Syrien: Ein militärischer Sieg Russlands ist die nächste rote Linie

Wirklich verhandelt wird mit Waffengewalt? Die Nato erweitert ihre Strategie, Saudi-Arabien pocht auf militärische Gegenmaßnahmen, die Türkei droht mit einem Einmarsch. Die US-Regierung ist unter Handlungsdruck

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Wollen die Mächte, die den Verlauf des syrischen Krieges bestimmen, den Konflikt ausweiten und noch weiter ihn in hineingezogen werden oder sind sie doch für eine politische Alternative zu gewinnen? Das war gestern vor den Verhandlungen der Internationalen Syrien-Unterstützergruppe (ISSG) in München die Frage.

Ein geschickter diplomatischer Vorstoß des russischen Außenministers, begleitet von guter Öffentlichkeitsarbeit, erweckte den Anschein, dass es diese beiden Möglichkeiten in der Wirklichkeit gibt. Die Nachrichtenagentur TASS, Sputnik und RT berichteten von Vorschlägen zu einer Waffenruhe, die Außenminister Lawrow mit seinem amerikanischen Amtskollegen Kerry im Vorfeld des ISSG-Treffens erörtern wollte.

"Ziemlich konkrete Vorschläge", zitierte der FAZ-Nahost-Experte Rainer Hermann, der eine Verhandlungsbereitschaft Russlands erkannte und Steinmeiers Hoffnung wiedergab, wonach der Außenminister eine "deutlich gewordene Bereitschaft auf vielen Seiten, über konkrete Schritte zu einer Verringerung der Gewalt zu beraten" sehe. Allerdings verrät die Äußerung Steinmeiers vor dem Münchner Treffen - "Wir brauchen hier so etwas wie einen Durchbruch" - auch etwas von gegenläufigen Tendenzen und der Verzweiflung darüber.

Wie die konkreten russischen Vorschläge aussehen, wußten gestern nur Eingeweihte. Klar war nur, dass Druck hinter dem Vorschlag steht. Die Bombardierungen haben schlechte Presse gemacht und auch aus dem UN-Sicherheitsrat kamen kritische Töne.

Mehr Waffengewalt

Pessimisten - oder sind es Realisten? - sind der festen Überzeugung, dass die Entscheidung über die nähere Zukunft Syriens weiter mit Waffen getroffen wird. Dass die syrischen Kampfzonen wmit beträchtlichen Waffenlieferungen an die Gegner Baschar al-Assads aufgestockt werden.

Die Kernfrage, die sich aus dieser Perspektive stellt, heißt: Welche Waffen bekommen Ahrar al-Scham und andere Milizen? Eine Menge TOWs gegen die syrischen Panzer oder auch größeres Waffengerät, das zum Abschuss russischer Flugzeuge taugt?

Darin läge einer der nächsten Eskalationstufen. Saudi-Arabien und die Türkei brauchen dazu allerdings das grüne Licht aus Washington. Sie sparen nicht mit Druck.

Saudi-Arabien: Der Sieg der syrischen Regierung wäre eine Niederlage gegen Iran

Am gleichen Tag, als russische Medien signalisierten, dass Lawrow Vorschläge zur Feuereinstellung unterbreitet habe, sandte der saudischen Sender al-Arabyia das Signal, dass die Entscheidung, Truppen nach Syrien zu senden, "endgültig" sei - gar "irreversibel" laut eines Sprechers der saudi-arabischen Armee.

Konkretes - wo sollen welche Truppen eingesetzt werden, wann etc. - gab es dazu nicht. Auch verbreitete sich die Meldung nicht groß. Die Botschaft, "Saudi-Arabien ist bereit", war ohnehin schon vorher lanciert worden. Dem aktuellen Signal ging der Besuch des politisch mächtigsten Mannes des Königreiches, Verteidigungsminister Mohammed bin Salman, bei der Nato voran. Sowie ein Treffen von türkischen und saudischen Militärführern.

Die Militärs vereinbarten wurde eine militärische Zusammenarbeit. Was das saudische Signale Richtung Syrien noch einmal verstärkten, denn bekanntlich droht auch die Türkei mit einem Einmarsch.

