Libyen: Parlament lehnt von der UN unterstützte Einheitsregierung ab

Frankreich und die USA drängen auf eine Regierung, die eine Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Schleuserkriminalität und des IS ermöglicht

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An den griechischen Küsten werden weiterhin hohe Zahlen von ankommenden Flüchtlingen gezählt: Die International Organization for Migration meldet für die ersten drei Wochen des neuen Jahres 35. 949 Ankünfte über den Seeweg, über sogenannte östliche Mittelmeer-Route. Dabei sind 95 Menschen im den Gewässern zwischen Griechenland und der Türkei ums Leben gekommen.

Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum seien 20 mal so viele Geflüchtete, die sich von Griechenland über die Balkanroute auf den Weg nach Mitteleuropa machen, so das IOM.

Für die "zentrale Mittelmeerroute", die Nordafrika mit Italien verbindet, ermittelt die Organisation weitaus geringere Zahlen. Aus Italien wurden bis zum 21. Januar 950 Neuangekommene gemeldet. Laut der IOM-Meldung wurden sie im Meer gerettet, sie werden als "Arrivals" gezählt. Auf dieser Route werden bislang 18 Tote verzeichnet. Das sei ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr, notiert die Organisation.

Woran es genau liegt, dass die zentrale Mittelmeerroute von weniger Flüchtlingen befahren wird, ob dies mit den längeren Seewegen in Verbindung mit der Winterwitterung zu tun hat, oder ob vielleicht die EU-Mittelmeeraktionen gegen Schleuser damit zu tun haben könnten, dafür gibt es noch keine offizielle Erklärung.

Der französische Verteidigungsminister Le Drian äußerte vergangene Woche die Vorahnung, dass sich die Situation im Frühling ändern könnte, wenn das Meer ruhiger sei.

Drian: libysche Hoheitsgewässer bald für EU-Operation öffnen

Er drängt darauf, die EU-Operation NAVFOR MED Sophia auszubauen, woran auch deutsche Streitkräfte beteiligt sind.

Le Drian möchte, dass die Operation nicht auf Gewässer außerhalb des libyschen Hoheitsgebietes beschränkt bleibt. Man müsse möglichst schnell in den libyschen Gewässer agieren können, um Boote mit Flüchtlingen wieder zurückzudrängen und um "effektiver für die Zerschlagung der Schleuser-Netzwerke auf libyschem Boden kämpfen zu können".

Dazu allerdings braucht es die Einwilligung einer international anerkannten libyschen Regierung, wie auch Le Drian betont - mit der gegenwärtig etwas realitätsfern anmutenden Hoffnung, dass die radikalen Gruppen und die Milizen die Autorität einer Einheitsregierung akzeptieren und "auf den bewaffneten Kampf verzichten".

Militärkommandeure in den USA drängen

Auch in den USA machen sich Militärkommandeure, wie der Chef des U.S. Special Operations Command, Joseph Votel, Gedanken über die Sicherheitslage in Libyen, an Plänen und Konzepten für "Einsätze zur Sicherung der Stabilität des Landes" gegen Bedrohungen wie den IS fehlt es laut einem Defense One-Bericht nicht. Aber es fehlt an einer Regierung als Partner.

General Joseph Dunford, Vorsitzender der Joint Chiefs of Staff, meldete vergangenen Freitag neue Dringlichkeit an, man müsse schnell handeln in Libyen, aber es sei allen klar - dazu erwähnte er Frankreich und die USA -, dass dies nur in Verbindung mit der neuen Regierung gehe.

Dem ungeduldigen Drängen hat das - von der UN offiziell anerkannte - libysche Parlament im Osten des Landes eigenmächtig heute erstmal eine Abfuhr erteilt. Es stimmte mehrheitlich gegen die nationale Einheitsregierung, die vergangene Woche vom Präsidialrat nominiert wurde.

Möglichst schwache Einheitsregierung

Die über UN-Vermittlung in monatelangen Verhandlungen ausgearbeitete Vereinbarung zum politischen Prozess in Libyen wurde angenommen, außer in einem Punkt, Artikel 8 - der verfügt, dass die neue Regierung die wichtigsten Militärposten neu besetzen kann.

Hinter der Ablehnung stehen mehrere Interessens-, Macht- und Postenkonflikte. Offiziell wurde die Ablehnung damit begründet, dass die neue Einheitsregierung weniger Ministerposten haben sollte, nämlich nur zehn statt 32. Dem Präsidialrat wird der Vorwurf gemacht, mit der Ausweitung auf 32 Ministerposten, ursprünglich waren zehn vorgesehen, der Vetternwirtschaft zu frönen.

Ohnehin ist die Legitimität der Regierung und der Auswahl der Politiker ziemlich Libyen: Der IS greift erneut Ölanlagen an umstritten. Frühere Gaddafi-Vertraute werfen ihr vor, dass sie von der UN aufgezwungen sei.

Der kleinste gemeinsame Nenner aller Seiten, inklusive des Parlaments in Tripolis, dürfte sein, dass die Einheitsregierung möglichst schwach ist.

General Haftar im Hintergrund

Eine große Rolle dürfte der starke Mann im Hintergrund, General Haftar, ebenfalls lange Zeit ein Gaddafi-Mann, gespielt haben, die die neue Regierung ebenfalls ablehnt.

Er war in der bisherigen Regierung im Osten der Befehlshaber der libyschen Streitkräfte. In der Einheitsregierung wurde ihm aber der Posten des Verteidigungsministers versagt. Ein früherer Gefolgsmann bekam ihn stattdessen, was Haftar gekränkt haben dürfte.

Wichtiger noch ist aber, dass der oben genannte Artikel 8 seine militärische Macht, an der er festhält - er kämpft nach wie vor mit libyschen Truppen gegen Islamisten in Benghazi - deutlich beschränken würde. Bekannt ist, dass Chalifa Haftar von Ägypten unterstützt wird und ein ehemaliger CIA-Mitarbeiter war (Link auf 43600).

UN-Sonderbeauftragter Martin Kobler drängt auf rasche Entscheidung

Der UN-Sonderbeauftragte für Libyen, der deutsche Martin Kobler, konstatiert in seinem Statement, dass das Repräsentantenhaus Vorbehalte gegen den Artikel 8 hat und dass man die Zahl der Minister auf 10 reduzieren will, aber, so Kobler, der Präsidialrat und das Repräsentantenhaus mögen sich sputen.