Schweden vs. Polen: Sexismus-Debatte in der Handball-EM

Ein Schatten liegt derzeit auf den Wettkämpfen der Handball-Europameisterschaft der Herren in Polen. Wird in den Sporthallen an der Weichsel etwa Sexismus propagiert?

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Tobias Karlsson, der Kapitän der schwedischen Mannschaft, legte diesen Verdacht nahe, als er den Auftritt polnischer Cheerleader in einer Pause gewahrte. Der 34-Jährige fühlt sich wohl in die USA der achtziger Jahre gebeamt: "In welchen Jahr befinden wir uns eigentlich?", so kritisierte er gegenüber einer schwedischen Zeitung. "Wir sollten da eigentlich schon weiter sein".

Karlsson war bereits zu diesem Zeitpunkt sauer, da ihm ein Tag zuvor von der Europäischen Handballföderation das Tragen seiner Regenbogenbinde verboten worden war. Die Binde solle die Nationalfarben der Mannschaft vermitteln, so die öffentliche Begründung des Verbands.

Karlsson, der sonst für den SG Flensburg-Handewitt spielt, wollte mit der Binde ein Zeichen für Toleranz und Gleichbehandlung aller Menschen setzen. Der Regenbogen steht für die Bewegung der Lesben und Schwulen. Gastgeber Polen gilt als Land, das weniger offen gegenüber Homosexuellen eingestellt ist. Vor allem seit Mitte November, also seit die allein regierende Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) einen nationalkonservativen Wandel im Land vorantreibt und gegen die Gender-Ideologien wettert.

Karlsson hatte zweimal für Furore in Polens Medien gesorgt. Zum einen wegen seines Plans, die Regenbogenbinde zu zeigen. Der Schwede glaube, wir seien zurück geblieben und müssten erzogen werden, empörte sich das Boulevardblatt "Super Express" Anfang Januar. Zum anderen, weil er die Cheerleader kritisierte.

"Wir fühlen uns nicht als Sexobjekte", so Aleksandra Wójcik von "Cheerleader Gdynia", der bekanntesten Formation Polens. Die Sportlerin, die 2004 an den Olympischen Spielen in der Disziplin "Rhythmische Gymnastik" teilnahm, verweist auf weitere prämierte Sportlerinnen, die den Cheerleadern angehören, und fordert, als Sportlerin von dem Handballer ernst genommen zu werden.

Erwartungsgemäß wollen sich die polnischen Fans nach einer Befragung der polnischen Medien den Spaß an der langbeinigen Pausenunterhaltung nicht vergällen lassen. Die Danziger Literaturwissenschaftlerin und Feministin Ewa Graczyk ist Karlsson jedoch dankbar für seinen Debattenanstoß. Polen sei ein Land, in dem immer noch Frauen auf den Po geklopft werde: "Wir sind weit entfernt von einer schwedischer Sensibilität."

In Schweden gelten strikte Codes in der Öffentlichkeit, was Themen wie Gleichberechtigung und Minderheiten angeht. Sogar in den Streitkräften des skandinavischen Landes wirkt eine Transgender-Beauftragte, Soldaten in Uniform nehmen an Pride-Paraden teil.

Die Frage, ob Polen aufgrund von Cheerleader-Einlagen bei Sportereignissen in Sachen Gleichberechtigung hintendran ist, scheint so noch nicht beantwortet. Schließlich gibt es in keinem Land Europas so viele Unternehmerinnen wie in Polen. Jede dritte Firma wird in Polen von einer Frau gegründet, auf der oberen Managementebene ist fast jede zweite Position weiblich besetzt. Dies spricht für einen hohen Gleichberechtigungsgrad beziehungsweise Selbstbewusstsein der Polinnen.

Vielleicht handelt es sich hier um eine Kulturbruchstelle zwischen dem westlichen und dem östlichen Europa. Die Zurschau-Stellung des weiblichen Körpers stört im Osten niemand, Flagge zeigen für sexuelle Minderheiten schon eher. Ein Papierregenbogen auf dem Warschauer Erlöserplatz wurde mehrfach angezündet.

Was die Polen auch stört - wenn der Westen schlecht über das Land redet. Das Cheerleaderthema wird nun in Polens Medien rauf und runter gebetet, zuletzt in Hauptnachrichten des Staatssenders TVP.