Allerdings dürfte sich Saudi-Arabien im Klaren über seine beschränkten militärischen Kapazitäten sein. Als nicht sonderlich effektiv bezeichneten sie amerikanische Geheimdienstchefs.

Demgegenüber wären aber die immensen Risiken eines - völkerrechtswidrigen - Einmarsches in Syrien nicht zu kalkulieren. Die Regierung Assad würde dies als Kriegserklärung auffassen, Russland als Schutzmacht würde entsprechend agieren und auch der Konflikt mit Iran würde sich auf einen direkten Krieg zuspitzen, den das Haus Saud kaum wünschen kann, zeigt doch Jemen schon die Grenzen des Möglichen an.

Aber es geht um saudische Interessen in Syrien, welche die Regierung in der derzeitigen Situation als höchst bedroht wahrnehmen muss, da die Milizen, die Riad seit Jahren unterstützt, nun auf der Verliererstrecke sind und der Partner USA sich mit Hilfen zurückhält (auch die Lieferung von TOWs an "Rebellen" ist in den letzten Wochen spürbar zurückgegangen). Für Saudi-Arabien steht eine ganze Menge auf dem Spiel, es will die Führungsmacht der Sunniten sein und es geht um den Rückhalt zu Hause.

Ein Sieg der Regierung Assad in Syrien bedeutet aus saudischer Sicht auch einen Sieg Irans und eine große Niederlage der saudischen Regierung, die sich angesichts der vom Ölpreis diktierten reduzierten Beruhigungs-Subventionen an die Bevölkerung durchaus nicht mehr so sicher über deren Gefolgschaft sein kann.

Die Nato zieht sich und Deutschland weiter in den Konflikt

Gut möglich, dass der starke Mann des Hauses Saud Mohammed bin Salman bei seinem Besuch bei der Nato in Brüssel Beruhigendes erfahren hat. Jedenfalls dürften ihm die aktualisierten strategischen Ausrichtungen des Bündnisses, wie sie Generalsekretär Stoltenberg vorbrachte, gefallen haben. Denn sie sind eindeutig auf die Eindämmung der russischen Einflusssphäre angelegt.

Stoltenberg verknüpft nun die "Flüchtlings- und Migrantenkrise" mit Unterstützungsmaßnahmen für die Türkei und hat dabei Syrien im Blick - und insbesondere Russland.

Die AWACS-Flugzeuge für den Kampf gegen ISIS, die Entscheidung, Kriegsschiffe (die unter deutschem Befehl stehen), sofort in die Ägais zu schicken, um dort Aufklärungs- und Überwachungsaufgaben zu übernehmen, soll angeblich bei der "Bewältigung der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg helfen". Ganz sicher hat dies aber einen gewünschten Kollateral-Effekt auf die strategische Situation im Krisengrenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei.

Verstärkt wird dieser Effekt mit der Ankündigung, dass die Nato erwäge, sich der von den USA geführten Anti-IS-Koalition im Block anzuschließen.

"We have also decided to intensify intelligence, surveillance and reconnaissance at the Turkish-Syrian border", gibt Stoltenberg bekannt und jeder versteht seit dem Abschuss der russischen Flugzeugs durch das türkische Militär, was hier auf dem Spiel steht, nämlich eine unabsehbare Ausweitung des Konflikts beim nächsten Näherkommen /Überfliegen einer umstrittenen Flugzone durch russische Kampfjets, die in dem Gebiet operieren.

Dass es der Nato nach wie vor nicht an einer De-Eskalation des Konflikts mit Russland gelegen ist, beweist sie durch die Verhandlungen mit Georgien, ein No-Go für Russland. Der Nato ist bewusst, dass die Absicht, Georgiens Verteidigung zu stärken, ein gemeinsames Ausbildungslager in Tbilisi aufzubauen, und sich in Gebietsstreitigkeiten über Abchasien und Südossetien einzumischen, eine Provokation Richtung Moskau darstellt.

So ist an diesem Punkt zu konstatieren, dass es die Nato, was die Konfliktfelder angeht, die mit Russland zu tun haben, auf eine Ausweitung anlegt, die nun Syrien mit hineinnimmt. Mit Folgen für Deutschland, das nun auch weiter in das syrische Schlamassel hineingezogen wird.