Varoufakis gründet eine neue Partei

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Und enthüllt alte Geschichten: Was der frühere Finanzminister zur griechischen EU-Strategie und zum Plan X auspackt, das könnte in Athen ein juristisches Nachspiel haben

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In der Berliner Volksbühne, pikanterweise in direkter Näher zu den Büros seines Erzwidersachers, des Bundesfinanzministers Dr. Wolfgang Schäuble, wird der frühere griechische Finanzminister Yanis Varoufakis am 9. Februar seine neue Partei DiEM (Democracy in Europe - Movement) gründen. Vor knapp einem Jahr trat er als Alexis Tsipras erster Finanzminister an die Weltöffentlichkeit. Varoufakis polarisierte bereits vorher mit seinen ökonomischen Analysen, war jedoch nur in akademischen Kreisen und in Griechenland bekannt.

Fast pünktlich zu seinem Jahrestag der Ernennung zum Minister trat der Ökonomieprofessor ausgerechnet beim von den Linken als neoliberal verschrienen Journalisten Alexis Papachelas zu einem Interview an, bei Haussender Skai TV. Varoufakis Anliegen war die Darstellung seiner Sicht auf die Ereignisse, die 2015 zur Kehrtwende Alexis Tsipras geführt hatten.

Zudem beschuldigte der zunächst von Tsipras vergötterte, nun verdammte Politiker Schäuble, dass dieser im Sinn Deutschlands, aber gegen die EU Intrigen spinnen würde. Die Vertreter der ehemaligen Ostblockstaaten in der Eurozone seien, so Varoufakis, mehr oder weniger Helfershelfer Schäubles. Sie würden sich einen Wettstreit bieten, wer dem deutschen Finanzminister mehr nach dem Mund reden würde, meinte Varoufakis. Eines seiner wichtigsten Statements für die neue Partei, die er als paneuropäische Bewegung konzipiert, ist:

Europa hat kein demokratisches Problem, es ist nicht demokratisch.

Alle Eurogruppentreffen aufgezeichnet

Varoufakis gab im Interview im griechischen Fernsehen erstmals zu, alle Eurogruppentreffen, an denen er teilnahm, - bis auf das erste - aufgezeichnet zu haben. Bislang hatte er mehrmals damit kokettiert, später aber dementiert. Grund für die Aufzeichnungen sei, so Varoufakis, dass er nach dem ersten von ihm besuchten Treffen der Eurogruppe wegen der langen Dauer kaum eine Erinnerung an Einzelheiten hatte. Über eben diese sollte er jedoch im Athener Ministerrat berichten.

Varoufakis fragte in Brüssel nach einem Sitzungsprotokoll und erhielt zur Antwort, dass es keines gäbe. Er beschloss daher - zu seiner eigenen Absicherung - die Aufzeichnung der Sitzungen per Telefon. In Kommentaren aus Brüssel heißt es dazu, dass die Tagungen geheim seien. Dem Griechen wird somit die Verletzung der Geheimhaltungspflicht angelastet.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Obwohl er angab, noch keine Veröffentlichung der Protokolle zu planen, räumte er ein, dass er diese zumindest in einem Fall an Regierungskollegen in Athen und an Alexis Tsipras weitergab. Ministerkollegen der Eurogruppe, die keine Aufzeichnungen anfertigen, bezeichnet er als verantwortungslos. Er bezweifelt jedoch, dass es jemanden gibt, der keine Mitschnitte anfertigt.

Den europäischen Part seines Interviews rundete er ab, indem er sein außerhalb der Euro-Krise gutes Verhältnis zu Schäuble erwähnte. Dieser habe ihm gegenüber zugegeben, dass er niemals eines der griechischen Sparmemoranden unterschreiben würde, wenn er ein griechischer Politiker wäre, behauptet Varoufakis.

Was er jedoch über die griechische Verhandlungsstrategie erklärte, das wird in Athen vielleicht sogar ein juristisches Nachspiel haben. Die Regierung Tsipras war, glaubt man den Äußerungen des früheren Finanzministers und Chefplaners der Verhandlungen mit der EU, von Anfang an darauf eingestellt, dass die EZB die griechischen Banken mit erpresserischen Methoden zu einer Unterschrift unter einen Kreditvertrag drängen würde.

