Republik Moldau: Demonstranten stürmen Parlament

Kurz nach der Ernennung des Premierministers versammeln sich fast zehntausend Menschen in der moldauischen Hauptstadt Chisinau. Sie fordern Neuwahlen und die Inhaftierung des Oligarchen Vladimir Plahotniuc

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Nach der Ernennung des neuen Premierministers am Mittwoch stürmten die Protestierenden das Parlamentsgebäude. Sechs Polizisten und 15 Demonstranten wurden infolgedessen verletzt und ins Krankenhaus eingeliefert. Am Nachmittag skandierten Tausende mit moldauischen Fahnen und diversen Plakaten: "Räuber" und "Wir fordern Neuwahlen". Die Menschen gingen auf die Straße, nachdem die gesetzwidrige Ernennung des neuen Premierministers Pavel Filip bekannt gegeben wurde.

Für seine Kandidatur haben nur 56 Abgeordnete abgestimmt. Die Kommunistische Partei nahm an der Abstimmung nicht teil. Die Sozialisten blockierten die Tribüne, so dass Filip sein politisches Programm aus dem Parlamentssaal ankündigen musste. Tausende Menschen vor dem Parlament forderten den sofortigen Rücktritt der Regierung. Sie schrieen "Weg mit der Mafia" und "Plahotniuc, der Knast wartet auf dich".

Bild: Screenshot

Die Parolen wurden lauter, mehr und mehr Menschen drängten zum Parlamentseingang und schafften es schließlich, ins Gebäude einzudringen. Andere Demonstranten umringten das Gelände, um die Flucht der Parlamentarier zu verhindern. "Wir werden es nicht zulassen, dass diese Räuber uns weiter verarschen. Plahotniuc muss weg und unser Geld zurück ins Staatsbudget", sagte ein junger Mann mit einer Vuvuzela in der Hand. Später zündete er mit anderen Holz und gefundene Äste an.

Insgesamt gab es drei Feuerstellen am Hintereingang des Parlaments. Bei minus 10 Grad ist er bis Mitternacht bei der Demo geblieben. Ob das der nächste Maidan wäre? "Das bezweifle ich sehr. Unser Volk ist passiv. Keiner unterstützt uns. Der amerikanische Botschafter begrüßte schon die Ernennung des neuen Premierministers und der rumänische Präsident Johannis auch. Scheißdemokraten."

Foto: Alisa Bauchina

Die Partei von Renato Usatii (Unsere Partei) stellte warmen Tee und Kekse zur Verfügung. "Nuland verteilte Kekse in Kiew, Usatii hier. Ich würde lieber Schnaps trinken", sagte ein Rentner vor "Unsere Partei"-Zelten. Diese stehen seit September 2015 vor dem Parlament. "Ich habe kein Geld zum Überleben und dieser Plahotniuc setzt seine Show fort."

Wer ist Vladimir Plahotniuc?

Vladimir Plahotniuc und seine Demokratische Partei (PD) schlugen die Kandidatur von Pavel Filip vor, nachdem seine eigene Kandidatur durch den Präsidenten Timofti abgelehnt wurde. Plahotniuc gilt als der Lenker der moldauischen Politik. Er ist der einflussreichste Oligarch des Landes und kontrolliert fast alle wichtigsten Wirtschaftssegmente in der Republik Moldau.

Unter anderem wird ihm vorgeworfen, mittels dubioser Transaktionen über eine Milliarde US-Dollar durch drei moldauische Banken ausgeführt zu haben. Die Unibank, Banca Sociala und Banca de Economii werden zurzeit liquidiert. Tausende Menschen haben hierdurch ihren Job verloren. Dem reichsten Mann Moldaus wird eine ganze Reihe schwerer Verbrechen unterstellt: Bestechung der kommunistischen Partei, ein selbst fabrizierter Gerichtsfall gegen seinen politischen Gegner Grigorij Petrenko, die Inhaftierung des ehemaligen Premierministers Vlad Filat.

