Snowden-Effekt und nationale Sicherheit

NSA-Zentrale. Bild: Trevor Paglen/CC0 1.0

Nach einer kurzen Aufmerksamkeit akzeptieren in unsicheren Zeiten mehr Amerikaner weitergehende Überwachung

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Vor drei Jahren hat sich Edward Snowden aus den USA abgesetzt, um die Welt über die seiner Meinung illegalen Lauschaktivitäten der NSA und den mit dieser zusammenarbeitenden Geheimdiensten zu informieren. Seitdem sitzt Snowden ausgerechnet in Moskau fest, die USA haben ihn u.a. der Spionage angeklagt und vergeblich versucht, ihn abzufangen, wie gerade erst wieder offenbar wurde.

In den USA ist nach den Enthüllungen zwar auch einiges in Bewegung geraten. Die Geheimdienste wurden aber nicht wirklich eingeschränkt und kämpfen derzeit darum, Hintertüren zu Verschlüsselungsprogrammen zu erhalten oder diese gleich zu unterbinden. Man würde, so warnen sie, Terroristen und Kriminellen erlauben, in einem schwarzen Raum unterzutauchen, den die Geheimdienste nicht erhellen können.

Die datensammelnden amerikanischen Internetfirmen wie Apple, Google oder Microsoft, denen Snowden unterstellte, sie würden mit der NSA zusammenarbeiten, gingen auf Distanz, führten Verschlüsselung ein und versicherten, sie würden Daten ihrer Kunden nicht weitergeben. Viele Amerikaner waren nach den ersten Enthüllungen auch erst einmal bestürzt, aber die Aufregung legte sich bald wieder. Wie aufmerksamkeitsökonomisch zu erwarten, sorgten Nachrichten über die Überwachung bald für kein großes Interesse mehr, obgleich die Medien breit und lange darüber berichteten.

Sören Preibusch hat untersucht, welche Folgen die Enthüllungen für die Amerikaner in der Zeit zwischen Mai 2013 und Januar 2014 hatte. Dabei ging es nicht nur um das Interesse auch an Datenschutz durch Eingabe von Suchbegriffen, sondern auch um möglicherweise verändertes Verhalten, also ob die Internetnutzer mehr zum Selbstschutz greifen, indem sie beispielsweise ihre Mail verschlüsseln. Sein Fazit:

Das Interesse der Internetbenutzer wuchs nach der PRISM-Enthüllung, aber kehrte auf das ursprüngliche Niveau zurück oder fiel sogar noch tiefer, obgleich die Medien kontinuierlich weiter darüber berichteten. Ich fand kein anhaltendes Wachstum beim Kundenstamm für Da<tenschutztechniken (wie anonymisierende Proxies). Die weltweite Enthüllung von PRISM erregte das Interesse der Menschen weniger als andere Nachrichten über Sport und Klatsch. Meine Ergebnisse stellen die Annahme in Frage, dass Internetnutzer sich nach einem größeren Datenschutzvorfall mehr um den Schutz ihrer Privatsphäre kümmern. Die fortlaufende Berichterstattung über die staatliche Überwachung durch die Medien steht im Kontrast zu dem schnell schwindenden Interesse des Publikums.

Eine Umfrage unter deutschen Internetnutzern im April 2014 kam zu ähnlichen Ergebnissen. 76,9 Prozent hatten ihren Umgang nach den Snowden-Enthüllungen nicht geändert, davon sagten 49,8 Prozent, sie hätten ja auch nichts zu verbergen. Nur 12 Prozent haben etwas verändert. Eine vor kurzem veröffentlichte Umfrage von Bitkom ergab, dass 15 Prozent der Befragten angeben, sie würden ihre Emails verschlüsseln. 2013 sagten dies erst 6 Prozent, 2014 schon 14 Prozent, so dass hier ein Snowden-Effekt eingetreten sein dürfte, allerdings ist er bereits wieder erlahmt. 64 Prozent sagten, sie würden sich mit Verschlüsselung nicht auskennen, 59 Prozent erklärten, dass ihre Kommunikationspartner nicht verschlüsseln.

Nach einer neuen Umfrage im Auftrag von F-Secure sollen allerdings 66 Prozent der Amerikaner und 67 Prozent der Deutschen besorgt über die Massenüberwachung sein, 48 bzw. 55 Prozent sind besorgt über den Datenschutz und haben angeblich deswegen ihr Internetverhalten verändert. Die Schweden stechen hier heraus, nur 25 Prozent machen sich wegen des Datenschutzes solche Sorgen, dass sie ihr Verhalten verändert haben.

