zu einer Million Menschen auf der Flucht gestorben sein. Das zeigt die ganze Dramatik."

Es sei eine neue internationale Zusammenarbeit erforderlich. Was die bewirken soll und kann, erklärte er in dem Gespräch allerdings nicht. Man könnte auch fragen, ob die Zusammenarbeit mit der Türkei, die den Zustrom von Flüchtlingen reduzieren soll, richtig ist, wenn die Türkei mit ihrem Kampf gegen die PKK ganze Landstriche in den Kurdengebieten abriegelt und neue Flüchtlingsströme, gedeckt durch die USA und die EU, verursacht. Oder ob das militärische Vorgehen gegen den IS und andere islamistische Gruppen im Nahen Osten, in Nordafrika und anderswo nicht denselben Effekt hat, wenn nicht die Ursachen bekämpft werden, die dem Islamismus in dieser Region Zulauf verschaffen. Müller spricht sich jedenfalls auch dafür aus, den Ländern zu helfen, in denen die Achtung der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit nicht gewährleistet ist, die also wie Eritrea autoritäre Regime besitzen. Die würden damit gestützt, während Menschen auch wegen dieser Regime fliehen dürften.