Syrien: Saudi-Arabien bringt eigene Bodentruppen ins Spiel

Die Gespräche in Genf sind ausgesetzt, die militärischen Lösungen haben das Übergewicht

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Die Gespräche in Genf sind unterbrochen, ausgesetzt bis zum 25. Februar. Der UN-Vermittler Staffan di Mistura reagierte damit auf die Empörung der Vertreter der syrischen Opposition. Bombardierungen, die keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen, konterkarieren den Friedensprozess, argumentiert die von Saudi-Arabien unterstützte Gruppierung HNC (Russland lehnt Bombardementstopp ab). Parallel zum politischen Prozess würden auf dem Kriegsfeld Fakten geschaffen, die den politischen Prozess unterminieren. Dies verstoße gegen Abmachungen.

Die Fakten im syrischen Kampfgeschehen

Tatsächlich ist die syrische Regierung momentan in einer Position, in der ihr die Verhandlungen weniger wichtig sind, Konzessionen muss sie keine machen. Die Fakten am syrischen Boden sprechen für sie. Russland und die syrische Regierung sind militärisch auf Siegeskurs, das räumen sogar ausgesprochene Gegner der russischen Intervention ein.

Die syrische Armee und verbündete schiitische Streitkräfte, allen voran die Hisbollah, bewegen sich dank dem intensiven Bomben-Einsatz der russischen Luftwaffe, auf das nächste strategische Ziel zu: Aleppo. Wichtige Versorgungslinien der gegnerischen Milizen sind gekappt, Aleppo ist bald umzingelt, für die "Rebellen-Truppen" sieht es schlecht aus. Das ist ein Fakt.

Entscheidend sind nicht die Verhandlungspartner, sondern die hinter den Tischen

Ein anderer Fakt ist, dass die Genfer Gespräche auf zwei große Ebenen stattfinden. In der einen geht es um den politischen Prozess zwischen der Regierung und Vertretern einer syrischen Opposition. In der anderen um die Interessenskämpfe der Sponsorstaaten der Opposition und der Schutzstaaten der syrischen Regierung. Diese zweite Ebene ist die wichtigere. Um es so zu sagen: Für die größeren Linien der nächsten Zukunft Syriens ist nicht entscheidend, wer in Genf an den Arbeitsgruppen-Tischen sitzt, sondern wer von draußen Einfluss auf den politischen Prozess ausübt.

Insofern ist die Aussetzung der Genfer Gespräche nur eine Anerkennung der Realität der bestimmenden Machtverhältnisse. Sie werden gerade auf dem Kriegsschauplatz geregelt. In diese Situation hinein traf gestern die Ankündigung Saudi-Arabiens, dass die Regierung - unter bestimmten Voraussetzungen - bereit sei, Bodentruppen für eine Intervention in Syrien zu stellen, im Namen des Kampfes gegen ISIS.

Russland hat vorgemacht, wie weit das Etikett "Kampf gegen den IS" zu fassen ist, Saudi-Arabien zieht nun in der Sprachregelung gleich, meint aber letztlich den Kampf gegen Russland und die syrischen Regierung. Von den Rebellen/Aufständischen/Salafisten/Dschihadisten in der Umgebung Aleppos kamen zuletzt viele Hilferufe, die Milizen brauchen Verstärkung, neue Kämpfer, bessere Waffen. Gegen die russische Luftwaffe ist von ihrer Seite wenig auszurichten.

Das Emblem der saudi-arabischen Streitkräfte. Bild: Alhadramy Alkendy/CC BY-SA 4.0

Das weiß auch die Führung in Saudi-Arabien, so verblendet, überehrgeizig und religiös-fanatisch sich manches dort ausnimmt. Jemen führt dem Haus Saud unmissverständlich die Begrenzung seiner militärischen Möglichkeiten vor Augen. Gegen die kürzlich weiter modernisierte Luftmacht Russlands hätten saudische Soldaten kaum mehr Chancen als die Milizen, die vom Wüstenreich unterstützt werden. Dass die saudische Luftwaffe im Jemen viele zivile Opfer verursacht, relativiert übrigens auch die Kritik an Russlands Luftkrieg in Syrien.

