Russland wirft USA Angriffe auf Aleppo vor

Der Twitteraustausch zwischen dem russischen und amerikanischen Verteidigungsministerium lässt die explosive Situation und den "fog of war" deutlich werden

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In einer neuen Eskalation warf gestern das russische Verteidigungsministerium dem Pentagon vor, dass zwei US-Kampfflugzeuge des Typs A-10, die von der Türkei gekommen seien, am Mittwoch um 10:55 Uhr GMT Ziele in Aleppo bombardiert hätten. Zuvor war den russischen Luftangriffen wiederholt vorgeworfen worden, alle Oppositionsgruppen, abgesehen von den Kurden, anzugreifen, keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen und für den neuen Flüchtlingsstrom verantwortlich zu sein. Moskau erklärte dazu u.a., dass für angeblich aktuelle Angriffe alte Bilder von den Zerstörungen in Aleppo verwendet worden seien.

Am 10. Februar beschuldigte der Pentagon-Sprecher Steve Warren schließlich Russland und die syrische Armee, zwei Krankenhäuser angegriffen zu haben, wodurch die medizinische Versorgung von 50.000 Menschen gefährdet sei. Aus den Formulierungen geht aber nicht hervor, ob es russische oder syrische Flugzeuge gewesen sein sollen.

Der russische Außenminister Lawrow mit seinem amerikanischen Kollegen Kerry gestern Abend in München: eisige Atmosphäre. Bild: state.gov

Moskau wies dies stante pede zurück, es seien zu der Zeit keine russischen Flugzeuge über Aleppo unterwegs gewesen. Sie wären Aleppo nicht näher gekommen als bis zu einer Entfernung von 20 km. Zudem habe Warren weder die Zeit der Angriffe noch die Koordinaten der Krankenhäuser bekannt gegeben, kritisierte Igor Konashenkov, der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums. Stattdessen seien amerikanische Flugzeuge und Drohnen über Aleppo unterwegs gewesen. Er sprach davon, dass neun Ziele von den US-Flugzeugen angegriffen worden seien, man habe aber keine Zeit gehabt, die Angriffsziele genauer zu überprüfen.

Das Verteidigungsministerium versichert, man habe in Syrien eine "mehrschichtiges Aufklärungssystem mit den Partnern" eingerichtet, um Angriffsziele zu klären. Angriffe würden nur nach einer zusätzlichen Prüfung und der Vermeidung von Risiken für Zivilisten geflogen. Auch das Pentagon behauptet, die Luftangriffe würden die bislang präzisesten sein. Auch hier gibt es immer wieder Vorwürfe, dass ihnen Zivilisten zum Opfer fallen, einige hatte das Pentagon auch zugeben müssen.

Die Behauptung, dass die US-Streitkräfte Aleppo angegriffen hätten, konnte das Pentagon nicht auf sich sitzen lassen. Die Beschuldigung impliziert die Suggestion, die USA würden Angriffe fliegen, um für deren Folgen die Russen zu beschuldigen. Wie der Zwist abläuft, zeigt, wie ernst die Situation und wie gering die Gesprächsbereitschaft ist. Auch als sich gestern Abend die Außenminister Lawrow und Kerry in München trafen, gab es beim Begrüßungsritual für die Presse weder ein Lächeln, noch einen Blickkontakt, sondern nur eisige Gesichter. Foreign Policy merkte an, dass die USA und Russland über einen "Heißen Draht" im Kalten Krieg verfügten, um über kritische Vorfälle und Situationen zu sprechen. Das scheint heute nicht mehr möglich zu sein, man tauscht sich vielmehr über Tweets aus.

