Das Schweigen der Bundesregierung und ihre historische Verantwortung gegenüber den Kurden

Van, Südosttürkei. Bild: Perencal/CC BY-SA 3.0

Deutschland und die EU wollen den Zustrom von Flüchtlingen über die Türkei begrenzen. Das lassen sie sich etwas kosten.

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Dabei werden bei Menschenrechtsverletzungen in der Türkei gegenüber der kurdischen Bevölkerung großzügig beide Augen zugedrückt - trotz wachsender Kritik und erschreckender Bilder aus dem Südosten der Türkei in unseren Medien. Wegen eigener politischer Interessen schaut Deutschland nicht zum ersten Mal weg.

Die Gespräche der deutsch-türkischen Regierungskonsultationen am 22.1.2016 in Berlin verliefen wie erwartet. (Türkei: Hauptsache Grenzschützer?) Begleitet von Protesten begrüßte Angela Merkel Ministerpräsident Davutoglu im Kanzleramt mit militärischen Ehren. In einer abschließenden Pressekonferenz erwähnte sie in einem Nebensatz, die Wichtigkeit der Pressefreiheit sei zwar angesprochen worden, im Vordergrund sei aber die Bewältigung der Flüchtlingsfrage und der Kampf gegen den Terror gestanden.

In einem offenen Brief appellierten Künstler, Journalisten und Wissenschaftler vor dem Treffen, Angela Merkel möge die Menschenrechtsverletzungen ansprechen.

Um die Flüchtlinge von Europa fernzuhalten, forderte Davutoglu mehr Geld. Schließlich habe die Türkei ja 2.5 Mio. Flüchtlinge als "Gäste" aufgenommen.

Wichtig zu wissen: Nur 250.000 Flüchtlinge leben in der Türkei in staatlichen Flüchtlingslagern. Der Rest lebt in Flüchtlingslagern im Südosten, die von der kurdischen Bevölkerung versorgt werden oder auf der Straße. Die zugesagten drei Milliarden Euro von der EU werden mit Sicherheit nicht den Flüchtlingen in den kurdischen Gebieten und den auf der Straße lebenden Flüchtlingen zu Gute kommen. Keiner weiß bis dato, wohin genau die Milliarden fließen werden.

Um den Zustrom von Flüchtlingen wie auch immer zu begrenzen, stockt jetzt die Bundesregierung zusätzlich die Entwicklungshilfe für die Türkei von derzeit 36 Mio. auf 50 Mio. auf.

Gemeinsamer Kampf gegen den Terrorismus?

Das Attentat von Istanbul wurde zum Anlass genommen, dem Terrorismus gemeinsam den Kampf zu erklären. Der tägliche Staatsterror gegen die Kurden wurde dabei ausgeblendet. Angela Merkel sicherte Davutoglu zu, die Türkei im Kampf gegen den Terrorismus zu unterstützen. Dabei meinte sie vermutlich den Kampf gegen den IS, der aber von der Türkei nur punktuell geführt wird. Davutoglu hat dies ganz anders verstanden, wie die Hürriyet Daily News ihrer Schlagzeile tituliert:

Ankara, Berlin bekämpfen ISIL und die PKK zusammen.

In der Sendung "Titel Thesen Temperamente" des ARD wurde am 24.1.16 ein Bericht ausgestrahlt, der den angeblichen Kampf gegen die PKK als Krieg gegen die Zivilbevölkerung bezeichnet und die Kriminalisierung der türkischen kritischen Presse, sowie der kritischen Wissenschaftler dokumentiert.

Kritik kommt nun auch aus dem Europaparlament: Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini forderte am Montag nach Gesprächen mit türkischen Regierungsvertretern in Ankara einen sofortigen Waffenstillstand in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei. Der türkische Europa-Minister Volkan Bozkir erklärte auf derselben Pressekonferenz, seine Regierung werde den Kampf gegen die kurdischen Rebellen fortführen. Die Türkei werde ihren Kampf gegen "alle terroristischen Organisationen« fortsetzen, darunter die PKK".

Van, Südosttürkei. Bild: Perencal/CC BY-SA 3.0

Mit diesem Krieg gegen die eigene Bevölkerung sorgt Ankara sogar für noch mehr Flüchtlinge, anstatt sie zu begrenzen. Über 200.000 kurdische Flüchtlinge gibt es, die sich auf den Weg nach Europa machen - denn: In der Türkei sind sie nirgends sicher.

Das erinnert an die 1980er Jahre, als der damalige Diktator Evren durch einen Putsch an die Macht kam und ebenfalls einen erbitterten Krieg gegen die kurdische Bevölkerung und Andersdenkende führte. Die Folge war eine große Migrationswelle nach Deutschland. Es wird angenommen, dass 80 bis 90 % der 338.430 Asylsuchenden, die zwischen 1980 und Juni 2002 aus der Türkei in die Europäische Union kamen, Kurden sind.1