Polizisten-Mord von Heilbronn: Abgeordnete, die nicht aufklären wollen

Der NSU-Ausschuss von Baden-Württemberg legt seinen Bericht vor - und lässt die Finger von dem ungeklärten Attentat - Eine Kritik

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mit der Arbeit des Ausschusses sei es gelungen, das Vertrauen der Bevölkerung in Staat und Parlament wieder herzustellen. So zitierte im Juli 2015 die Süddeutsche Zeitung den Vorsitzenden des NSU-Ausschusses von Baden-Württemberg, Wolfgang Drexler, SPD. Vertrauen in Staat und Parlament herzustellen - das war nicht der Auftrag dieses Ausschusses. Die Äußerung zeigt aber, was das politische Establishment mit dem Ausschuss wollte und warum es ihn so lange nicht gab. Er war erst im November 2014, drei Jahre nach Entdeckung des NSU, eingesetzt worden. Bis dahin hatte sich nahezu der gesamte Landtag mit Händen und Füßen dagegen gewehrt.

Auftrag des Untersuchungsausschusses war, den Mord an der Polizeibeamtin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 auf der heilbronner Theresienwiese aufzuklären. Das setzte eigentlich voraus, dass die Behauptung der Bundesanwaltschaft (BAW) in Frage gestellt war, der Mord sei aufgeklärt, die alleinigen Täter seien Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gewesen. Eine Version, die Beate Zschäpe in ihrer Einlassung vor Gericht im Dezember 2015 stützte. Die begründeten Zweifel machen sich vor allem an der Anzahl der Täter und der unmittelbaren Täterschaft der zwei Uwe fest. Daran hängt das gesamte Konstrukt. Schon die Ermittler gingen - vor November 2011 - davon aus, dass die Tat von vier bis sechs Personen begangen wurde.

Innere Widersprüche, die den Bericht durchziehen

Der Stuttgarter Ausschuss fällt hinter alle Erkenntnisse zurück, übernimmt die Darstellung der Bundesanwaltschaft und erweist ihr obendrein seine Referenz: Er habe "keine begründeten Zweifel an der Einschätzung des Generalbundesanwalts, dass die Tat durch Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begangen wurde". Nicht ausschließen will man aber, dass es weitere unbestimmte Tatbeteiligte gab.

Das steht nun in Widerspruch zur Version der BAW, passt aber schwerlich zur übernommenen These, Kiesewetter und ihr schwer verletzter Kollege seien Zufallsopfer gewesen. Innere Widersprüche, die den Bericht durchziehen und die auch die Ausschussarbeit kennzeichneten. Dass das Gremium seine eigene Arbeit "einhellig als Erfolg" bewertet, sei als Folklore verbucht. Andere Dinge wiegen schwerer.

LfV und NSU

Die Behauptung zum Beispiel, es gebe "keinerlei Anhaltspunkte", dass das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) vor November 2011 Kenntnis vom NSU gehabt habe. Das ist schlicht unwahr, weil genau das nämlich der pensionierte Verfassungsschutzbeamte Günter S. wiederholt bezeugt hat. Im Jahr 2003 soll ihm der Informant Torsten O., einst V-Mann Erbse, von NSU und Mundlos berichtet haben. O. hat das inzwischen bestätigt, nachdem er es vor dem Ausschuss noch bestritten hatte (vgl. Erfuhr der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg doch 2003 von NSU?).

Für den Ausschuss wurde der Zeuge Torsten O. nach seinem Schwenk seltsamerweise noch unglaubwürdiger. Tatsächlich geht es um die Glaubwürdigkeit des Ex-Verfassungsschützers Günter S. Ihm will der Ausschuss nicht glauben. Bei anderen Zeugen des LfV, wie einem früheren Präsidenten, waren die Parlamentarier großzügiger. Dazu unten mehr.

Nicht befragte Zeugen

Zurück zur Beweisaufnahme. Eine ganze Reihe von Zeugen sind nicht oder noch nicht befragt worden. Zum Beispiel die ältere Frau, die gegen 14 Uhr, also kurz nach dem Anschlag, am südlichen Eingang des Festgeländes Theresienwiese, einen heraneilenden Mann gesehen haben will, dessen linke Seite blutverschmiert war und der weder Böhnhardt noch Mundlos ähnelte. Oder jene Frau, die nach den Schüssen drei Männer am Streifenwagen stehen sah, die dann davonrannten. Oder den US-Verbindungsoffizier, der deutsche Stellen darüber informierte, zwei FBI-Agenten seien Zeugen der Tat geworden. Oder den Mitarbeiter des US-Militärgeheimdienstes, der das bestätigen könnte. Oder den V-Mann Achim Schmid, der im Ku-Klux-Klan in Schwäbisch Hall aktiv war - zusammen mit dem V-Mann Thomas Richter ("Corelli"), der auf der Namensliste von Uwe Mundlos stand. Und zusammen mit dem Polizisten Timo H., der am Tattag in Heilbronn als Vorgesetzter von Kiesewetter Dienst tat.

Wenn man diese Zeugen aus gutem Grunde hören wollte, aber bisher nicht hören konnte: Warum weiß man dann trotzdem, wie es war? Oder werden die Zeugen nur pro forma vorgeladen? Streng genommen hätte sich das Gremium beim jetzigen Stand der Beweisaufnahme einer Bewertung enthalten müssen. Dass es mit seinem Halbwissen dennoch ein Urteil spricht, ist nur mit einer bestimmten Motivation erklärbar. Sollte herauskommen, was nun vorgelegt wurde?

Für Dutzende anderer Zeugen interessierte sich der Ausschuss gleich gar nicht. Zum Beispiel vier Personen, die in den 40 Minuten vor der Tat an und auf der Theresienwiese einen oder mehrere Streifenwagen bemerkten. Den letzten mitten auf dem Gelände nur wenige Minuten vor dem Überfall. Die Besatzung des oder der Streifenwagen ist nicht identifiziert. Oder Kriminalbeamte, die zu den nachgewiesenen Manipulationen von Akten der Sonderkommission (SoKo) Parkplatz befragt werden müssten. Oder die V-Frau "Krokus", die angibt, 2006 Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt im Kreis anderer Leute in der Nähe von Heilbronn getroffen zu haben. Oder Zeugen, Verfassungsschützer und V-Leute, die über die Zeit der Rechtsanwältin Nicole Schneiders, in München Verteidigerin von Ralf Wohlleben, und eines weiteren Neonazis aus Baden-Württemberg in Jena berichten können. Oder der Arzt, der das Opfer Martin Arnold operiert hatte. Oder auch Ex-Generalstaatsanwalt Klaus Pflieger, der die Nicht-Veröffentlichung der Phantombilder durch die Staatsanwaltschaft Heilbronn abgesegnet hatte. Alle nicht vernommen, alle nicht auf der Agenda.