"Frauenverachtung ist kein Spezifikum des Islam"

Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke über die deutsche Asylpolitik und die Vorfälle in Köln

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Im Zuge der Ereignisse in Köln wird das Asylrecht verschärft. Waren diese tatsächlich der Auslöser oder sind sie nur vorgeschoben, um eine andere Asylpolitik zu legitimieren? Angeblich wird ein BKA-Bericht dazu unter Verschluss gehalten. Ein Gespräch mit Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der Linken.

Frau Jelpke, Sie haben heute drei bayerische Asylunterkünfte besucht. Was war Ihr Eindruck?

Ulla Jelpke: Wir waren in der Erstnotaufnahme in Pfaffenhofen, dem Sonderlager für Balkanflüchtlinge bei Ingolstadt und in der Sammelunterkunft in Neuburg. Was ich in diesen Lagern gesehen habe, übertraf sogar noch meine Befürchtungen: Dort wird eine reine Abschreckungspolitik praktiziert, die Flüchtlinge leben in schlimmen Zuständen. In der Erstaufnahmeeinrichtung leben etwa 300 Menschen in einer Halle, die notdürftig mit Tüchern unterteilt ist und so gut wie keine Privatsphäre zulässt, auch nicht für die Frauen.

In meinem Wahlkreis Dortmund gibt es zwar vergleichbare Einrichtungen, aber die Flüchtlinge bleiben dort maximal drei oder vier Tage. In Pfaffenhofen müssen sie dagegen monatelang ausharren ohne ihren Asylantrag stellen zu können. Die Menschen kommen häufig traumatisiert hier her und werden dann gleich noch weiter traumatisiert.

Und wie waren die Zustände in Ingolstadt und Neuburg?

Ulla Jelpke: In dem Abschiebeknast bei Ingolstadt waren sie genauso haarsträubend. Hier warten gerade etwa 800 Westbalkanflüchtlinge auf ihre Abschiebung. Die Kapazitäten dort werden derzeit auf beinahe 3.000 Plätze ausgebaut, und das obwohl immer weniger Flüchtlinge aus dem Balkan zu uns kommen. Man fragt sich also schon, wer dort zukünftig eingesperrt werden soll - vielleicht Flüchtlinge aus Nordafrika, aus Algerien, Marokko und Tunesien? In Neuburg habe ich eine Sammelunterkunft besucht, in der vor allem sogenannte "Altfälle" leben. Dort teilen sich drei Leute Zimmer von 20 Quadratmetern, und das oft für vier oder fünf Jahre. Ich habe dort sogar Leute getroffen, die bereits seit zehn Jahren dort leben müssen.

"Wirtschaftlich unsinnige Demütigungsstrategie"

Ist das auf die Unfähigkeit der Behörden oder eher auf den politischen Willen zurückzuführen?

Ulla Jelpke: Ich denke, es existiert wirklich der Wille, die Leute abzuschrecken, zu zermürben, sie zu demoralisieren, indem man sie in ein bürokratisches Verfahren hineindrängt und sie dort ohne echte Perspektive und zur Untätigkeit verdammt hängen lässt. Denn eine echte Chance gäbe es ja für sie nur, wenn eine Integration von Anfang an stattfinden würde:

Das hieße aber sofort Sprachunterricht und Schulpflicht für alle Kinder, Weiterbildungsmaßnahmen für Erwachsene und zumindest den Versuch, sie so bald wie möglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das vertritt im Übrigen nicht nur die Linke, sondern auch die Bundesanstalt für Arbeit und die Wirtschaftsverbände, die ein entsprechendes Interesse daran haben.

Es gibt beispielsweise Flüchtlinge wie den jungen Mann, mit dem ich gestern gesprochen habe: Er hat in Syrien Abitur gemacht und eine Lehre als Bankkaufmann begonnen und sich dann in Deutschland in kürzester Zeit die deutsche Sprache angeeignet. Hier bekommt er nun keine Erlaubnis, seine Ausbildung fortzuführen, obwohl er eine Ausbildungsstelle gefunden hat - stattdessen muss er in einer Bäckerei Brote einpacken.

Das ist eine wirtschaftlich unsinnige Demütigungsstrategie, die darauf abzielt, diese Menschen durch bürokratische Schikanen zu demotivieren. Diese Strategie soll die Geflüchteten dazu bringen, dass sie in andere europäische Länder weiter reisen. Man will sie klein kriegen - genauso kommt es dann auch: Diese Leute sagen, sie gehen im Kopf kaputt. Das habe ich heute oft gehört.

"Tausend Strafanzeigen"

Was Ihre Meinung zu den Ereignissen von Köln? Können Sie sich vorstellen, dass diese instrumentalisiert wurden, um eine fremdenfeindliche Stimmung aufzubauschen oder wurden sie anfangs verschwiegen, um einem unfähigen Polizeipräsidenten nicht in Bedrängnis zu bringen?

Ulla Jelpke: In jedem Fall gab es ein Polizeiversagen und eine Vielzahl von Straftaten, bei denen es aber für mich immer schwieriger wird, deren Hergang zu durchschauen: Wir sind jetzt bei tausend Strafanzeigen angelangt. Und es ist eine enorme Instrumentalisierung durch Politik und Medien zu beobachten, die nach meiner Meinung zu einem Kippen der Stimmung in Deutschland gegenüber Flüchtlingen führt.

Dass die Unionsparteien jetzt Maßnahmen, die sie schon immer durchsetzen wollte, nämlich eine verschärfte Ausweisungspolitik mit der Möglichkeit von Ausweisungen bei einer Bewährungsstrafe von nur einem Jahr, jetzt sofort aus der Schublade herauskramen, passt dazu. Mit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht wird über die Medien und die Politik Druck aufgebaut, um Menschenrechte weiter auszuhebeln und das Strafrecht zu verschärfen , - und das alles, ohne bislang genau zu wissen, wer die Täter überhaupt waren.