707 Millionen Euro Druckmittel

Außer mit Entwicklungshilfekürzungen könnte die Bundesregierung Marokko, Algerien und Tunesien auch mit dem Abbruch von Vertragsverhandlungen zur Verbesserung der Kooperation bei Abschiebungen drängen

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SPD-Chef Sigmar Gabriel hat in einem Interview mit den ARD-Tagesthemen verlautbart, die Bundesregierung sei "gerne bereit", den nordafrikanischen Ländern Marokko, Algerien und Tunesien "wirtschaftlich zu helfen [...], aber nur dann - und nur dann in größerem Ausmaß -, wenn die Regierungen dort auch so fair sind, ihre Bürger zurück einreisen zu lassen, die bei uns kein Asylrecht haben". Es könne, so Gabriel, "nicht sein, dass man die Entwicklungshilfe nimmt, aber die eigenen Bürger nicht, wenn sie bei uns kein Asyl bekommen können, weil sie einfach keinen Grund haben, aus ihrem Land zu flüchten". Das sei "die Bedingung, die wir an diese Länder stellen müssen, und das tun wir auch".

Hintergrund der Äußerung ist ein Brandbrief der Innenbehörden der Bundesländer an die Bundesregierung, in dem diese den drei Maghreb-Ländern "unkooperatives Verhalten" bei Abschiebungen vorwerfen. Weil die Botschaften teilweise gar nicht auf Anfragen reagierten, hätten im ersten Halbjahr 2015 von rund 5.500 vollziehbar ausreisepflichtigen Algeriern, Marokkanern und Tunesiern lediglich 53 erfolgreich zurückgeführt werden können. Hinzu kommt, dass neben Opferbeschreibungen auch sichergestellte Zettel und Mobiltelefone sowie Aussagen eines dialektkundigen Kölner Marokkaners darauf hinweisen, dass es sich bei den Silvesternacht-Sittlichkeitsverbrechern in Köln überwiegend um junge Männer aus Nordafrika handeln dürfte, aus denen sich auch die Antänzerbanden rekrutieren.

Für die Entwicklungshilfe ist jedoch nicht Wirtschaftsminister Gabriel zuständig, sondern das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), das über einen eigenen Etat in Höhe von gut sechseinhalb Milliarden Euro verfügt und darüber hinaus mit Krediten der KfW arbeitet.

Marokko hat das BMZ für das Jahr 2015 nach eigenen Angaben rund 486 Millionen Euro zugesagt. Davon sind 430 Millionen Euro ein Darlehen für den Ausbau erneuerbarer Energien. Außerdem unterstützt man das Land bei der Verbesserung der Wasserversorgung, der beruflichen Bildung, der Beschäftigungsförderung, der "Verbesserung der Regierungsführung" und einer "nachhaltigen Gestaltung der Wirtschaftsentwicklung". Das soll "Perspektiven schaffen". In zehn marokkanischen Kommunen fördert das Ministerium darüber hinaus Programme, die Rückkehrern bei der Integration helfen sollen.

Tunesien wurde 2015 mit 215,45 Millionen Euro gefördert, wovon 190 Millionen Euro ein Darlehen sind. Das Geld soll in "benachteiligte Regionen im Landesinneren" und in Beschäftigungsprogramme für die Jugend fließen. Das seien "Prioritäten der tunesischen Regierung", mit denen die "Grundvoraussetzung für eine friedliche Transformation" geschaffen würde. Nach Algerien, das kein Schwerpunktland der deutschen Entwicklungspolitik ist, flossen 2015 sechs Millionen Euro für die "Verbesserung der Umweltpolitik" und eine "Anpassung an den Klimawandel".

Marokko, Algerien und Tunesien. Karte: Telepolis.

Ein Sprecher von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) teilte Telepolis bereits letzte Woche mit, dass man keine Kürzungen der Entwicklungshilfe plant und stattdessen einen "more-for-more"-Ansatz verfolgt, der mehr Geld verspricht, wenn ein Land kooperiert (vgl. Entwicklungsminister propagiert "more for more"). Diese Politik könnte allerdings für andere Länder einen Anreiz schaffen, sich bei Rückführungen erst einmal unkooperativ zu geben.

Neben der Entwicklungshilfe gibt es auch Verträge, mit denen sich Druck auf Marokko, Algerien und Tunesien ausüben ließe. Viele dieser Verträge sind nicht mehr bilateral, sondern von der EU geschlossen - zum Beispiel die Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommen, die es mit allen drei Maghreb-Ländern gibt. Einfacher als eine Kündigung solcher EU-Abkommen wäre ein Stopp der Verhandlungen für das DCFTA-Freihandelsabkommen, die jedoch nur mit Marokko und Tunesien, aber nicht mit Algerien laufen.

Mit Marokko wurden die Gespräche dafür erst 2013 aufgenommen. Damals versprach EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso dem marokkanischen Ministerpräsidenten Abdelilah Benkirane neben einer "größeren Einbeziehung der marokkanischen Wirtschaft in den europäischen Binnenmarkt" auch eine "Mobilitätspartnerschaft" mit Erleichterungen bei der Visaerteilung für die Einreise in EU-Länder.

Auf Anfragen von Telepolis, inwieweit geplant ist, mit dem Abbruch von Vertragsverhandlung oder der Kündigung von Verträgen Einfluss auf die Rücknahmebereitschaft der Maghreb-Staaten zu nehmen, reagierte Sigmar Gabriels Wirtschaftsministerium bislang nicht.

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