Landgericht Hamburg schränkt Weiterleiten von E-Mails weiter ein

Whistleblower gibt im Kampf gegen die Führungskraft einer NGO auf

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Das Landgericht Hamburg hat die Möglichkeiten zum Weiterleiten von E-Mails weiter eingeschränkt, indem es eine einstweilige Verfügung vom März 2015 in einem Urteil bestätigte. Eine Begründung dafür fehlt in dem Urteil mit dem Aktenzeichen 324 O 90/15, das Telepolis vorliegt. Die darin bestätigte Einstweilige Verfügung verpflichtet einen niedersächsischen Whistleblower nicht nur dazu, E-Mails der Führungskraft einer NGO nicht mehr weiter zu verbreiten, sondern auch vier Aussagen zu unterlassen - und zwar unabhängig davon, ob sie wahr sind oder nicht.

In der Weiterleitung der zwei kurzen Mails sieht das Landgericht Hamburg nämlich eine Persönlichkeitsrechtsverletzung, obwohl es in ihnen nicht um persönliche Angelegenheiten ging, sondern darum, wie die NGO mit Mitarbeitern umgeht. Dem steht nach Meinung der Hamburger Richterin Simone Käfer auch nicht entgegen, dass sich die Absenderin der Mails auch politisch engagiert, mit Prominenten von Pressefotografen ablichten lässt und einer Journalistin Auskunft zu dem Arbeitsrechtsstreit erteilte, um den sich die Mails drehen.

Weil der Whistleblower und dessen Anwalt - der bekannte Düsseldorfer Blogger Udo Vetter - Zweifel daran hatten, das der vorher mit umstrittenen Entscheidungen bekannt gewordene Richter Andreas Buske in der nächsten Instanz anders entscheidet und der Bundesgerichtshof anschließend den Fall als so interessant ansieht, dass er Kapazitäten dafür frei macht, riskierten sie die circa 7.500 Euro weiteren Kosten nicht und ließen die Entscheidung Anfang dieser Woche rechtskräftig werden.

Dass sie das konnte, liegt nach Meinung des Whistleblowers auch daran, dass das Landgericht Hamburg den Fall in fragwürdiger Weise an sich zog und die örtliche Zuständigkeit damit begründete, dass der Whistleblower ein in Hamburg wohnendes "Aushängeschild" der NGO kontaktiert hatte.

Vorher hatte die Führungskraft behauptet, der Whistleblower habe die E-Mails von Hamburg aus weitergeschickt. In den Dokumenten des Gerichts ist die Adresse des Whistleblowers falsch angegeben - hinter der Postleitzahl steht anstatt der niedersächsischen Ortschaft, in der er wohnt, "Hamburg". Trotz eines expliziten Hinweises mit Beweisvortrag im Widerspruch und trotz eines erneuten Hinweises in der mündlichen Verhandlung tauchen selbst im Urteil erneut die nicht-existente Straße und die Postleitzahl auf, weshalb der Whistleblower sich fragt, ob sein Widerspruch während des über 270 Tage dauernden "Eilverfahrens" gründlich gelesen wurde und wie aufmerksam die insgesamt drei Richterinnen in der mündlichen Verhandlung zuhörten.

Die Führungskraft der NGO, deren E-Mails er weitergeleitet hatte, wohnt ebenfalls nicht in Hamburg, sondern in Baden-Württemberg. Sie erscheint im Kostenfestsetzungsbeschluss zum Urteil aber nicht mit ihrer eigentlichen, sondern mit einer c/o-Firmenadresse in Hamburg.

Auch die Argumentation Vetters, dass es "in Zeiten von Smartphones und Laptops" überhaupt nicht feststeht, ob der Hamburger Empfänger die E-Mails, um die es ging, im Stadtgebiet oder außerhalb las, konnte das Landgericht nicht überzeugen - es wollte den Fall weder an ein Landgericht in Niedersachsen noch an eines in Baden-Württemberg abgeben. Aussagen in der Öffentlichkeit, die der Whistleblower und sein Anwalt gesammelt hatten, um darzulegen, warum sich in diesem Kontext die Frage stellt, inwieweit der in den E-Mails zum Ausdruck kommende Umgang mit Mitarbeitern zu solchen Ansprüchen passt, beeindruckten Richterin Käfer ebenfalls nicht. Gleiches gilt für die von Vetter vorgebrachte Tatsache, dass die Antragstellerin die ihrer Behauptung nach "internen" und "vertraulichen" E-Mails im CC-Feld selbst an Dritte weitergegeben hatte.

Der bisherigen Rechtsprechung des BGH nach können E-Mails dann "veröffentlicht" werden, wenn das öffentliches Interesse das "Bestimmungsrecht" des Verfassers, dessen Anspruch auf Persönlichkeitsschutz und (bei Vorliegen einer Schöpfungshöhe) eventuelle urheberrechtliche Ansprüche überwiegt. Der Juraprofessor Niko Härting erläutert das an folgenden Beispielen: "Die Veröffentlichung erotischer Briefe eines Popmusikers in der Boulevardpresse ist daher anders zu bewerten als Liebesgrüße eines Politikers an eine wegen terroristischer Delikte verurteilte Straftäterin."

Deshalb müssen nicht nur Whistleblower, die vor der Frage stehen, ob sie eine Mail öffentlich machen, eine Güter- und Interessenabwägung vornehmen, sondern auch Gerichte, die darüber entscheiden. Ein solche Abwägung ist im Urteil des Landgerichts Hamburg mit dem Aktenzeichen 324 O 90/15 (in dem, wie oben erwähnt, eine Begründung fehlt) nicht erkennbar. In der Einstweiligen Verfügung steht unter der Überschrift "Gründe" lediglich ein kurzer - relativ abstrakt gehaltener - Text, der in anderen Entscheidungen gleichlautend auftauchen könnte:

Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch [zu]. Die Verbreitung der umstrittenen Äußerung verletzt diese in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Ausweislich der vorgelegten Anlagen hat der Antragsgegner die in Rede stehenden Texte bzw. Äußerungen nicht nur an einen Personenkreis gesandt bzw. eine Übersendung angekündigt, der möglicherweise ein anzuerkennendes Interesse hat, über die in Rede stehenden Vorwürfe informiert zu werden, sondern auch an Personen, bei denen ein solches Interesse nicht festzustellen ist. Es ist daher nicht maßgeblich, ob die Vorwürfe, deren Berechtigung die Antragsgegnerin darüber hinaus in Abrede nimmt, zutreffen. Auch über zutreffende Vorwürfe darf nicht jeder informiert werden.

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