Krieg anheizen

Worum es Saudi-Arabien in erster Linie mit der Ankündigung - "Wir würden Bodentruppen schicken, wenn.." - geht, ist eine Solidaritätserklärung mit den sunnitischen, salafistischen Proxytruppen in Syrien, den Sunniten in der Region, die den Krieg in Syrien in erster Linie als Kampf zwischen Schiiten und Sunniten lesen, und mit der Türkei. Die Gegenmächte zu Russland und Syrien zeigen Zähne, im Hintergrund wird sich die amerikanische Regierung freuen. Auch das ist eine Sponsorstaat-Ebene.

Praktisch wird der saudische Trompetenstoß höchstwahrscheinlich so umgesetzt, dass die Unterstützung für Ahrar al-Sham, Jaish al-Islam und andere Gruppierungen, die Riad und befreundete Zirkel fördern, weiter verstärkt, womit der Krieg weiter angeheizt wird.

Das ist auch im Interesse der USA, die keine offene Auseinandersetzung mit Russland in Syrien riskieren, wohl aber verdeckt daran arbeiten, dass Russland und die syrische Regierung einen möglichst hohen Preis für ihr Unterfangen der Wiedereroberung der Macht über Syrien zahlen. Ein eindeutiges, unangefochtenes Machtübergewicht der Regierung Baschar ist nicht im Interesse der USA und auch nicht Israels Interesse. Allerdings ist auch eine Salafisten/Dschihadisten-Regierung in Damaskus in Washington und Jerusalem unerwünscht. Es gilt aber auch: Russland darf keinen unbehelligten, uneingeschränkten Sieg davon tragen.

Humanitäre Katastrophen

Bemerkenswert ist die Drohung der von Saudi-Arabien maßgeblich zusammengestellten syrischen Oppositionsdelegation, wonach das militärische Vorgehen Russlands und Syriens zu einer humanitären Katastrophe und hunderttausender Flüchtlinge aus Aleppo und Umgebung führen wird.

Saudi-Arabien und die türkische Regierung, die dieses Argument ebenfalls beschwört, sind angesichts ihres Vorgehens gegen Zivilbevölkerungen im Jemen und in der Südosttürkei nicht in der Position, den moralischen Zeigefinger zu heben, weil auch sie ihre Kriege über zivile Maßgaben stellen. Der Verweis auf die Flüchtlingsmengen dient ihnen vor allem als Drohung und zur Rhetorik.

Das soll nicht beschwichtigen, was durch Bombenangriffe an Leid ausgelöst wird. Dass die russische Luftwaffe als einzige auf der Welt ein chirurgisch sauberes Vorgehen schafft, bei dem in Zonen mit ziviler Bevölkerung ausschließlich islamistische Terroristen getroffen werden, ist eine Mär. Man kann auch unterstellen, dass die Einschüchterung durch die Bombenangriffe, die die Zivilbevölkerung in den strategisch wichtigen, umkämpften Orten zur Flucht treibt, ein gewollter Effekt ist. Das russische Militär will aufräumen, die Gleichung "Jeder militärische Widerstand ist gleich Terrorismus" ist auch von anderen militärischen Unternehmungen, die als Erfolg bewertet werden, wie zum Beispiel im Gazastreifen, bekannt.

Nicht auszuschließen ist, was Beobachter der Region gegen das Droh-Szenario der Hunderttausenden von neuen Flüchtlinge einwenden: Dass mit der möglichen Rückeroberung Aleppos und der Sicherung der Zufahrtswege, die Versorgung der Bevölkerung wieder hergestellt würde, so dass es in der Stadt wieder Aussichten auf ein besseres Leben gebe. Allerdings blendet diese Spekulation aus, dass es zu Racheakten zwischen konfessionell unterschiedlichen Gruppen kommen könnte, die ihrerseits Vertreibungen zur Folge haben.