Die Opposition in Moldau will nicht aufgeben

Renato Usatii, der Chef von "Unsere Partei", und Andrei Nastase, der Vorsitzender der Bürgerplattform "Würde und Gerechtigkeit", über die Proteste

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Am 24. Januar protestierten über 40.000 Menschen gegen den neu ernannten Premierminister in der moldauischen Hauptstadt Chisinau. Die Opposition stellte ein Ultimatum an die Regierung; dieses wurde jedoch unbeachtet gelassen (Moldau: Demonstranten stellen Ultimatum an die Regierung). Seitdem ist Moldau aus den Nachrichten europäischer Medien fast verschwunden. Doch neue Demos werden geplant, aufgeben will hier keiner.

Seit fast einem Jahr hören die Proteste nicht auf. Nachdem über eine Milliarde US-Dollar durch drei Banken ausgeführt wurde, sinkt der Lebensstandard in Moldau im rapiden Tempo ab. An den dubiosen Transaktionen nahm die politische Spitze teil, vor allem wird der reichste Oligarch des Landes, Vladimir Plahotniuc, als Initiator dieser Plünderung genannt.

Die Proteste werden von drei Kräften organisiert: der Sozialistenpartei mit Igor Dodon, der Bürgerplattform "Würde und Gerechtigkeit" und "Unsere Partei" von Renato Usatii. Viele in der kleinen osteuropäischen Republik sympathisieren mit der Opposition. Doch viele sind auch skeptisch, da sie so oft in der Vergangenheit von Politikern enttäuscht wurden. Der Sozialist Igor Dodon ist kein neuer Spieler auf der politischen Arena. Interessanter sind hingegen zwei andere Oppositionelle: der Chef von "Unsere Partei", Renato Usatii, und der Vorsitzende der Bürgerplattform "Würde und Gerechtigkeit", Andrei Nastase.

Renato Usatii. Bild: A. Bauchina

Renato Usatii definiert sich in unserem Gespräch als "moldauischer Gastarbeiter", der im Laufe der letzten 10 Jahre ein Millionengeschäft mit Hartmetallen in Russland gemacht hat. Nun ist er zurück und regiert als Bürgermeister in der nördlichen Stadt Balti. In Chisinau ist sein Parteibüro, wo er die meiste Zeit verbringt. Usatii wirkt gelassen, trinkt Tee und raucht. Die Zigaretten löscht er in einem der Kristallaschenbecher aus, auf denen das Foto des ehemaligen Premierministers Vlad Filat gedruckt ist. Wegen Korruption sitzt Filat im Knast. Usatii sagt, die meisten Köpfe aus dem Parlament müssen auch hinter Gittern sein, vor allem der Oligarch Plahotniuc.

Die moldauische Regierung hat von der EU über 70 Millionen Euro für die Reformen erhalten. In der Justiz sollte eine komplette Umstrukturierung durchgeführt werden. Doch das Geld landete in den Taschen der Politiker und die Reformen entstanden nur auf dem Papier, so Usatii. Was hat er vor und was fordert die Opposition? Usatii kann nicht ruhig sitzen und läuft hin und her: "Wir fordern Rücktritt aller an der Korruption Beteiligten", sagt er und erhebt seine Stimme.

"Der Generalstaatsanwalt muss weg sowie der Chef des Antikorruptionszentrums, der komplette Koordinationsrat des Radio- und Fernsehfunks, der Vorsitzende der zentralen Wahlkommission und viele andere. Wir fordern vorgezogene Parlamentswahlen. Laut allen Befragungen der letzten 6 Jahre wollen über 90 Prozent aller Bürger direkte Präsidentschaftswahlen. Wir werden das erreichen und ein Referendum organisieren", erzählt er weiter. Usatii ist sich sicher, dass Korruption das größte Übel moldausicher Politik sei. Nur Moldauer könnten dieses Problem lösen und nicht Brüssel, Washington, Moskau oder Bukarest.

