Babylonier berechneten Planetenlauf geometrisch

Die ersten sieben Zeilen von Text A. Foto: Mathieu Ossendrijver

Wissenschaftshistoriker an der Berliner Humboldt-Universität löst Tontafelrätsel

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Der an der Berliner Humboldt-Universität forschende Wissenschaftshistoriker Mathieu Ossendrijver hat in Science einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er zeigt, wie babylonische Astronomen zwischen 350 und 50 vor Christus den Lauf des Jupiter mit einem Trapezmodell berechneten.

Vier der fünf kleinen Tontafeln, die Ossendrijver dazu benutzt, wurden bereits im vorletzten Jahrhundert ausgegraben und lagern im Britischen Museum. Sie gehören zu einem Korpus aus insgesamt etwa 450 Tafeln aus Babylon and Uruk, die zwischen 400 und 50 vor Christus entstanden. Auf etwa 340 dieser Tontafeln finden sich Tabellen mit Berechnungen der Bewegungen von Planeten, bei denen der gegen Ende des fünften vorchristlichen Jahrhunderts erfundene Tierkreis als Koordinatensystem für Positionen dient. Die restlichen 110 enthalten Berechnungsanleitungen.

Da diese Tafeln keine geometrischen Berechnungsmodelle enthalten, glaubte man bislang, dass die Babylonier die Planetenläufe rein arithmetisch berechneten und dass die geometrische Methode erst im 14. Jahrhundert in Oxford oder in Paris entdeckt wurde. Das wäre insofern bemerkenswert gewesen, als die Geometrie in der babylonischen Mathematik eigentlich eine wichtige Rolle spielte.

Berechnung mit Trapezen. Grafik: Mathieu Ossendrijver

Auf die fünfte Tafel, die nicht zu dieser Sammlung gehört und die Ossendrijver Tafel A nennt, stieß der Wissenschaftshistoriker vor zwei Jahren durch Fotos, die wahrscheinlich der US-Altorientalist Abraham Sachs vor 50 oder 60 Jahren aufgenommen hat. Erst durch sie wird klar, dass es auf allen fünf Tafeln um den Lauf des Jupiters geht. Mit den Berechnungen, die sie enthält, lässt sich zeigen, dass die Geschwindigkeit des Planeten innerhalb von 60 Tagen nach dessen Sichtbarwerden linear abnimmt. Notiert man auf einer x-Achse die Zeit und auf einer y-Achse die Geschwindigkeit, entsteht in einem Koordinatensystem ein Trapez. Teilt man dieses Trapez in zwei Trapeze, lässt sich damit die Zeit ermitteln, in der der Jupiter die Hälfte seines Weges zurücklegt.

Als die Babylonier das niederschrieben, hatten sie machtpolitisch ihre besten Zeiten schon lange hinter sich: Sowohl das altbabylonische als auch das neubabylonische Reich, das von 626 bis 539 vor Christus bestand, waren längst Geschichte. Nach den Persern, die (mit kurzen Unterbrechungen) bis 331 vor Christus herrschten, eroberte Alexander der Große das Zweistromland. Den griechischen Seleukiden folgten die iranischen Parther und Sassaniden und im 7. Jahrhundert die Araber.

Vorher wurden viele griechische Astronomen durch babylonische beeinflusst - darunter Meton (der ihnen wahrscheinlich die Erkenntnis verdankt, dass 19 Sonnenjahre etwa 235 Mond-Monaten entsprechen), Eudoxos von Knidos (dessen Sternbilder den babylonischen bemerkenswert ähneln), Hipparchos und Claudius Ptolemäus, wie der Mathematiker, Astronomiehistoriker und Jesuit Franz Xaver Kugler bereits um 1900 nachwies.

Im 2. Jahrhundert vor Christus verteidigte der babylonische Astronom Seleukos von Seleukia, der in den Schriften von Plutarch, Aëtios, Strabon und Muhammad ibn Zakarīyā ar-Rāzī auftaucht, das heliozentrische Weltbild des Griechen Aristarchos von Samos. Plutarch zufolge bewies er es sogar. Dieser Beweis des babylonischen Astronomen (der ebenso wie seine Kollegen Kidenas, Naburianos und Sudines auf Akkadisch und nicht auf Griechisch geschrieben haben soll) ist allerdings nicht erhalten.

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