Tatsächlich reagierte Steve Warren auf den Vorwurf. Zunächst twitterte Kristina Wong von The Hill die Antwort von Warren, der dies dann retweetete: "There were no Coalition airstrikes in/near Aleppo on Feb 10. Any claim there was is a "fabrication". Dann fuhr er selbst direkt weiter und erklärte, die Tweets des russischen Verteidigungsministeriums seien falsch, um dieses dann wieder zu beschuldigen, dass die russischen Luftangriffe "rücksichtlos und ungerichtet" seien. Warren entgegnete, US-Kampfflugzeuge seien 2016 noch gar nicht über Aleppo gewesen. Man hätte zu der Zeit Ziele in Manbij angegriffen. Dagegen habe Russland zugegeben, Ziele in der Nähe von Aleppo angegriffen zu haben, und zitierte einen Tweet, nach dem russische Angriffe den Terroristen schwere Verluste zugefügt und zwei Kommandeure in der Aleppo-Provinz getötet hätten.

Allerdings hatte das russische Verteidigungsministerium bereits gesagt, dass sie Aleppo nicht näher als 20 km gekommen seien. Zudem würden die US-Flugzeuge den IS angreifen, die russischen jedoch "Terroristen". Der Schlagabtausch wird dann zunehmend kindisch. Auf den russischen Tweet: "Advisers must know: Russian operation in Syria is aimed to eliminate terrorism—real and evident threat to Russia's and world security" antwortete Warren: "Yet few, if any, @MOD_Russia airstrikes in #SYRIA support this claim." Dann publizierte er eine Karte, auf der zu sehen ist, wo die US-Streitkräfte Angriffe geflogen haben. Das ist für Außenstehende ebenso wenig überprüfbar wie die russische Behauptung, man sei Aleppo nicht näher als 20 km gekommen.

Offenbar war dies als Beweis gemeint und als Abschluss des Twitter-Dialogs gedacht. Das russische Verteidigungsministerium legte noch einmal nach und erklärte, man habe vorgeschlagen, Daten der Terroristen auszutauschen. Die Vertreter der USA und der europäischen Länder hätten diese entgegen genommen, ohne etwas zu sagen. Damit wollte Russland dem Vorwurf begegnen: "Today Russian aircraft are criticized for flying in wrong areas engaging wrong objects.Perhaps there are updated maps to be sent?"

Eine Einigung scheint derzeit kaum möglich zu sein

Seit dem durch russische Luftangriffe unterstützten Vorstoß der syrischen Armee auf Aleppo und den von den verschiedenen Rebellengruppen, darunter die al-Qaida-Gruppe al-Nusra oder die salafistischen Gruppen Ansar al-Sham und Jaish al-Islam , kontrollierten Gebieten nördlich der Stadt, hat sich die Situation gefährlich aufgeladen. Die syrischen Truppen drängen, zusammen mit kurdischen Kämpfern der YPG und der SDF die "Rebellen" zurück, wie sie derzeit undifferenziert in den westlichen Medien und von den meisten Politikern genannt werden.

Um den Kämpfen zu entkommen, sollen an die 50.000 Syrer an die türkische Grenze geflohen sein, wo sie bislang festsitzen. Es sind aber auch, was man hierzu nicht liest, Menschen in das von den syrischen Kurden kontrollierten Gebiet Afrin geflohen. Die türkische Regierung droht mit einer Intervention, da die YPG-Kämpfer aus Afrin bereits mehrere Dörfer und einen Flughafen eingenommen und ebenso wie die syrischen Truppen Richtung Aziz marschieren sollen. Dadurch würde der von "Rebellen" gehaltene Korridor zwischen Aleppo und der türkischen Grenze und damit die entscheidende Versorgungsverbindung unterbrochen. Allerdings sollen gerade Verhandlungen zwischen der Freien Syrischen Armee und der YPG in Afrin stattfinden.

Aber es droht nicht nur die Türkei mit einer Intervention, sondern auch Saudi-Arabien. Die Entscheidung sei endgültig, Truppen nach Syrien zu schicken, um den IS zu bekämpfen, hieß es gestern. Wo diese eingesetzt werden, wird aber nicht gesagt. Saudi-Arabien unterstützt die salafistische Gruppe Ahrar ash-Sham, die mit al-Nusra den größten Teil der Kämpfer in Aleppo, Idlib und Hama stellen sollen (Hunderttausend Kämpfer in Syrien teilen die IS-Ideologie).