Strafende und belohnende Religionsvorstellungen als evolutionärer Vorteil

Wissenschaftler überprüften ihre Hypothese nicht anhand religiöser Schriften und Erzählungen, sondern mit Befragungen von und Tests mit Gläubigen

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Religiöse Vorstellungen haben sich in allen Kulturen entwickelt. Waren sie ein evolutionärer Vorteil, der die Bildung von Gruppen über den bloßen Familienverband hinaus beförderte? Ein Team aus Ethnologen und Psychologen aus den USA, Großbritannien, Kanada, Neuseeland, Dänemark und Tschechien hat diese Hypothese nun nicht anhand religiöser Schriften und Erzählungen überprüft, sondern mit Befragungen und Tests.

Um auszuschließen, dass die Hypothese nur auf abrahamitische Religionen zutrifft, suchten die Wissenschaftler ihre insgesamt 591 Probanden für ihre mehr als 35.400 Tests und Befragungen unter so verschiedenen Völkern wie den penishüllentragenden Melanesiern auf der Vanatu-Insel Tanna, brasilianischen Indianern am Pesqueiro, sibirischen Tuwinern und tansanischen Hadza, die eine Klicklaut-Sprache sprechen. Die religiösen Vorstellungen, denen die Probanden anhingen, umfassten dabei nicht nur Götter im engeren Sinne, sondern auch Ahnen, als belebt empfundene Gegenstände und Naturphänomene.

Als erstes hielten die Wissenschaftler fest, ob und wie religiös die Probanden waren. Dann untersuchten sie ihre Verhaltensmuster, wobei sie zwischen dem Verhalten gegenüber Glaubensgenossen und dem gegenüber Außenstehenden unterschieden. Dazu ließen sie sie von Psychologen entwickelte Spiele spielen, bei denen es um das Teilen von Münzen geht.

Dabei fanden sie heraus, dass die Bereitschaft zu Kooperation, Vertrauen und Fairness mit und gegenüber Anhängern der gleichen religiösen Vorstellungen um so größer ist, je mehr eine Person sich eine "kognitive Repräsentationen" als all- oder vielwissend, strafend und hegend vorstellt. Mit und gegenüber Außenstehenden waren dieser Effekte deutlich schwächer. Außerdem fanden die Ethnologen und Psychologen heraus, dass Strafvorstellungen dabei weitaus wirksamer sind als Belohnungserwartungen.

Aus diesen Ergebnissen, die jetzt im Wissenschaftsmagazin Nature erschienen, schließen die Autoren der Studie, dass solche religiösen Vorstellungen in der Vergangenheit tatsächlich ein evolutionärer Vorteil waren, weil sie dazu beitrugen, dass Menschen über den reinen Familien- oder Abstammungsverband hinaus in größeren Gruppen kooperierten. Das verbesserte die Bedingungen für Handel, Arbeitsteilung, Verteidigung und Fortschritt.

Fetischmarkt in Lomé, Togo. Foto: Dominik Schwarz. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Die Hypothese, dass religiöse Vorstellungen Normen, Kameradschaft und Solidarität durchsetzen und so das Zusammenleben in Gruppen jenseits der Sippe begünstigten, wurde bereits Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vom Soziologen Émile Durkheim aufgestellt, der glaubte, dass die Wissenschaft religiöse Vorstellungen erschüttert und deshalb Bedarf nach einem Ersatz sah, den er für notwendig hielt, um moralische Verwerfungen zu vermeiden.

Bereits er suchte für sein Werk Die elementaren Formen des religiösen Lebens nach den gemeinsamen Nennern solcher Vorstellungen überall auf der Welt. Sein Postulat, dass der Totemismus der australischen und amerikanischen Ureinwohner die einfachste und ursprünglichste Form der Religion sei, wurde später von Spezialisten angegriffen, die ihm vorwarfen, zu wenig quellenkritisch gewesen zu sein und Befunde so interpretiert zu haben, dass sie zu seinen Theorien passen.

Seine Grundabstraktionen, die er unter Berücksichtigung des Buddhismus und anderer gottloser Religionen entwarf, erwiesen sich jedoch als haltbarer als die vermeintlichen Belege für seine Hypothese und dienen der Erforschung solcher Phänomene noch heute als Grundlage. Eine andere dieser Grundabstraktionen ist das Ritual, an dem sich die Anhänger einer Glaubensgemeinschaft körperlich beteiligen und sich so der gegenseitigen Anerkennung von Vorstellungen versichern.

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