Steht Erdogans Einmarsch in Syrien bevor?

YPG-Posten. Bild: Kurdishstruggle/CC BY 2.0

Die türkische Armee droht mit einem militärischen Vorgehen, um zu verhindern, dass der Grenzübergang bei Dscharabulus an die YPG fällt. Die USA versuchen, die Kurden zu besänftigen

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Die Situation an der türkisch-syrischen Grenze droht zu eskalieren: So hat Erdogan Truppen und Panzer an der Grenze zu Rojava stationiert und beschießt fast täglich dieses kurdische Gebiet in Syrien.

Immer wieder droht die türkische Armee fast täglich Rojava mit einem militärischen Einmarsch. Er will auf jeden Fall verhindern, dass der Grenzübergang bei Dscharabulus, der letzte vom IS kontrollierte Grenzübergang zur Türkei, in die Hände von der YPG fällt.

YPG-Posten. Bild: Kurdishstruggle/CC BY 2.0

Andererseits fliehen nationalistisch-islamistische Turkmenen laut Medienberichten massenhaft vor dem Vormarsch der syrischen Armee und den Bombardierungen Russlands im Küstengebirge südlich der türkischen Provinz Hatay in die Türkei.

Türkei: zwei poblematische Gebiete in Syrien

Für Erdogan ist das ein Desaster, denn auf diese Kräfte hatte er im Kampf gegen die Regierung Assad und die syrischen Kurden in Rojava gesetzt. Er wird bei seinen Anhängern und der faschistischen Partei MHP unter Druck kommen, wenn er nicht in der Lage ist, die "turkmenischen Brüder" zu schützen. Gerard Chaliand, französischer Experte für Nahost und irreguläre Kriegsführung äußerte letzte Woche in Erbil: "ohne Erdogan als Führer würden meiner Einschätzung nach die Türken nicht in Nordsyrien militärisch intervenieren, aber, da er es ist, bin ich überzeugt, dass sie es tun werden".

Es gibt für Erdogan zwei problematische Gebiete: einmal südwestlich von Aleppo an der Mittelmeerküste in den Bergen, wo die syrische Armee ihre Hochburg mit Hilfe der Russen schützen will. Und dann das Gebiet zwischen Euphrat und Afrin, wo die YPG/YPJ dabei sind, Gebiete vom IS und den verbündeten islamistischen Gruppen zu befreien, eben auch von den nationalistisch-islamistischen turkmenischen Milizen.

Die Situation ist brisant, denn ein Einmarsch der Türkei kann einen bewaffneten Konflikt zwischen der NATO und Russland auslösen: Wie werden sich Assad und Russland im Falle eines Einmarschs der Türkei verhalten? Greifen sie zugunsten der YPG ein? Wie verhalten sich dann die USA, Frankreich und Großbritannien? Schließlich betonen sie immer wieder, die Kurden seien die stärkste Kraft in Syrien im Kampf gegen den IS.

Rojava: Besuch von Brett McGurk und Pentagon-Vertretern

Am vergangenen Wochenende war zum ersten Mal eine hochrangige 17-köpfige amerikanisch-britisch-französische Delegation in Kobanê. Sie landeten auf dem kurdisch kontrollierten neuen US-Flugplatz (USA bereiten Luftwaffenstützpunkt in Rojava vor) in Rmeilan.

Der US-Gesandte Brett McGurk und Vertreter des US-Verteidigungsministeriums hielten sich zwei Tage in Rojava auf, um sich vor Ort ein Bild zu machen und mit Repräsentanten und Kämpfern der SDF aus Rojava über das künftige Vorgehen zu sprechen:

"Es war wichtig, dies mit eigenen Augen zu sehen und mit Leuten vor Ort zu sprechen"…McGurk sagte, dass er anstehende Operationen der Kampagne in Syrien mit "kampferprobten und multiethischen Anti-ISIL-Kämpfern", die "hektisch" in Kämpfen gegen Extremisten engagiert sind, besprechen werde.

