Türkei blockiert weiter das Kurdengebiet in Afrin

Kurden in Afrin brauchen humanitäre Unterstützung für Versorgung zehntausender Flüchtlinge

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Als ich im Februar 2015 den Grenzübergang, vor dem nun seit Tagen tausende syrische Flüchtlinge auf eine Einreise in die Türkei warten, nach Afrin überquerte, sah ich tiefe Gräben und Wälle, die die Grenze zwischen Afrin und den von syrischen Islamisten kontrollierten Gebiete, sicherten.

Da sich die Radikalislamisten nun vor Assads Truppen und der russischen Luftwaffe auf der Flucht befinden, besteht erst einmal keine Gefahr für Afrin. Was Assad anbetrifft, wird er demnächst die Kurden nicht angreifen. Weder die Russen noch die US-Amerikaner werden dies zulassen, sagen kurdische Politiker vor Ort, in Afrin. Aber wirtschaftlich geht den Menschen sehr schlecht.

In Afrin habe ich Gespräche mit Politikern, Repräsentanten verschiedener ethnischer und religiöser Minderheiten geführt. Auch wenn viel Kritik an der Politik der regierenden PYD-Partei gibt, wollen die Menschen weder Assads Herrschaft noch die von der türkischen Regierung unterstützten Islamisten.

Ein Hilferuf aus der überwiegend von Kurden bewohnten Region Afrin im Nordwesten Syriens erreichte die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Donnerstag. Die Präsidentin des Kantons, die Kurdin Hevi Mustafa, bat in einem Telefonat mit mir dringend um Unterstützung für die Versorgung von bis zu 35.000 Flüchtlingen, die ihren Angaben zufolge seit dem 3. Februar vor den massiven Angriffen auf Aleppo und umliegende arabische Ortschaften fliehen mussten und in Afrin Schutz gesucht haben.

"Wir haben alle Bewohner Afrins aufgefordert, zu helfen. Wer kann, bringt eine warme Decke oder eine Matratze zu den Sammelpunkten. Auch wenn Medikamente wegen der Blockadepolitik der türkischen Regierung sehr knapp sind, werden kranke Flüchtlinge in den beiden Krankenhäusern von Afrin behandelt. Noch ist das möglich, aber wir brauchen unbedingt humanitäre Hilfe aus dem Ausland. Dann könnten wir auch noch viel mehr Flüchtlinge versorgen", sagte Frau Mustafa.

Hevi Mustafa. Bild: K. Sido

Afrin hat einschließlich der Flüchtlinge bis zu 1,5 Millionen Einwohner. Der Kanton ist neben Kobani und Cazire eine der drei mehrheitlich von Kurden besiedelten Regionen, die sich 2012 gegen die Widerstände des syrischen Regimes und der islamistischen Opposition für autonom erklärt haben.

"Wenn keine Hilfe von außen kommt, steuern wir auf eine humanitäre Katastrophe zu", warnte die Kurdin. "Bitte nutzen Sie alle sich bietenden Gelegenheiten, die türkische Regierung zur Aufgabe ihrer Blockade-Politik gegenüber Afrin und Nordsyrien zu bewegen. Lassen Sie es nicht zu, dass die syrische Zivilbevölkerung den geopolitischen Interessen Russlands und der Türkei zum Opfer fällt." Bisher hat die Türkei für die Versorgung der Menschen in Afrin keinen Grenzübergang geöffnet.

Während Russland mit seiner Luftwaffe die Truppen des schiitisch geprägten syrischen Diktators Baschar al-Assad unterstützt, hilft die türkische Regierung als Schutzmacht der Sunniten den radikalislamistischen bewaffneten Gruppen mit Waffen und Geld. Außerdem gilt die Türkei als Ruhegebiet und Transitland der sunnitischen Radikalislamisten. Auch der schiitische Iran, auf der Seit von Assad, und das sunnitische Saudi-Arabien, auf der Seite der sunnitischen Rebellion, sind in dem seit 2011 tobenden syrischen Bürgerkrieg involviert. Vor allem Angehörige der ethnischen und religiösen Minderheiten, wie die christlichen Assyrer/Aramäer/Chaldäer, Kurden, Armenier, Turkmenen, Tscherkessen, Yeziden, Ismailiten und Drusen sind zwischen die Fronten geraten. Zusammen bilden die Minderheiten etwa die Hälfte der 24 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung Syriens und lehnen mehrheitlich die Errichtung eines "Islamischen Staates" in ihrem Land ab.

Zurzeit bewegen sich Assads Truppen auf die mehrheitlich arabisch-sunnitischen Ortschaften im Norden Aleppos zu. Sie werden von der russischen Luftwaffe massiv unterstützt. Zehntausende Zivilisten versuchen, ihr Leben zu retten und flüchten in Richtung Türkei oder in die nordsyrischen Regionen.

Kamal Sido ist Nahostreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und in Afrin geboren.