Der Fall MH17 köchelt weiter

In den Niederlande ist MH17 auch im Parlament noch ein Thema, beispielsweise was das seltsame Fehlen von primären Radardaten betrifft

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zwar wurde ein technischer Abschlussbericht des vom Dutch Safety Board (DSB) geführten internationalen Teams veröffentlicht, nach dem die malaysische Passagiermaschine MH17 am 17. Juli 2014 von einer Buk-Rakete abgeschossen wurde - vermutlich von prorussischen Separatisten oder gar von russischen Soldaten, auch wenn offen blieb, von wo aus genau die Rakete abgefeuert worden sein könnte (Nach dem niederländischen Abschlussbericht wurde MH17 mit einer 9M38M1-Buk-Rakete abgeschossen). Seitdem hat sich der "Informationskrieg" von allen Seiten verdichtet (Zweifel an der MH17-Untersuchung mehren sich).

Die Täter ausfindig zu machen, obliegt allerdings dem Gemeinsamen Untersuchungsteam (JIT), in dem Experten aus der Ukraine, Malaysia, Belgien und Australien unter Führung der niederländischen Staatsanwaltschaft und der niederländischen Polizei kooperieren. Das JIT hat sich dem Ergebnis des Dutch Safty Board angeschlossen, dass sehr wahrscheinlich eine Buk-Rakete die Maschine abgeschossen hat, man habe auch bereits Verantwortliche im Visier, müsse aber jedes andere Szenario ausschließen und gerichtsfeste Beweise liefern. Offenbar aber fehlen vor allem Zeugenaussagen. Ob sich das seither verbessert hat, ist unklar.

Dem Abschlussbericht vehement widersprochen hat die russische Regierung, die auf Experimente des Rüstungskonzerns verweist, der die Buk-Systeme herstellt. Danach müsse die Rakete von einem ukrainisch kontrollierten Gebiet abgefeuert worden sein, zudem habe es sich um eine Rakete gehandelt, die in Russland schon längst ausrangiert worden sei. Beklagt wird zudem, dass Russland nicht ausreichend in die Untersuchung einbezogen wurde, Informationen aus Russland seien nicht berücksichtigt worden (Russland kritisiert erneut MH17-Abschlussbericht).

Bild: DSB

Als Außenstehender kann man die vielen Informationen und Hypothesen, die zirkulieren, kaum nachvollziehen. Der Abschuss der MH17, der eine Wende im Ukraine-Konflikt einleitete und die Sanktionen sowie eine verstärkte Nato-Aufrüstung nach sich zog, ist weiterhin umwoben von Verschwörungstheorien. Zu diesen könnte auch die These von der Buk-Rakete gehören, die von prorussischen Separatisten abgeschossen wurde, die möglicherweise geglaubt hatten, sie würden ein ukrainisches Militärflugzeug anvisieren, auch wenn dies dann ungewöhnlich hoch geflogen wäre.

Wann der Bericht des JIT zum Abschluss kommt, steht in den Sternen. Man kann durchaus den Eindruck gewinnen, dass die Untersuchung möglichst lange hinausgeschoben werden soll, um die Sanktionen gegen Russland aufrechthalten zu können. Schließlich wird auch die ausstehende Umsetzung des Minsker Abkommens alleine Russland zugeschoben, auch wenn hinter vorgehaltener Hand sicher auch verstärkt Druck auf Kiew ausgeübt wird, das Autonomie- und Amnestiegesetz für Lokalwahlen in Donezk und Lugansk endlich voranzubringen. Allerdings haben sowohl Moskau und die "Volksrepubliken" als auch Kiew eher ein Interesse daran, die Situation als "gefrorenen Konflikt" erst einmal zu bewahren.

Wie auch immer, während in vielen Ländern die Aufregung über MH17 ebenso nachgelassen hat wie das Interesse am Ukraine-Konflikt, ist in den Niederlanden weiterhin in den Medien und auch im Parlament eine Diskussion im Gang. So haben die Medien NOS News, RTL News und Volkskrant sich letztes Jahr zusammengeschlossen, um das Justizministerium gerichtlich dazu zu zwingen, geheim gehaltene oder großenteils eingeschwärzte Dokumente zum Fall MH17 freizugeben. Die Medien sagen, gerade in einem solchen hochpolitischen Fall sei Transparenz unabdingbar, doch sie haben nach einem Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz vor allem tiefgeschwärzte Seiten erhalten. Das Ministerium erklärte, die Freigabe der Informationen könnte die Beziehungen zu anderen Staaten und internationalen Organisationen beeinträchtigen. Und seltsamerweise würde mit der Freigabe der Dokumente der "freie Austausch von Argumenten" behindert. Heute wird sich das Verwaltungsgericht Utrecht noch einmal mit dem Fall beschäftigen.