Plan X: Die Kreditgeber in die Knie zwingen

Vaoufakis erläuterte, wie er mit einer Art parallelem Finanzsystem, welches über die Steuernummer der Griechen laufen sollte, Zeit gewinnen wollte. Dafür hätte der Staat seine Schulden über das Taxis-System für elektronische Steuererklärungen an die Begünstigten ausgezahlt. Diese virtuell nur im fiskalischen System existierenden Gelder hätten die Begünstigten in der Folge dann wie elektronische Überweisungen mit anderen Steuerpflichtigen austauschen können.

Die Zeit wollte Varoufakis nutzen, um mit einer einseitigen Streichung der nach griechischem Recht zu behandelnden Obligationen über 27 Milliarden Euro die EZB ins Wanken zu bringen. Die Memoranden der Kreditverträge der früher Troika, späteren "Institutionen", danach "Brussels-Group" genannten Kreditgebergruppe aus EZB, EU, IWF und nun auch des Europäischen Parlaments sind mit englischen Schuldrecht abgeschlossen worden.

Einseitig kann Griechenland gegen diese nicht vorgehen. Bei den fraglichen Staatsobligationen, welche der EZB geschuldet werden, gilt griechisches Recht. Somit könnte der Staat die Papiere schlicht für wertlos erklären. In der Folge wäre die EZB nicht nur finanziell sondern auch hinsichtlich ihrer Autorität in Bedrängnis. Von den daraus resultierenden Turbulenzen, welche in einer Dominoaktion den gesamten Euroraum erschüttern sollten, versprach sich Varoufakis, die Kreditgeber in die Knie zu zwingen.

So lange die Verhandlungen liefen, versuchte Griechenland planmäßig, seine Verpflichtungen zu erfüllen. Die Kreditgeber sollten überrascht werden. In mindestens einem Fall musste Varoufakis einräumen, dass seine Gegner einige Schritte jedoch kannten und erfolgreich torpedierten. Der Geldtransfer aus China scheiterte nach dem Abschluss des Deals an einem Telefonat aus Berlin nach Peking.

"Wie sicher sind Sie, dass Berlin im Spiel war?", fragte Papachelas Varoufakis. "So sicher, wie ich dem chinesischen Premier vertraue", antwortete der. Milliardenkredite aus China hätten ein neues Sparmemorandum überflüssig gemacht.

Der gesamte Plan wurde "Plan X" genannt. Als es kurz nach der Bankenschließung zur Abstimmung im griechischen Verhandlungsteam kam, verweigerten sich vier Mitglieder. Nur einer, den Varoufakis nicht benannte, hielt dem Finanzminister die Treue.

Tsipras Kehrtwende

Schließlich musste Varoufakis erkennen, dass Tsipras vom gewaltigen "Nein" der Griechen beim Referendum am 5. Juli überrascht war. Statt sich über knapp 62 Prozent zu allem entschlossene Griechen zu freuen, blies der Premier Trübsal, als Varoufakis tief in der Nacht in den Amtssitz, Megaron Maximou, kam.

Tsipras bot Varoufakis einen anderen Regierungsposten an. Er erläuterte ihm seinen Plan, zusammen mit den übrigen Parteichefs der Opposition das "Nein" zu ignorieren und ein neues Sparmemorandum zu unterschreiben. Die Folge war Varoufakis Rücktritt (Absturz ins Chaos), weil dieser sich nach eigenen Angaben nicht zum Komplizen des Scheiterns machen lassen wollte.

Zunächst gab sich Varoufakis, der seine Kritik am Schwenk Tsipras mit einer weiterhin existierenden Loyalität zu "Alexis" kombinierte, als Kämpfer gegen die undemokratischen Kräfte in Europa. Mit dem Interview ist er nun auch auf Konfrontationskurs mit dem Mann gegangen, der ihn einst in die Politik holte.

Die Opposition sieht in Varoufakis Enthüllungen einen Beweis für kriminelles Handeln. "Es wurde wissentlich mit der Zukunft Griechenlands gespielt", poltert zum Beispiel Evangelos Venizelos von der PASOK.