Britische Wissenschaftler dürfen in die menschliche Keimbahn eingreifen

Genome Editing setzt Künstliche Befruchtung voraus. Bild: Eugene Ermolovich/CC-BY-SA-3.0

In Großbritannien darf an menschlichen Embryonen mit Genome Editing experimentiert werden

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Es war nur eine Frage der Zeit. Schritt für Schritt wurde die Grenze für den direkten Eingriff in das Genom menschlicher Embryonen aufgeweicht. Bislang war es mehr oder weniger explizites Tabu, in die menschliche Keimbahn einzugreifen. Jetzt hat die britische Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) den Wissenschaftlern des Francis Crick Institute genau dies gestattet, nämlich menschliche Embryonen, die bei der künstlichen Befruchtung übrigblieben, mit Genome Editing, d.h. mit der CRISPR-Methode, einer Art Genschere mit dem Enzym Cas9, in einzelne Gene gezielt nicht nur in einer Person einzugreifen. Prinzipiell ließen sich Erbkrankheiten ausrotten, die nur durch ein Gen verursacht werden.

Damit wird die Keimbahn-Manipulation möglich, mit Erbkrankheiten womöglich verhindert und das Genom optimiert werden kann. Ein Designer-Baby, das Drohgespenst der Gegner, ist allerdings noch weit entfernt. Weil die einen mit hysterischen Übertreibungen warnen und jeden Eingriff in das scheinbar natürlich gegebene Schicksal verhindern wollen, lässt sich die Grauzone mit dem Argumenten ausweiten, doch nur gezielt Schlimmes und gleichzeitig Unnötiges verhindern zu wollen. Die Briten haben schon seit Jahren beschlossen, das Land gentechnisch führend zu machen. Das Klonschaf Dolly war der erste große Einstand dieser Strategie, die auch die neue Entscheidung getragen haben dürfte. Gewarnt wird allerdings auch von britischen Wissenschaftlern, dass Genome Editing langfristig den Menschen verändern könne. Bedenken bestehen natürlich auch, die Keimbahn von Lebewesen zu verändern. Selbst wenn der Eingriffe präzise sein mag, ist unbekannt, was die Einführung eines vererbbaren neuen Gens oder die Ausschaltung eines Gens an Folgen haben könnte.

Genome Editing setzt Künstliche Befruchtung voraus. Bild: Eugene Ermolovich/CC-BY-SA-3.0

Mit Genome Editing ist es möglich, genau einzelne Gene auszuschalten. Letztes Jahr hatten chinesische Forscher diese Technik erstmals an menschlichen Embryonen beschrieben. Der Erfolg war allerdings nicht wirklich überzeugend. Bei lediglich vier von 86 Embryonen konnte das manipulierte Gen nachgewiesen werden, aber auch dort nur in einigen Zellen (Manipulation des menschlichen Erbguts - keiner redet über Ethik).

Die Erfolgsrate bei der künstlichen Befruchtung ist nicht sehr hoch. Um die 50 Prozent der befruchteten Eizellen entwickeln sich nicht richtig und können in den Uterus nicht eingesetzt werden. Zudem müssen mehr Eizellen befruchtet werden, um Ersatz zu haben, weswegen überschüssige Embryonen vernichtet werden. Solche überschüssige Embryonen sollen nun mit dem Einverständnis der Patienten den Wissenschaftlern zur Forschung überlassen werden.

Jetzt können die britischen Wissenschaftler um Dr. Kathy Niakan das zweite Mal mit offizieller Genehmigung der Behörde das Experiment wiederholen. Auch dabei handelt es sich um einen Versuch an Embryonen, die nach der Befruchtung nur sieben Tage wachsen dürfen. Mit den aus den Versuchen gewonnenen Erfahrungen soll genaueres Wissen entstehen, "wie sich ein gesundes menschliches Embryo entwickelt", was auch heißt, man könnte bei der künstlichen Befruchtung Embryonen nicht nur selektieren, sondern durch Genmanipulation eben auch "gesünder" machen. Erst einmal heißt es vorsichtig und verschleiernd beim Francis Crick Institute, mit dem gewonnenen Wissen ließe sich "die Embryo-Entwicklung nach der künstlichen Befruchtung (IVF) verbessern und bessere klinische Behandlungen für Unfruchtbarkeit zu entwickeln".

Bevor die Forschung beginnen kann, ist noch eine ethische Evaluierung notwendig. Die Genehmigung zur Forschung schließt das Verbot ein, dass die Embryonen nicht eingepflanzt werden dürfen. Bei den bewilligten 30 Embryonen wird nun zuerst nach drei Tagen das Gen OCT4 ausgeschaltet, das nach Versuchen an Mäusen für eine fehlerhafte Entwicklung verantwortlich sein könnte. In der Hinterhand haben die Wissenschaftler schon drei weitere Gene, mit deren Korrektur experimentiert werden soll. Aber mit der CRISPR-Methode lassen sich nicht nur Gene ausschalten, sondern auch neue in das Genom einfügen.

Die Zukunft ist selbstverständlich eben so vielversprechend wie angsteinflößend, wenn es Angst macht, dass Menschen ihr Genom nicht mehr als zufälliges Schicksal akzeptieren, sondern es gezielt gestalten und damit auch vermeiden können, dass ihre Kinder dem Risiko ausgesetzt sind, bestimmte Krankheiten zu erleiden. Letztlich geht es um die Entscheidung, wie weit das Schicksal ausgerechnet in der menschlichen Reproduktion toleriert werden soll oder muss, während die gesamte menschliche Kultur und Technik das Schicksal überwinden und die Natur humanisieren sollen.