Mit der Angst wächst die Akzeptanz von Überwachung

Eine aktuelle Umfrage (Allstate/National Journal Heartland Monitor) macht zumindest den Zusammenhang zwischen der Akzeptanz von Überwachung und der Angst bzw. dem Verständnis für den Schutz nationaler Sicherheit bei den Amerikanern klar. Auch in Deutschland ist mit der Flüchtlingskrise, den Terroranschlägen und den Ausschreitungen der Silvesternacht den Menschen Sicherheit immer wichtiger.

Schon im Dezember stand bei den befragten Deutschen in einer Umfrage der GfK Marktforschung Sicherheit ganz oben, 74 Prozent meinten, Sicherheit werde wichtiger. In einer Allensbach-Umfrage im Januar 2016 gaben 58 Prozent an, jetzt in einer besonders unsicheren Zeit zu leben, 82 Prozent fürchteten eine Zunahme der Kriminalität oder 73 Prozent noch mehr Flüchtlinge. Den höchsten Angstfaktor findet man bei den AfD-Anhängern.

Obgleich die Hälfte der Amerikaner keine Probleme mit Multikulti hat und eine Zunahme der ethnischen Vielfalt begrüßt, wächst auch hier die Ablehnung der Einwanderung aus Sicherheitsgründen. 55 Prozent glauben, dass sich eine Zunahme der ethnischen Minderheiten negativ auf die nationale Sicherheit auswirkt. Allgemein sehen allerdings 43 Prozent Einwanderung als positiv und 44 Prozent als negativ an.

Auf jeden Fall sind die Amerikaner bereit, viel für die nationale Sicherheit zu opfern. Fast die Hälfte befürwortet stark den weiteren Ausbau von Überwachungskameras an öffentlichen Plätzen. 24 Prozent wären mit mehr Zensur und einer Beschränkung des Zugriffs auf Online-Quellen einverstanden und 16 Prozent würden sogar noch mehr Telefon- und Email-Überwachung stark unterstützen. Im Juni 2013 - nach Snowden - waren noch 42 Prozent gegen einen weiteren Ausbau der Sicherheitsmaßnahmen. Mit jetzt nur noch 24 Prozent ist diese Gruppe zur Minderheit geworden.

Damit nicht zusammenpassend sagen freilich auch 53 Prozent, dass sie die zunehmende Sammlung und Nutzung persönlicher Daten durch Unternehmen und Sicherheitskräfte als sehr negativ einschätzen, weil dies die Privatsphäre, die finanzielle Sicherheit und die individuellen Freiheiten gefährdet. Allerdings finden 38 Prozent die Sammlung und Nutzung der Informationen höchst positiv, weil man sie die Wirtschaft, den Service und die Sicherheit verbessern könne.

Es kommt natürlich immer darauf an, wie man frägt, um bestimmte Antworten zu erhalten. Interessanterweise sind die Menschen aus den unteren sozialen Schichten negativer gegenüber dem Datensammeln eingestellt, während ab der reicheren Mittelschicht nur noch wenig Bedenken vorherrschen.

Die Ärmeren haben wohl eher erfahren, welche Folgen es haben kann, wenn Banken oder Behörden Zugriff auf persönlichen Daten haben können. Die Alten haben auch weniger Probleme mit dem Datenschutz im Internet, wahrscheinlich aufgrund geringer Kenntnis und Nutzung. Auffällig aber ist, dass unter den Baby Boomern, also zwischen den 1946 und 1964 geborenen Amerikanern, mit 61 Prozent die Ablehnung am höchsten ist, bei den nachfolgenden Generationen hat nur noch die Hälfte eine negative Einstellung gegen das Sammeln persönlicher Daten. Erstaunlich ist hingegen, dass die Bereitschaft, die Überwachung auszubauen, unter den schwarzen Amerikanern am höchsten ist. Nur 9 Prozent wollen keine zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen.

Findet hier womöglich eine Immunisierung statt, weil man den Eindruck hat, der Überwachung sowieso nicht auszukommen und auch nicht auf die entsprechenden Angebote verzichten zu wollen? Womöglich geht der Snowden-Effekt auch nach hinten los. Das Ausmaß der Überwachung und die Maßlosigkeit der Geheimdienste waren vielleicht überraschend, aber zusammen mit den Daten abgreifenden Internetunternehmen so gigantisch, dass jeder Protest sinnlos erscheint. Wo will man auch anfangen, wenn man sozusagen immer mehr im virtuellen und öffentlichen Raum, zunehmend aber auch im privaten Raum durch Smart-Home-Anwendungen belauscht wird? Dazu kommen Angst und Bequemlichkeit, die Überwachung begünstigen.