Warum nach "Bild" Russland den "neuen Kalten Krieg" verlieren wird

Reichlich Wodka in russischen Supermärkten. Bild: Vmenkov/CC-BY-3.0

Nicht nur bei Geheimdiensten, auch bei Bild arbeiten Analysten

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Natürlich kann man sich fragen, ob man "Analysen" der Bildzeitung analysieren sollte. Ob deren Kampagnen wirklich Menschen beeinflussen, ist die eine Sache, die andere ist, wie die Journalisten versuchen, einerseits Informationen zu liefern und andererseits eine Botschaft zu vermitteln. Der Versuch besteht meist darin, an die Haltung, vielleicht besser die Vorurteile anzuknüpfen, die man der Mehrheit unterstellt.

Aufreger während der Sicherheitskonferenz war die Äußerung des russischen Regierungschefs Medwedew, dass wir uns wieder in einem Kalten Krieg befänden. Die Frage wäre schon, warum es ein Aufreger ist, wenn ein russischer Politiker sagt, was auch hierzulande immer mal wieder gesagt wird. Wahrscheinlich deswegen, weil die Nato, wie auch im Kalten Krieg, vorgibt, nur zu reagieren, was freilich auch Moskau sagt. Das gehört zum guten Ton und zur Banalität internationaler Auseinandersetzungen, die nicht viel anders ablaufen wie Streitigkeiten zwischen Paaren, die sich gegenseitig vorwerfen, dass der jeweils andere angefangen hat.

Dummerweise aber hat der russische Regierungschef, entlarvend für die Pro-Nato-Mannschaft, gar nicht gesagt, dass wir uns in einem Kalten Krieg befinden. Er sagte lediglich, dass wir uns auf einen "neuen Kalten Krieg" zubewegen. Daran ist nichts auszusetzen, zumal Russland aufrüstet und Nato und die USA Russland als primären Gegner auserkoren haben, gegen dessen perfide Strategien - hybrider Krieg - man sich rüsten müsse, mitunter mit einer "Speerspitze" oder wie schon lange vor der Ukraine mit der Erweiterung der Nato und einem Raketenabwehrschild. Aber das ist nach Nato-Darstellung gegen den Iran oder Nordkorea gerichtet und hat mit Russland nichts zu tun, auch wenn es nicht in der Türkei oder Südkorea (wo es auch eingerichtet wird), sondern in Polen und Rumänien installiert wird.

Speaking bluntly, we are rapidly rolling into a period of a new cold war. Russia has been presented as well-nigh the biggest threat to NATO, or to Europe, America and other countries (and Mr Stoltenberg has just demonstrated that). They show frightening films about Russians starting a nuclear war. I am sometimes confused: is this 2016 or 1962?

Medwedew

Die Bildzeitung also greift in "BILD-Analyse: Warum Russland einen neuen kalten Krieg verlieren wird" auf, dass Medwedew auf der Sicherheitskonferenz von einem "neuen Kalten Krieg" gesprochen habe. Dem habe kaum jemand widersprochen. Entsprechend wird eine "eisige" Stimmung konstatiert und an den Kalten Krieg erinnert, der vor einem Vierteljahrhundert zu Ende ging. Die Gründe, schön knapp für den Bild-lesenden Zeitgenossen: "Die Mauer fiel, der kommunistische Ostblock löste sich auf, die UdSSR auch. Der Westen hatte gewonnen, Moskau verloren."

Wenn es nach Bild geht, vielmehr nach den Bild-Analysten Nikolaus Blome und Ralf Schuler, wird der Westen auch dieses Mal wieder "gewinnen", auch wenn es derzeit so aussehe, als "treibe Putin Barack Obama oder Kanzlerin Angela Merkel fast nach Belieben vor sich her". Aber die am Ölpreis hängende russische Wirtschaft wackelt, das geht nicht gut aus (hätte aber wohl auch Folgen für die deutsche Wirtschaft, zumal scheint auch das globale Wirtschafts- und Finanzsystem ins Trudeln zu kommen).

Wenn Russland von Swift, also vom internationalen Geldverkehr abgeschnitten würde, könnte das Russlands Wirtschaft "tödlich" treffen (und hätte wohl unabsehbare Folgen für die Globalwirtschaft). Russland könne sich das Wettrüsten wegen des geringen Ölpreises nicht lange leisten (die Frage müsste man auch im Hinblick auf die USA stellen). Russland sei nur formal eine Demokratie und ansonsten hoch korrupt. Deswegen tue sich das "allein auf Putin zugeschnittene russische System …, wie zu Zeiten des Kommunismus, schwer damit, aus Fehlern zu lernen oder flexibel zu reagieren". Auch da ließe sich fragen, ob die westlichen Staaten sehr viel besser aus ihren Fehlern lernen und flexibel sind.

Am schönsten aber ist der letzte Grund, mit dem die Bild-Analytiker aufwarten: "Männliche Russen werden im Schnitt nur 64 Jahre alt, ca. ein Viertel keine 55. Ein Grund: Alkoholismus. Schlechter liegen nur Entwicklungsländer, vor allem in Afrika." Leider haben die Analytiker nicht erklärt, was daraus folgt. Sind die Männer einfach zu schwach und betrunken, um als Soldaten gefährlich zu werden? In Syrien scheint allerdings die russische Militärmaschine "gut" zu funktionieren. Wenn die Männer so schwach sind, dann wäre es von der Nato und den USA völlig übertrieben, Russland als primäre Bedrohung zu betrachten. Oder gehen Russland durch den daraus folgenden demografischen Trend nach unten militärisch und wirtschaftlich die Kräfte aus?

Nach der Weltbank liegt die Lebenserwartung für beide Geschlechter durchschnittlich bei 71 Jahren (2013). So hoch wie in der Ukraine, in Aserbeidschan, Weißrussland, Ägypten oder Bangladesch (USA 79, Deutschland 81 Jahre). Die Männer leben tatsächlich deutlich kürzer, nämlich 62,8 Jahren (bzw. nach anderen Angaben - auch hier - 66 Jahre, 2003 waren es noch 58 Jahre, es geht also aufwärts). Frauen haben durchschnittlich eine Lebenserwartung von fast 77 Jahren.

Schuld daran sei, so auch Sputnik, dass die russischen Männer zu viel rauchen und trinken. Nach einer in Lancet 2014 veröffentlichten Studie ist der hohe Konsum von Wodka einer der Hauptgründe. Zur niedrigen Lebenserwartung trägt der vorzeitige Tod von Männern bei: Ein Viertel stirbt schon vor dem Alter von 55 Jahren. Es würden aber auch viele junge Menschen an Drogen sterben, zudem sei Sport nicht sonderlich beliebt und in manchen Regionen das Gesundheitssystem schlecht. Tröstend merkt Sputnik an, dass nach Umfragen die Russen auch nicht unbedingt lange leben wollen. Auch andere glauben, dass vor allem Männer nicht für die Zukunft leben und sich nach der Pensionierung wenig um sich selbst kümmern, also den Blues kriegen.

Putins Kampf gegen Alkohol und Rauchen und für den Sport hat also einen Grund. Nach Bild sollte er vorsichtig sein, in den neuen Kalten Krieg einzutreten, wenn er die Russen nicht schnell ernüchtern kann.