Seltene Eintracht zwischen HSV- und St. Pauli-Fans

HSV-Fans. Bild: Frisia Orientalis/CC-BY-SA-3.0

Hamburg: Polizei unterhält eine umfassende, geheime Datenbank über Fußballfans, denen die Absicht unterstellt wird, möglicherweise straffällig zu werden

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Die Datei ist streng geheim. So geheim, dass in der Vergangenheit mehrfach bestritten wurde, dass es sie überhaupt gibt. Und die darin erfassten Straftaten erst. Die sind so geheim, dass diejenigen, die bezichtigt werden, sie möglicherweise begehen zu können, selbst noch nicht wissen, dass sie sie möglicherweise begehen könnten. Geschweige denn diejenigen, die zu Fußballspielen Personen begleiten, die möglicherweise Straftaten begehen könnten, von denen sie selbst noch nicht wissen, dass sie sie möglicherweise begehen könnten.

Die so genannten Szenekundigen Beamten (SKB) der Hamburger Polizei haben allerdings einen Blick für so etwas und sammeln fleißig Daten. Auch von Personen, die noch nie straffällig geworden und nie im Zusammenhang mit Hooligan-Gewalt aufgefallen sind. Die vielleicht nur ganz zufällig zur selben Zeit im selben Stadion wie der SKB waren und ganz zufällig neben jemandem standen, der einen kennt, der dem SKB bekannt ist. Klingt verrückt? Ist aber wahr.

Die "Datei Gewalttäter Sport"

Bekannt ist, dass in der bundesweiten "Datei Gewalttäter Sport" (DGS) Daten von Personen gesammelt werden, die beschuldigt oder verdächtigt werden, Gewalttaten begangen zu haben oder begehen zu wollen. Zudem so genannte "Störer". Aber auch unbeteiligte Personen, die mit Gewalttätern oder Störern in Verbindung gebracht werden. Und sei es rein zufällig. Kurzum: "Das kann jede und jeden betreffen", wie der St. Pauli Fanladen auf seiner Homepage beschreibt.

Laut einer Schriftlichen Kleinen Anfrage verschiedener Abgeordneten der Partei Die Linke an den Bundestag waren in dieser Datei im März 2012 13.032 Personen registriert.

Bekannt ist ferner, dass in mindestens sieben Bundesländern - Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Berlin, NRW, Niedersachsen, Sachsen, Hessen - neben der DGS verschiedene lokale Arbeitsdateien existieren, die von den sogenannten Szenekundigen Beamten (SKB) geführt werden.

In NRW sind in der lokalen Datei 6.500 Personen gespeichert, während in der bundesweiten Datei DGS 4.700 Personen aus NRW geführt werden.

Hamburg: Existenz einer eigenen Datei zunächst verneint

Das veranlasste die innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Partei Die Linken und stellvertretende Bürgerschaftspräsidentin, Christiane Schneider, zu einer Kleinen Schriftlichen Anfrage an den Hamburger Senat. Sie wollte herausfinden, ob entgegen früherer Aussagen auch in der Hansestadt eine solche Datei existiert.

Aus der Antwort des Senats, die mit dem 12.1.2016 datiert ist, geht hervor, dass diese Datenbank seit dem 1. Juni 2006 existiert:

Mit Stichtag 6. Januar 2016 sind in der Datei 'Gruppen- und Szenegewalt' 2.170 Personen aus dem Bereich Fußball eingetragen

Antwort des Hamburger Senats

Darunter u.a. 1.070 Fans des Hamburger Sport Vereins (HSV), 426 des 1. FC St. Pauli, 70 des 1. FC Köln, 60 des TSV München 1860 und 24 des 1. FC Bayern München. Außerdem 30 Fans von Eishockey- und Handballvereinen. Kategorisiert werden sie nach: Beschuldigter, Verdächtiger, Kontakt - und Begleitperson, Störer, Störer (Waffen)1

Als "Beschuldigte" werden 1.530 Personen geführt, als "Verdächtigte" 70, als "Kontakt- und Begleitpersonen" 600. "Störer" gibt es in Hamburg offensichtlich keine. Gespeichert werden Name, Anschrift, Geschlecht, Telefon, Mailadresse, Vereins- und Gruppenzugehörigkeit, Bilddateien, Straftaten - sofern vorhanden.