Plahotniuc ist für seine skrupulösen politischen Taktiken bekannt: Selten in der Öffentlichkeit zu sehen, koordiniert er das meiste aus dem Schatten seiner Partei. Sein Image wird durch eigene Sender wie Publika TV, Prime, Canal 2 und Canal 3 poliert und er selbst im besten Licht dargestellt.

Am Mittwoch haben diese Sender über die Massenproteste in Chisinau geschwiegen und berichteten stattdessen über den "pro-europäischen Kurs des neuen Premiers" sowie "seine einzigartige politische Vision". Pavel Filip ist der ehemalige Informationsminister der gescheiterten Regierung. Seit Februar 2015 wurde der Premierminister in Chisinau schon fünf Mal ausgetauscht. Diese Instabilität entblößte das gespaltene pro-europäische Lager und seine misslungenen Versuche, eine starke und sichere Regierung zu formen.

Schlägerei, Verkleidungsskandal und schmähliche Facebook-Likes

Am Abend kam Renato Usatii, Führer der "Unsere Partei", aus Moskau zurück und hielt eine emotionale Rede vor den Protestierenden. Mit ihm zusammen war der Vorsitzende der Sozialisten, Igor Dodon, auf der Bühne. Beide baten die Versammelten, weiter zu demonstrieren, riefen jedoch zu ausschließlich friedlichen Protestaktionen auf.

Danach waren die beiden Politiker zur Live-Talkshow "Politica" der bekannten moldauischen Journalistin Natalia Morari eingeladen. Die Demonstranten vor dem Parlament konnten die Ausstrahlung an der Leinwand live verfolgen. In der Menschenmenge konnte man immer wieder "Iudas", "auf die Schnauze gekriegt" sowie Händeklatschen hören.

Die meisten bejubelten den Sieg - Mihai Ghimpu, der Vorsitzende der Liberalen (PL) und einer der führenden Kräfte der "Allianz für europäische Integration", wurde angegriffen. Als er das Parlament verließ, wurde er von Unbekannten ins Gesicht geschlagen. "Rache für seine für Pavel Filip abgegebene Stimme. Dafür hat Plahotniuc bezahlt", erklärte mir eine der Demonstrantinnen.

Doch dabei sind die Ereignisse dieses Tages nicht geblieben. Die im Gebäude eingesperrten Parlamentarier konnten nicht fliehen. Sie mussten sich Polizeiuniformen anziehen, um das Gebäude problemlos verlassen zu können. Hinter Schutzhelmen mit Visier wurden im Dunkeln keine Gesichter erkannt, so waren sie geschützt vor möglichen Angriffen.

Als die Demonstranten in der Kälte standen, veröffentlichte der offizielle Facebook-Account der Regierung ein Foto. Eine 26-Jährige sollte den 20.000 Like gedrückt haben und dafür ein persönliches Geschenk erhalten.

Am Donnerstag kündigte die Staatsanwaltschaft an, die Täter vom Tag zuvor würden für ihre Straftaten haften. Gemeint ist nicht die gesetzwidrige Ernennung des Premierministers, sondern die Beschädigung des Parlamentsgebäude sowie sechs verletzte Polizisten. Allerdings verliert die Staatsanwaltschaft kein Wort über 15 Demonstranten, die von der Polizei geschlagen wurden und andere durch Tränengas Verletzte. Amnesty International Moldova forderte die Regierung auf, politisch motivierte Gerichtsprozesse beiseite zu lassen.

Europa vs. Russland

Es sind weitere Proteste von "Unsere Partei" und Sozialisten geplant. Viele der Demonstranten werfen den beiden Parteien vor, russische Interessen vertreten zu wollen. Viele wünschen sich jemanden, der für Interessen der Republik Moldau kämpfen würde. Wie eine der Protestierenden sagte:

Warum müssen wir uns immer zwischen Europa oder Russland entschieden? Dürfen wir nicht mit beiden befreundet sein?"

Auf diese Frage hätte wahrscheinlich weder die Regierung noch die Opposition eine Antwort. Die Interessen der Republik werden dann vergessen, wenn Korruption und Machtspiele vortreten und wichtiger werden.