Viele im Land lästern über Verbindungen von Usatii zu mafiösen Strukturen und dem russischen Geheimdienst. Er dementiert jegliche Anschuldigungen und sagt, er vertrete ausschließlich Interessen moldausicher Bürger. Sieht er Moldau in der russischen Zollunion, so wie viele europäische Medien darüber berichten? "Jeder moldauische Politiker muss ein Diener seines Volkes sein", sagt Usatii und nimmt nun die dritte Zigarette in den Mund. "Die Entscheidung, die unser Volk treffen wird, muss akzeptiert werden. Wenn unsere Landsleute nach Russland wollen - ok, wenn in die EU - ok. Ich persönlich plädiere für ein Referendum und eine produktive Zusammenarbeit mit allen politischen Akteuren."

Andrei Nastase. Bild: Nastase

Neulich tat sich Usatii mit der Bürgerplattform "Demnitate si Adevar" (Würde und Gerechtigkeit) zusammen. Deren Vorsitzender, Jurist Andrei Nastase, ist für seine pro-europäischen Ansichten bekannt. Etliche Sendungen und Publikationen in moldauischen Medien nannten ihn "Verräter", da er sich mit dem "pro-russischen Usatii" vereinte. Andrei Nastase erklärt geduldig und zeichnet den sogenannten moldauischen Medienkreis auf einer Serviette.

"Hier im Land kontrolliert Oligarch Plahotniuc 80 Prozent aller Medien", sagt er auf wunderschönem Hochrumänisch. So gehoben und literarisch reden nicht viele in Moldau. "Plahotniuc will uns diskreditieren. Ich nenne das ein Propaganda-Schema im Stil von Goebbels. Das muss uns allen klar sein. Die Presse und Justiz sind in Moldau von Plahotniuc eingekauft. Der gesamte Staat gehört diesem Kriminellen." Nastase erzählt, Plahotniuc besitze mehrere Pässe (laut meinen Recherchen einen moldauischen, rumänischen und russischen) und sei in der Vergangenheit Schmuggler und Zuhälter gewesen.

Alles werde zurzeit unternommen, um die Plattform sowie die Gesamtopposition zu besiegen. Nastase selbst hatte Angst vor einem fabrizierten Gerichtsfall und brachte seine Frau und Kinder ins Ausland - aus Sicherheitsgründen. Vor kurzem wurden 13 Personen, die an dem Sturm des Parlaments vor knapp zwei Wochen teilgenommen haben, identifiziert. Die meisten sind Mitglieder der Plattform "Würde und Gerechtigkeit". Gegen sie wird nun ein Strafverfahren eingeleitet. Nastase hält solche Aussagen der Regierung für "politisch motiviert". Der Traum in einem prosperierenden Moldau aufzuwachen, bleibt immer noch sein größter Traum.

Andrei Nastase bezeichnet die Berichterstattung vieler Medien bezüglich der Proteste in Moldau als "nicht ausgewogen". Er findet, einige Medien zeigen ein viel zu einseitiges Bild. Die Menschen seien freiwillig auf die Straße gegangen. Keiner habe sie bezahlt oder ihnen Befehle gegeben. Das Gleiche würde auch die Reformen betreffen, die die Opposition durchführen will. "Wir müssen keinen Anweisungen folgen, in welche Richtung wir den Kopf drehen: ob nach Westen oder Osten. Die Reformen haben keine geopolitische Farbe", erzählt Nastase.

Die Republik Moldau unterzeichnete das Assoziierungsabkommen mit der EU. Was passiert, wenn einige Parteien dieses annullieren wollen und einen anderen Weg für Moldau in Ansicht haben? Die Plattform "Würde und Gerechtigkeit" sehe Moldau nur als einen Teil der Europäischen Union. "Es geht um eine tatsächliche Implementierung des Assoziierungsabkommens, so dass Moldau aufblühen wird", sagt Jurist Nastase. "Wir werden uns Mühe geben, so dass unsere Bürger sich für pro-europäische politische Kräfte entscheiden, die zusammen eine Mehrheit bilden würden. Diese sollten Reformen vorbereiten, gegen Korruption kämpfen und Moldau auf dem Weg zu einem Rechtsstaat bringen."

Die erste Sitzung des neuen Parlaments findet am 12. Februar statt. Die Opposition verspricht, Zehntausende Menschen auf die Straße zu bringen. Sie werden vor dem Parlament protestieren, mit der Hoffnung, dass ihre Forderungen gehört werden.