Generalangriff auf die Energiewende

Wie bereits letzte Woche gemeldet, hat die globale Erwärmung im vergangenen Jahr einen regelrechten Sprung gemacht. Diese Darstellung des Goddard Institutes for Space Studies veranschaulicht das recht gut. Bild GISS/NASA

Die Energie- und Klimawochenschau: Nord-Bundesländer wollen weiteren Ausbau, aber die Union will die Energiewende vollends abwürgen

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Nach dem der Ausbau der Solarenergie nur noch im Schneckentempo voran kommt (ca. +1,4 Gigawatt 2015) und Biogasanlagen kaum noch gebaut werden, droht nun auch der Windenergie Unbill. Der Streit um ihren weiteren Ausbau ist voll entbrannt.

Am Montag trafen sich die Ministerpräsidenten der Nordländer (Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein) mit Vertretern der Gewerkschaften, der Hersteller sowie von Betreiber-Verbänden in Wismar. In einem sogenannten Wismarer Appell wurde eine gemeinsame Position formuliert

Darin heißt es unter anderem, das 2014 im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) "politisch gesetzte Ziel eines Anteils der Erneuerbaren Energien am gesamten Stromverbrauch von 40-45% bis 2025 darf nicht als Obergrenze missverstanden werden. Der künftig deutlich höhere Bedarf an erneuerbarem Strom z.B. im Wärme- und Mobilitätsbereich sowie das Abkommen von Paris zum globalen Klimaschutz sprechen für eine schnellere Zielerreichung."

Unter anderem wird auch darauf verwiesen, dass in den nächsten Jahren bis spätestens 2022 die Atomkraftwerke nach und nach abgeschaltet und ersetzt werden müssen. Wenn man dafür den erneuerbaren Energieträgern keinen Raum gibt, würden Kohlekraftwerke die Lücke ausfüllen und damit die Treibhausgasemissionen erhöhen.

Konkret wird befürchtet, dass der künftige Ausbau weniger stetig und nur noch gedrosselt vonstatten gehen könnte. Das könnte aber ein Problem für die Industrie und die rund 18.000 direkt bei den Herstellern Beschäftigten sein. "Jährlich schwankende Ausschreibungsmengen nehmen den Unternehmen die Planungsgrundlage und gefährden Arbeitsplätze", heißt es in dem Appell. Ein "Fadenriss" durch fehlende Anschlussaufträge - wie ihn die Solar- und Biogasbranche bereits erlebt hat - müsse auf jeden Fall vermieden werden. Eine "kritische Masse an Ausbauvolumina" sei erforderlich, um technische Innovation und Kostendämpfung voranzutreiben.

Daher wird unter anderem gefordert, an dem im jetzigen EEG vorgesehenen Ausbaupfad von jährlich 2,5 Gigawatt (GW) Windenergieleistung an Land (netto) festzuhalten. In den Ende November vom Bundeswirtschaftsministerium vorgestellten Eckpunkten für die nächste EEG-Novelle (siehe Energiewende: Der Tritt auf die Bremse) wird hingegen die künftig per Ausschreibung strikt regulierte Höchstmenge an zugelassenem Neubau an die Entwicklung der Offshore-Windenergie und der Solarenergie gebunden. Das Ergebnis wären Teils erhebliche jährliche Schwankungen und ein stärker limitierter Ausbau.

Mehr Kontinuität wird auch für den Offshore-Ausbau gefordert. Auch im nächsten Jahrzehnt, so die Forderung des Wismarer Appells, sollten jährlich zwei bis drei neue Parks mit zusammen mindestens 0,9 GW vor den Küsten entstehen. Nur so würde das notwendige Potenzial zur Kostensenkung erreicht. Daher müsse sichergestellt werden, dass der zuständige Übertragungsnetzbetreiber unverzüglich mit den Arbeiten für die 2021 und 2022 auf der Nordsee benötigten Netzanschlüsse beginnen. Auf Land müsse der Netzausbau abgesichert und beschleunigt werden.

Derweil nehmen führende Köpfe der Unionsfraktion im Bundestag den ihrer Ansicht nach verzögerten Netzausbau - einen gewissen Anteil daran hat bekannter Maßen die CSU-Landesregierung in Bayern - zum Anlass, eine noch stärkere Drosselung des Ausbaus zu fordern. Die stellvertretenden Fraktionssprecher Michael Fuchs und Georg Nüßlein sowie die energiepolitischen Sprecher Joachim Pfeifer und Thomas Bareiß beschweren sich einem Brief an Kanzleramtsminister Peter Altmaier, dass der Ausbau der erneuerbaren Energieträger "schon jetzt" zu schnell gehe und mit dem Netzausbau nicht stand halte.

Vorschläge, wie dieser beschleunigt oder aber (teilweise) überflüssige gemacht werden könnte, tragen sie nicht vor. Letzteres wäre mit mehr Speichern unterschiedlichster Art sowie dezentralem Ausbau möglich. Allerdings ist der Ausbau der Windenergie in Bayern und Sachsen aufgrund der Verhinderungsstrategien der dortigen Landesregierungen fast zum Stillstand gekommen und in Baden-Württemberg kommt er auch nicht recht in Gang.

Stattdessen wird gefordert, im Rahmen des neuen Ausschreibungsverfahrens zunächst nur Ziele für 2019 und 2020 vorzugeben, was potenziellen Betreiber und Herstellern die Planungssicherheit nehmen würde. Außerdem verlangen sie, dass die Ausschreibungen auf einen engen Rahmen zielen sollten. Der Anteil der Erneuerbaren am Bruttostromverbrauch sollte auf 32,6 bis 37 Prozent im Jahre 2020 beschränkt bleiben.

Außerdem müsse mit einer scharfen einmaligen Absenkung der Vergütungen für Strom aus Neuanlagen dafür gesorgt werden, dass es 2017 und 2018, wenn die Ausschreibungsverfahren noch nicht greifen, zu keinem Boom kommt. Alles in allem läuft ihre Forderung fast auf einen Ausbaustopp hinaus, denn der Anteil von Wind, Sonne & Co. betrug 2015 schon etwas mehr als 32 Prozent am Bruttoinlandsverbrauch. Die energiepolitische Sprecherin der Bundestags-Grünen, Julia Verlinden, sieht darin einen "Generalangriff auf die mittelständisch geprägte Erneuerbaren-Branche mit ihren 350.000 Arbeitsplätzen und eine absurde Reaktion auf das Ergebnis des Pariser Klimagipfels."

Statt jetzt den Ausbau der Erneuerbaren Energien voranzutreiben, um die Klimaziele zu erreichen, wollen die Unionsvertreter eine Vollbremsung. Die vorgeschobene Begründung für den verlangten Ausbaustopp, der Netzausbau komme nicht schnell genug voran, ist fadenscheinig. Schon in diesem Jahr werden wichtige Stromleitungen wie die Thüringer Strombrücke fertiggestellt und damit ein großer Teil der drängendsten Netzprobleme behoben.

Julia Verlinden, energiepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen

Verlinden fordert von der Bundesregierung außerdem ein schnelleres Abschalten der alten Braunkohlekraftwerke. Damit können der Stromexport verringert und auf diesem Wege Netzkapazitäten freigemacht werden. Der Nettostromexport hat 2012, 2013, 2014 und 2015 jeweils neue Rekorde erreicht. Zuletzt betrug er nach den Angaben der Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme 2015 rund 48 Terawattstunden. Das war ein rundes Drittel der Produktion aller Braunkohlekraftwerke.