Gemetzel in der Vorzeit

Das Skelett KNM-WT 71255 lag mit dem Gesicht nach unten in die Sedimente des Fundortes Nataruk eingebettet. Der Schädel dieses Mannes weist mehrere schwere Verletzungen vorne und an der linke Seite auf. Er wurde mit einer schweren Waffe erschlagen. Foto: Marta Mirazon Lahr/Fabio Lahr

Neue Indizien für Ursprung der Kriege - Vor 10.000 Jahren wurde eine Gruppe von Menschen massakriert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Im nördlichen Kenia, unweit des Turkana-Sees, nahe am Fluss Kerio herrscht heute karge Vegetation. Eine Halbwüste, soweit das Auge reicht. Aber das war nicht immer so.

Die Region um den See in Ostafrika gilt als Wiege der Menschheit, die dortigen Nationalparks zählen zum Welterbe der UNESCO.

Unsere Vorfahren lebten dort einst in einer völlig anderen Umgebung, die sich durch klimatische Veränderungen immer wieder umgestaltete. Vor 10.000 Jahren, als die letzte Eiszeit endgültig vorüber war und das Wetter wieder wärmer wurde, gab es dort einen See und um ihn herum eine vielfältige Pflanzenwelt, die für die damals dort lebenden Jäger, Fischer und Sammler eine gute Lebensgrundlage darstellte. Bis der Tod sie plötzlich ereilte und eine ganze Gruppe von ihnen auslöschte.

Die Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature ist spektakulär, denn sie ist ein weiterer und der bislang deutlichste Beleg für massive Gewalt zwischen Gruppen von Sammlern und Jägern. Ein Überfall, ein kriegerischer Akt, den keiner der Angegriffenen überlebte. Männer, Frauen und Kinder - alle wurden getötet und einfach liegen gelassen.

Ein internationales Wissenschaftlerteam mit mehr als zwanzig Mitgliedern rund um Frances Rivera und Ronika Power von der University of Cambridge stellt dieses Gemetzel nun in einer Studie vor (Inter-group violence among early Holocene hunter-gatherers of West Turkana, Kenya).

Frances Rivera und Denis Misiko Mukhongo bei der Freilegung des Skeletts KNM-WT 71251, das von einem Mann stammt, in dessen Kopf ein kleines Stück Obsidian-Klinge steckte, wahrscheinlich eine Pfeilspitze.Foto: Marta Mirazon Lahr

Friedliche Jäger, kriegerische Bauerngemeinschaften

Seit langem gibt es eine wissenschaftliche Debatte darüber, wie und wann der Krieg zwischen Menschen begann. Es gilt als wahrscheinlich, dass unsere Vorfahren immer schon aus ganz persönlichen Gründen individuell übereinander herfielen und sich dabei durchaus auch töteten.

Unsere engsten Verwandten, die Schimpansen, sind ziemlich aggressiv, gelegentlich töten vor allem erwachsene Männchen einander oder Jungtiere, sie überfallen zudem andere Affen-Gruppen. Dagegen lösen die in weiblich dominierten Gruppen lebenden Bonobos ihre Konflikte vor allem mit Sex-Strategien, sie jagen zwar ab und zu andere Affen, töten normalerweise aber keine Artgenossen.

Evolutionspsychologen leiten aus beiden Bespielen Rückschlüsse auf unsere Vorfahren ab und erklären (zu Recht) beide Strategien als evolutionäres Erfolgsmodell. Folglich kann sich der frühe Mensch friedlich oder sehr aggressiv gegen Artgenossen verhalten haben - fest steht letztlich auf jeden Fall: Homo sapiens war evolutionär extrem erfolgreich.

Schädel KNM-WT 71264 gehörte zu einem Mann, der vor etwa 10.000 Jahren in Ostafrika vermutlich mit einer Keule erschlagen wurde, jedenfalls weist sein Kopf entsprechende Verletzungen auf. Foto: Marta Mirazon Lahr,/Fabio Lahr

Sehr umstritten sind die Versuche, aus der Realität zeitgenössischer Jäger und Sammler Rückschlüsse auf des Leben in der Vorgeschichte zu ziehen - selbstverständlich waren die Lebensumstände damals grundsätzlich andere als heute, egal wo auf der Welt.

In der Menschheitsgeschichte änderte sich im Neolithikum alles grundsätzlich, als unsere Vorfahren begannen, den Boden zu bearbeiten, zu bepflanzen und Nutztiere zu halten. Dass es seit dem Beginn der Sesshaftigkeit zumindest verstärkt zu Überfällen von Gruppen auf andere kam, gilt inzwischen als gesichert.

Nun gab es ja auch etwas zu rauben, oder gar ganze Dörfer mit den dazu gehörenden Feldern zu erobern (Massengrab enthüllt Blutbad in der Jungsteinzeit). Eigentum erregt Neid und Besitzgier. Wie Gruppen unserer Vorfahren vor der neolithischen Revolution reagierten, wenn sie sich zufällig oder gezielt trafen, liegt noch weitgehend im tiefen Schatten der Urgeschichte. Da helfen nur archäologische Befunde weiter.