Generalstreik, Rentenchaos, Flüchtlinge: Tsipras in Schwierigkeiten

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Die griechische Regierung hat es geschafft, sämtliche soziale Gruppen, Angestellte, Arbeitgeber, Bauern, Arbeitslose, Selbstständige und Freiberufler gemeinsam gegen sich aufzubringen

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Ganz Griechenland streikte am Donnerstag. Es rumort im Land, nicht nur weil die erneut Troika genannten Kreditgeber in Athen weilen, und während ihrer ersten Prüfung des dritten griechischen Austeritätsprogramms weitere Maßnahmen verlangen. Dass in naher Zukunft weitere Kürzungen erforderlich sind, bestätigt zudem ein Bericht der EU über die Wirtschaftsaussichten Europas.

Der Bericht besagt, dass Griechenland die wegen der Bankenschließung und der Kapitalverkehrskontrollen erlittenen Wirtschaftsschäden gut überstanden hat, aber wegen der Rekapitalisierung der Banken (Griechenland: Banken gerettet - immer mehr Flüchtlinge ertrinken) im November ein erhöhtes Defizit und daher offensichtlich einen Bedarf an weiteren Einschnitten hat.

Der Streik findet auch nicht statt, weil die Troika einen Spitzensteuersatz von 50 Prozent für Einkommen über 42.000 Euro bei Freiberuflern, Bauern und Selbstständigen, sowie für Einkommen über 50.000 Euro bei Angestellten fordert. Dazu kommt für die nicht abhängig Beschäftigten eine Vorauszahlung von 100 Prozent für das Folgejahr, sowie für alle eine Solidaritätsabgabe, deren Spitzensatz bei acht Prozent liegt. Mathematisch gesehen macht es bei solchen Eckdaten keinen Sinn, in seine eigene Arbeit zu investieren und einen Betrieb aufzubauen.

Rentenchaos - der Anlass für den Aufstand

Denn zunächst einmal streiken die Griechen wegen der Rentenreform, wie sie von Arbeitsminister Giorgos Katrougalos vorgeschlagen wurde. Die Reform, die für Bauern unter anderem eine Verdreifachung ihrer Beiträge vorsieht und künftigen Rentnern erhebliche Beschneidungen der Altersbezüge beschert, scheint jedoch bereits Makulatur zu sein. Die Troika fordert noch mehr.

Zunächst einmal sollen die Arbeitslöhne erneut sinken. Sie möchte zusätzlich eine erhebliche Kürzung der bisherigen Renten sowie ein komplettes Zahlenwerk sehen. Letzteres hat der Minister bislang tunlichst vermieden. Denn daraus würde für alle ersichtlich hervorgehen, dass die Rentenreform auch in ihrer bestehenden Form die nächste, je nach Zählweise 12. oder 13. Rentenkürzung seit 2010 bedeutet.

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Die Griechen können zudem nur nach Studium aller Gesetzesseiten verifizieren, dass es keinen Sinn macht, mehr als die Grundbeiträge in die Rentenkasse einzuzahlen. Denn die linear mit dem Einkommen steigenden Beiträge führen zu einer sublinearen Steigerung der Altersbezüge, die sich bei höheren Beiträgen kaum mehr erkennen lässt.

Für Katrougalos ist dies ein Akt der sozialen Gerechtigkeit und Umverteilung. Für die Betroffenen ein Aufruf zum Schließen ihrer Betriebe und zum Auswandern. Schließlich müssen zum Beispiel heutige Assistenzärzte nach dem Entwurf von Katrougalos für ihre pensionierten Kollegen Renten aufbringen, die höher sind als der Monatslohn der Beitragszahler. Grob geschätzt bedeutet dies im Extremfall dreifach höhere Beiträge, verglichen zu dem, was der Rentner zahlte, aber nur die Hälfte von dessen Altersbezug.

Die griechischen Gazetten überschlagen sich im Wettbewerb, wer die extremsten Beispielrechnungen aufstellen kann. Ohne das auch von der Troika geforderte Zahlenwerk ist eine verbindliche und reale Einstufung, welche die Bürger für ihren Einzelfall nachprüfen könnten, jedoch kaum möglich. Die Griechen, an gebrochene Versprechen der Politik gewöhnt, vermuten daher kollektiv das Schlimmste.

Tatsächlich sinkt die Zahl der Beschäftigten im Land unter der seit 2008 andauernden Rezession stetig. Es ist somit jedem klar, dass knapp drei Millionen wirtschaftlich Aktive kaum eine ungefähr gleich große Anzahl von Rentnern finanzieren kann. Die Rentner wiederum kommen zusammen mit den Berufstätigen für die ungefähr fünf Millionen übrigen Bürger auf, also für Kinder, Studenten und Arbeitslose.

Es gleicht der Quadratur des Kreises unter diesen Randbedingungen eine Rentenreform zu bewerkstelligen. Katrougalos gibt an, er habe es trotzdem geschafft und würde mit weniger Staatszuschüssen und wegen der Krise sinkenden Beiträgen, den Bürgern gleich hohe Renten garantieren. Der Minister spricht sogar davon, dass sein Modell für die kommenden Jahre eine Rentenerhöhung vorsehen würde. Niemand mag es ihm glauben, noch weniger können die Modellrechnungen des Ministers nachvollziehen.

