"Polen ist das neue Russland"

Skeptischer Blick der Balten auf den polnischen Konfrontationskurs

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Einen kühnen Vergleich zog diese Woche Nerijus Maciulis, der Chefvolkswirt der Swedbank in Litauen: "Polen ist das neue Russland, genauso unberechenbar, fast so gefährlich angesichts seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik." Dadurch sei der litauische Export nach Polen gefährdet. Gleichzeitig erhofft sich Macilus ein Abwandern von Investoren in die baltischen Länder.

Polen, einst als Wirtschaftswunderland der neuen EU-Mitglieder gefeiert, ist derzeit mit seinen staatlichen Eingriffen in die Gewaltenteilung und die öffentlich-rechtlichen Medien in der internationalen Kritik. Die EU-Kommission hat ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren eingeleitet. Zudem will das Land Banken sowie Supermärkte mit ausländischem Kapital besteuern. Die US-Ratingagentur Standard & Poor's hat darum die Kreditwürdigkeit Polens Mitte Januar herabgestuft.

Für Litauen ist der große Nachbar Exportland Nummer zwei, durch die Abwertung des Zlotys könnte diese Position gefährdet sein. Die baltischen Länder mussten aufgrund des im August 2014 verhängten russischen Embargos vor allem für ihre Milchprodukte neue Abnehmer suchen, dazu gehört China (Baltische Länder - der Plan B heisst China).

Doch trotz Krisen sehen die Prognosen für das baltische Land, das 2015 den Euro eingeführt hat, gut aus. Dank eines erhöhten Konsums und der Erfolge in der Technologie-Branche soll das Bruttoinlandsprodukt soll um 3,3 Prozent wachsen, die Gehälter sollen um 6,5 Prozent steigen. Für Lettland und Estland werden ähnliche Wachstumszahlen prognostiziert.

Der Vergleich Polens mit Russland kann jedoch auch ein abgekartetes Spiel sein - schließlich hat Wirtschaftsminister Elwaldas Gustas Mitte Januar angekündigt, zehn Millionen Euro in Fonds anzulegen, um ausländische Investoren anzulocken. In Litauen sind die Direktinvestitionen aus dem Ausland im dritten Quartal um 247, 14 Millionen angewachsen, führend ist hier Schweden mit Immobilienprojekten - das Mutterland der Swedbank.

Hinzukommt, dass die polnisch-litauischen Verhältnisse durch Spannungen um die polnische Minderheit in der ehemaligen Sowjetrepublik belastet sind. Die Äußerung Maciulis beschäftigt dennoch die litauische Öffentlichkeit, da man in den baltischen Ländern besorgt über Polens Entwicklung ist.

Die Regierungen (sozialdemokratisch in Litauen, konservativ-liberal in Lettland und Estland) halten sich zwar mit Wertungen zurück. Doch der Leitartikel der wirtschaftliberalen wie regierungsnahen estnischen Zeitung "Eesti Päevaleht" warnt nun: Aus der Entwicklung in Polen müsse Estland lernen, dass es Parteien gebe, die "die Demokratie verwenden, um die Demokratie zu ersticken". Man solle radikalen Gruppierungen keinen Glauben schenken, wenn sie sanfte Töne anschlagen.

Die baltische Skepsis ist auch Warschau nicht entgangen. Derzeit werden in Zeitungen und Portalen Werbetexte für das Land an der Weichsel im Baltikum geschaltet. Politiker schreiben Essays wie der polnische Außenminister Witold Waszczykowski, der an den gemeinsamen Feind Russland erinnert und beteuert, dass Polen weiterhin im Dialog mit Brüssel bleibe. Mit ein Grund für dieses Bemühen ist, dass Polen Gastgeber des NATO-Gipfels im Sommer ist und dort im Verbund mit den baltischen Ländern für eine stärkere NATO-Präsenz werben will.