Mittlerweise schließt der niederländische Außenminister Bert Koenders aus, dass es ein UN-Tribunal zu dem Fall geben könnte. Das war gefordert worden, um die Suche nach den Tätern zu beschleunigen. Moskau hatte sich dem aber widersetzt, weil man damit dem Abschluss der strafrechtlichen Untersuchung vorausgreife. Koenders sagte, vermutlich werde der Prozess vor einem Gericht der beteiligten Staaten (Ukraine, Australien, Niederlande, Belgien oder Malysia) geführt. Aber dazu gebe es noch keine Entscheidung, sie werde frühestens in einem halben Jahr erwartet. Eine Alternative wäre ein Tribunal, dem alle betroffenen Länder angehören würden. Koenders ist der Überzeugung, dass nicht die Strafermittler, sondern Bellingcat gezeigt habe, dass die Russen für den Abschuss verantwortlich seien.

Umstritten ist in den Niederlande auch die Tatsache, dass weder Russland noch die Ukraine primäre Radardaten für den Zeitpunkt des Absturzes geliefert hatten. Das Untersuchungsteam hatte das, abgesehen von einigen kritischen Bemerkungen gegenüber Russland, eher klaglos hingenommen und auch widerspruchslos die Erklärung der Nato akzeptiert, dass es keine AWACS-Daten gebe. Die seiner Zeit von US-Außenminister Kerry behaupteten Beweise, dass die Separatisten verantwortlich seien, wurden auch nicht eingefordert - von den USA wurden angeblich vertraulich Satellitenbilder vorgelegt. Russland hatte erklärt, man habe die Daten nicht gespeichert, weil das Flugzeug nicht in den russischen Luftraum geflogen sei, nur dann sei man dazu verpflichtet.

Update: In einem Brief an Angehörige der Opfer erklärte Oleg Stortschewoi, stellvertretender Chef der russischen Luftfahrtbehörde Rosaviazija, es seien alle Funkmessdaten zum letzten Flug MH17 vorhanden, Russland sei bereit, sie den bevollmächtigten Organisationen erneut zur Verfügung zu stellen. Man habe die Daten gleich nach dem Absturz dem Sicherheitsrat der Niederlande übergeben: "Wir haben keinerlei Bedingungen oder Einschränkungen für die weitere Nutzung und Veröffentlichung der übergebenen Funkmessdaten, Telefongespräche und der anderen Zeugnisse genannt und festgelegt, um die uns der Sicherheitsrat der Niederlande gebeten hatte." Die Holländer hätten jedoch die Daten nicht verwendet, kritisierte er.

Auch die Ukraine müsse die Daten übergeben, so Stortschewoi, die USA seien verpflichtet, die Satellitendaten zu liefern, von denen US-Außenminister Kerry kurz nach dem Absturz gesprochen hatte.

Nach dem DSB-Abschlussbericht hatte Russland keine Primärdaten übergeben, sondern eine Video-Wiedergabe mit bereits verarbeiteten Daten.

Irritationen gab es vor kurzem, als der ukrainische Verkehrsminister sagte, die Ermittler vom DSB hätten die primären Radardaten gar nicht angefordert. Damit hätte sich vielleicht erkennen lassen, wo die Rakete abgeschossen wurde. Der ukrainische Botschafter widersprach dem Minister und erklärte, die Daten seien angefragt worden, aber es habe eben keine gegeben. Ein Radar sei gewartet worden, einer sei zerstört gewesen und der dritte habe irgendwie nicht funktioniert.

Seltsam ist dies deswegen, weil die ukrainische Regierung behauptete, dass just am Tag des Abschusses die Radarstationen nicht funktionsfähig gewesen seien, weil sie gewartet worden wären. Allerdings hatte die für die Luftkontrolle zuständige Organisation UkSATSE offenbar Eurocontrol den Ausfall der Radarstionen nicht gemeldet, wozu sie verpflichtet gewesen wäre. Eine der Radarstationen soll bereits im Juni 2014 von maskierten Männern angegriffen und zerstört worden sein.

Die niederländische Regierung will dem aber nicht weiter nachgehen, wie sie gerade während einer Parlamentsdebatte über MH17 erklärte. Man werde keine Beschwerde wegen der fehlenden Daten einreichen, da es genug Informationen für die strafrechtliche Ermittlung gebe. Sprecher der Oppositionsparteien fragten den Justizminister Ard van der Steur, warum die Radardaten nicht notwendig seien. Er erklärte, er könne sich nicht mehr erinnern, was die Opposition verständlicherweise nicht sehr überzeugend fand.

Jetzt könnte man sich überlegen, welche der Parteien aus welchen Gründen mauert. Offenbar hat keine der Parteien - weder die USA noch die Ukraine oder Russland - gesteigertes Interesse an wirklicher Aufklärung. Man darf auf das Ergebnis des JIT gespannt sein, wann immer es kommen wird.