Der Antwort des Senats zufolge sind also 30% der in der Datei geführten Personen solche, bei "denen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass ..." die Speicherung ihrer Daten irgendwann mal irgendeinen Sinn ergeben könnte. Oder eben auch nicht. Aber auch sie werden mit Name, Anschrift, Mailadresse, Bild etc. gespeichert.

Laut Hamburger Abendblatt hat die Polizei Hamburg "noch im Sommer 2014 die Existenz einer eigenen Datei zur Speicherung von Gewalttätern aus dem Sportbereich verneint". Damals hatte Burkhard Masseida, Mitglied der Piratenpartei, nach Transparenzgesetz wissen wollen, ob, ähnlich wie in Berlin, "auch bei der Polizei Hamburg eine entsprechende eigene Datei über Sportgewalt geführt wird".

Das Landeskriminalamt antwortete ausweislich des im Portal fragdenstaat.de dokumentierten Schriftwechsels am 29. Juli 2014, "dass die Polizei Hamburg verbunden ist mit der Ihnen bekannten Datei 'Gewalttäter Sport' des Bundeskriminalamts (BKA), darüber hinaus jedoch keine eigene derartige Datei führt".

Diese Aussage erscheint heute wie eine "bewusste Falschauskunft". Auch dem FC. St. Pauli gegenüber sei vor geraumer Zeit auf persönliche Nachfrage bei einem Hamburger szenekundigen Beamten die Existenz einer solchen Datei verneint worden, heißt es in dem Artrikel weiter.

Fan-Verbände entsetzt

Fan-Verbände des HSV und des FC St. Pauli zeigen sich gleichermaßen entsetzt. Der Fanladen des FC St. Pauli ruft dazu auf, mittels eines Auskunftsbogens an das Landeskriminalamt Hamburg zu erfragen, ob die eigene Person sich unter den in der SKB-Datei gespeicherten befindet:

Dabei ist vollkommen unerheblich, ob ihr damit rechnet, in der Datei geführt zu werden! Das kann jede und jeden betreffen! Daher sollte auch jede und jeder ein Auskunftsersuchen abschicken!

Das könnte der Willkommensgruß für den neuen Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) werden. Der wurde am vergangenen Mittwoch in der Hamburgischen Bürgerschaft vereidigt, nachdem wenige Tage zuvor Michael Neumann (SPD) von seinem Amt als Senator für Inneres und Sport zurückgetreten war. Der Lehrbeauftrage an der Helmut-Schmidt-Universität (Uni der Bundeswehr) war als "Klobürsten-Senator" in die Geschichte der Hamburger Senatoren-Galerie eingegangen.

In seine Amtszeit - und somit Verantwortung - fallen u.a. das berühmt-berüchtigte Gefahrengebiet im Hamburger Schanzenviertel, für das die Klobürste als Zeichen des Widerstandes steht (Freie und Polizeistadt Hamburg), der katastrophale behördliche Umgang mit den Flüchtlingen in Hamburg - erst kürzlich wurden erneut im großen Stil Flüchtlinge in Zelten untergebracht - sowie die so kostspielige wie erfolglose Olympia-Bewerbung.

Dem Ansinnen der Hansestadt, sich als Austragungsort für Olympia 2024 zu bewerben, war mittels eines Referendums am 29. November 2015 eine Absage erteilt worden. Allerdings weist Neumann den Zusammenhang seines Rücktritts mit der Olympia-Schlappe von sich.

Grote jedenfalls tritt ein schweres Erbe an, und dieser Polizeiskandal wird dem bisherigen Chef des Bezirksamtes Hamburg-Mitte den Einstieg sicher nicht erleichtern.