Flüchtlinge, Renten, Steuern - nur Probleme für Tsipras

Der frühere Arbeitsminister Andreas Loverdos von der PASOK rechnet daher mit seinem Nachfolger öffentlich ab. Er wirft Katrougalos vor, dass dieser mit voller Absicht ein Chaos schaffen würde, um die Verhandlungen mit den Kreditgebern zum Scheitern zu bringen. Tsipras hingegen sieht den Fehler bei den Kreditgebern.

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Diese würden mit einer Verzögerung der ersten Prüfung eine wirtschaftliche Planung für das Land mit Absicht torpedieren, teilte er seiner Amtskollegin, der Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit. Schließlich könne Griechenland unmöglich zwei große Probleme, die Wirtschaftskrise und die Flüchtlingskrise gleichzeitig angehen, meint Tsipras.

Ein konkreter Plan der Regierung für einen Wiederaufbau des Landes und für die Schaffung eines investitionsfreundlichen Klimas ist tatsächlich kaum erkennbar. Hinsichtlich der Flüchtlingspolitik wurde die Planung der geforderten Hotspots übrigens mittlerweile ans Militär übertragen. Doch auch hier gibt es Probleme.

Die Anhänger der Willkommenskultur lehnen die Lager als Konzentrationslager ab. Die Gegner fürchten um ihre Sicherheit. Schließlich gipfelte der Konflikt zuletzt auf der Insel Kos darin, dass wütende Demonstranten den Verteidigungsminister Panos Kammenos wirksam von der Landung seines Hubschraubers am geplanten Ankunftsort auf Kos abhielten.

Kos hatte bei den Parlamentswahlen im September trotz der anhaltenden Flüchtlingskrise mehrheitlich Syriza gewählt. Die Stimmung ist aber auch hier gekippt, zumal die Eigentümer der Äcker auf denen der Hotspot auf Kos entstehen soll, nicht goutieren, dass ihr Eigentum nach Militärrecht requiriert wurde und ihnen selbst jeder Zugang verboten ist.

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Die Regierung von Premierminister Alexis Tsipras hat es geschafft, sämtliche soziale Gruppen, Angestellte, Arbeitgeber, Bauern, Arbeitslose, Selbstständige und Freiberufler gemeinsam gegen sich aufzubringen. In Livadia, aber auch in anderen Städten streikten auch die Totengräber, in Volos nahmen sie mit ihren Leichenwagen sogar am Demonstrationszug teil. Zahlreiche Flüge fielen aus. Zum ersten Mal schloss sogar die Mehrheit der Cafés die Pforten. In Thessaloniki und Larissa waren sogar nahezu alle Lokale der Innenstadt geschlossen.

Kein Kaffee am Streiktag

Was dem Außenstehenden nur beiläufig auffallen könnte, hat für Griechenland eine besondere Bedeutung. Bislang nutzten viele die Streiktage zum munteren Treffen in Kaffeehäusern. Dementsprechend wurden Demonstrationszüge mit mehr als 10.000 Teilnehmern in Athen bereits als überaus erfolgreich eingestuft. Die Schließung der Wirtshäuser und Konditoreien zeigte ihre Wirkung. Allein in Athen nahmen nach Angaben der Polizei zwischen 50.000 und 70.000 Personen teil. Die Gewerkschaften sprechen gar von mehr als 100.000 aktiven Teilnehmern.

Diese mussten ihre Anreise in die Athener Innenstadt diesmal besonders gut planen. Denn außer der Metro, die bis 16 Uhr für den Transport der Demonstranten in Betrieb gehalten wurde, gab es keine öffentlichen Verkehrsmittel. Auch die Taxifahrer schlossen sich, anders als in den vergangenen Jahren, dem Generalstreik an.

Stolz vermeldete die Gewerkschaft GSEE, dass in Argos 100 Prozent der Betriebe, auch der Industrie geschlossen waren. In Thessaloniki lag die Zahl bei 95 Prozent, betraf jedoch hier nur die Geschäfte und den Mittelstand. In Veria blieben nur die Bäckereien geöffnet, Chania auf Kreta fiel aus der Reihe. Hier war alles bis auf die Cafés geschlossen.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

In Heraklion, der Hauptstadt Kretas schlossen dagegen nahezu alle Berufsgruppen ihre Betriebe. In Tripoli betraf die Schließung 100 Prozent der Geschäfte und die Stadtdemonstranten zogen per Motorradkonvoy zu den Bauern, welche die örtlichen Fernstraßenanbindungen blockieren. Selbst auf den kleineren Inseln gab es Demonstrationszüge und eine rege Streikbeteiligung.

Darüber hinaus gingen Aktivisten der Bauernverbände auf dem Land gezielt gegen Supermärkte vor, welche ihre Angestellten vom Streik abhielten. Vor Supermärkten der einzigen im Land verbliebenen deutschen Ladenkette, Lidl, luden sie Strohballen ab. Der Zugang war somit unmöglich. In Athen hingegen waren im Zentrum die Märkte geschlossen. In den zur Stadtgemeinde Athen gehörenden Vierteln außerhalb des Zentrums, wie Agios Panteleimonas und Kypseli waren die Märkte zwar geöffnet, aber viele Kunden verweigerten sich.

"Heute kaufe ich nicht ein, heute ist Streik", bemerkte eine Rentnerin vor einem Market Inn Supermarkt. Sie war eigens für diese Äußerung zum Geschäft gekommen. An den Demonstrationszügen selbst wollte sie nicht teilnehmen:

Die enden doch immer gleich. Ein paar vermummte werfen fast wie auf Befehl Steine und Molotow-Cocktails, die Polizei antwortet mit Tränengas und man ist froh, wenn man ohne Verletzung nach Hause kommt.

Genauso kam es.