Der Besuch wird in US-Medien als Versuch gesehen, die syrischen Kurden, die nicht zu den Genfer Friedensverhandlungen eingeladen wurden, zu besänftigen.

Vor diesem Hintergrund ist diese Entwicklung brandgefährlich. Die Türkei und die von ihr unterstützten islamistischen Gruppen verhandeln mit über einen Waffenstillstand in Syrien, aber die Kurden müssen vor der Tür warten, obwohl sie von den USA als Bodentruppen gegen den IS hofiert werden.

USA: Lavieren zwischen zwei Seiten

Zeitgleich fand in Brüssel eine kurdische Konferenz statt, auf der unter anderem Michael Werz, ein Senior Fellow am Center for American Progress, der Meinung war, dass die USA nicht nur militärisch mit den Kurden, sprich der SDF, zusammenarbeiten sollten, sondern auch politisch. Er betonte, dass besonders der YPG in Syrien eine zentrale Rolle zufalle, weil der geschwächten Peschmerga im Irak - 4.000 kurdische Kämpfer sollen in diesem Krieg gegen den IS bis jetzt gefallen sein -, die Kraft fehle, effektiv gegen den IS vorzugehen.

Die Meinung, dass die schwächelnden Peschmerga im Irak den sich zunehmend als Guerillakampf entwickelnden IS-Krieg nicht bewältigen können, teilen auch kurdische Experten im Irak.

In der PYD, der führenden Partei von Rojava, ist verbreitete Meinung, dass nur Russland Lobbyarbeit für die Kurden in Genf gemacht hätten. Die USA versuchen die Wogen zu glätten, um Erdogan nicht zu provozieren, indessen, wie es scheint, versuchen sie, die YPG davon abzuhalten, weiter nach Dscharabulus vorzurücken.

Aber es sieht danach aus, dass es für die SDF vorrangiges Ziel ist, Afrin mit den anderen Kantonen, Kobane und Cizire zu verbinden. Die Versorgungslage mit Lebensmitteln und Medikamenten in dem isolierten Kanton Afrin verschlimmere sich täglich, so der kurdische Analyst Civiroglu gegenüber der Huffington Post. Mit einer amerikanischen Unterstützung sei mit Blick auf die Türkei nicht zu rechnen, so Werz.

Diese sorgt sich um die Airbase Incirlik/Türkei, wo sie die Erlaubnis der Türkei haben, von dort gegen den IS ihre Kampfflugzeuge starten zu dürfen. Sollte Russland die Kurden in ihrem Vorhaben unterstützen, könnte dies zu weiteren Spannungen zwischen Russland und den USA führen.

Letztendlich weiß keiner wirklich, wie sich die USA im Falle eines Vorrückens der Kurden Richtung Afrin verhalten werden. Michael Werz und der Analyst Civioglu sind sich einig, dass die USA letztlich gut beraten wäre, die Rechte der Kurden in Syrien und der Türkei zu stärken, sowie Rojava anzuerkennen:

Man kann keine Beziehung zu einer Gruppe nur auf militärischer Basis haben und politisch nicht.

YPG droht Türkei im Fall einer erneuten Grenzverletzung

Laut einer Meldung der kurdischen Informationsstelle ISKU berichtet die Generalkommandantur der Volksverteidigungseinheiten YPG über Grenzverletzungen der Türkei gegenüber Syrien in Rojava.

Demnach sollen am 28./29. Januar türkische Soldaten auf Einheimische im Dorf Sermisax, das sich auf syrischem Gebiet befindet, geschossen haben. Die Personen sollen sich in der Nähe der Grenze versammelt haben, um gegen die Angriffe zu protestieren. Der Angriff habe zum Glück kein Leben gekostet. Die YPG erklärte dazu:

Im Fall einer erneuten Grenzverletzung Rojavas durch den türkischen Staat und seine Streitkräfte, werden wir unser Land und die Menschen verteidigen. Sollte eine solche Verletzung sich wiederholen, ist die Regierung des türkischen Staates für die Konsequenzen allein verantwortlich.