Polen: Pathos verhindert Sachgespräch in Straßburg

In Polen spricht man auch schon von einem Krieg der EU mit Polen

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Es liest sich martialisch, was Polens Zeitungen am Mittwoch titelten: "Ein Knockout war das nicht", "Polen wird der Champion Europas", "Szydlo verteidigt Polen". "Die Schlacht im Europäischen Parlament wurde gewonnen, der Krieg der Europäischen Kommission mit Polen geht leider weiter", meint Zbigniew Kuzmiuk, Europarlamentarier der Bauernpartei PSL, in der regierungsnahen Zeitung "Nasz Dziennik".

Polens Regierungschefin Beata Szydlo wurde vom Europäischen Parlament eingeladen, sich zu den Veränderungen in der Gewaltenteilung und den öffentlich-rechtlichen Medien zu erklären, die EU-Kommission hat dazu ein Rechtstaatlichkeitsverfahren eingeleitet. In der Sache hat die Premierministerin in Straßburg nicht nachgegeben.

Martin Schulz begrüßt Beata Szydlo im Europäischen Parlament. Bild: EU-Parlament/CC BY-NC-ND 2.0

Für Polens Mitglieder und Anhänger der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) war der Fall klar - dem Land wurde Unrecht getan, Szydlo verteidigte den guten Ruf Polens. Rechte Kommentatoren fürchteten, dass Polen auf "den Knien im Parlament" vorgeführt werden könnte.

Dabei ging es eigentlich um die Diskussion von Demokratie-Standards. Es ist gewiss unangenehm für eine Regierungschefin, dazu befragt zu werden. Die martialische Sprache hat jedoch mehrere Gründe. Da ist zum einen das Minderwertigkeitsgefühl in Europa, beziehungsweise in der EU als Neuling nicht ganz für voll genommen zu werden. Zudem haftet den polnischen Rechten das Manko des Euroquerulanten an. In der PiS-Regierungszeit 2005-2007, in der Parteichef Jaroslaw Kaczynski seine Politiker in Brüssel von Warschau aus dirigierte, machte sich die Partei mit ihren Meinungsvolten und Forderungen keine Freunde.

Und "Krieg" ist ein wichtiger Begriff in der polnischen Politik. Das Land ist tief gespalten - die Erben der freien Gewerkschaft Solidarnosc stehen sich mit dem liberaleren Flügel "Bürgerplattform" (PO) und dem rechten Flügel "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) unversöhnlich gegenüber. Die PiS löste bei den Parlamentswahlen Ende Oktober die PO nach acht Jahren Regierung ab und will nun einen nationalkonservativen Sozial- wie Überwachungsstaat errichten.

Gemeinsam ist ihnen, dass sie in den 80er Jahren gelernt haben, dass man zwischen dem Beruf des Politikers und dem des Journalisten kaum unterscheidet. Man war auf der richtigen Seite, während die kommunistische Führung der Volksrepublik Kreml-hörig war und somit unrecht hatte. Viele der heutigen Politiker von PO und PiS waren zudem als Journalisten tätig - in der Untergrundpresse oder bei illegalen Radiosendern. Die Solidarnosc war von Dezember 1981 bis April 1989 verboten. Fürchten musste man sich jedoch vor Spitzeln, die mit dem Inlandsgeheimdienst SB zusammen arbeiteten.

Beata Szydlo während der Debatte im Europäischen Parlament. Bild: EU-Parlament/CC BY-NC-ND 2.0

Dieses Denken kam auch mit dem Druck zum Vorschein, dem die polnische Opposition ausgeliefert ist: Sie hätte Polen vor der EU denunziert, sie sollte sich einer gemeinsamen polnischen Front unterstellen, forderten Journalisten und Politiker der PiS. Das Ergebnis war, dass sich der PO-Abgeordnete Janusz Olbricht mit seinem Redebeitrag mehr oder weniger auf ein Lob Polens beschränkte, anstatt die Problematik der Umwälzungen in seinem Land zu verdeutlichen.

Szydlo vermittelte im Parlament ebenfalls das Pathos vom polnischen Freiheitskampf, getrieben von dem Bedürfnis, den Anwesenden zu erklären, welchen Stellenwert Polen in der europäischen Geschichte hat. Dabei blieb kein Platz für sachorientierte Kapitel über Gesetzesauslegung und die die Interpretation von Medienfreiheit. Zudem hatte man den Eindruck, dass sich die ehemalige Wahlkampfleiterin von Staatspräsident Andrzej Duda eher an das vertraute polnische Publikum und Parteichef Jaroslaw Kaczynski als an die Europaparlamentarier wandte.

Jaroslaw Kaczynski hat übrigens die Linie schon festgelegt. Ausgerechnet zum Auftakt der Europa-Initiative seiner Schützlinge meint Kaczynski in seinem ersten Interview nach der gewonnen Wahl im Oktober zu dem Rechtsstaatlichkeitsverfahren in der Zeitung Rzeczpospolita: "Es lohnt sich kaum, sich damit zu befassen."

Diese Doppelstrategie zwischen unverbindlichem Schönreden in Brüssel und Straßburg auf der einen und Klartext in Warschau auf der anderen Seite wird bald das Gesprächsklima zwischen Polen und der EU verschärfen.