Polen will die Formulierung "polnisches Konzentrationslager" unter Strafe stellen

Eingang zu Auschwitz 1. Bild: Agatefilm/CC-BY-3.0

Der Fehler kommt auch in deutschen Medien immer wieder vor, bis zu 5 Jahre Haft könnten nach dem Gesetzentwurf drohen

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Jetzt wird es ernst. Bis zu fünf Jahre Haft sollen Journalisten künftig in Polen drohen, wenn sie ehemalige deutsche Konzentrationslager im damals von Deutschen besetzten Polen als "polnische Lager" bezeichnen. Das sieht ein Gesetzentwurf des Justizministeriums vor. In ausländischen Medien sei die Formulierung "polnisches Konzentrationslager" zwischen 2009 und 2015 636 Mal benutzt worden. Der Begriff sei irreführend, weil er eine Verantwortung der Polen oder des polnischen Volkes an den nationalsozialistischen Verbrechen unterstelle.

Tatsächlich kommt die fragliche Formulierung immer wieder vor. Es dürfte kaum eine größere deutsche Zeitung geben, der das Missgeschick nicht schon mal passiert wäre. Auch in Telepolis, erinnert sich die Redaktion, tauchte er einmal auf, wurde aber korrigiert. Denn natürlich ist der Begriff hanebüchener Unfug. Es waren deutsche Konzentrationslager, errichtet von den deutschen Besatzern im Zweiten Weltkrieg während ihrer Schreckensherrschaft in Polen. Insgesamt gab es sechs Vernichtungslager: Auschwitz, Belzec, Kulmhof, Majdanek-Lublin, Sobibor und Treblinka, in denen Millionen Menschen ermordet wurden. Von Deutschen erfunden, aufgebaut, betrieben.

Warum hält sich aber dann der Begriff der "polnischen Lager" so hartnäckig? Vermutlich ist es meistens ein Flüchtigkeitsfehler: Jemand spricht oder schreibt über die Lager und will sie näher charakterisieren. Da ist es naheliegend, den Standort zu verwenden. Und tatsächlich lagen die größten Vernichtungslager, allen voran Auschwitz, im heutigen Polen. So kam und kommt es immer wieder zu der falschen Zuschreibung, der meist ein empörter Leserbrief der polnischen Botschaft folgt. Das polnische Außenministerium dokumentiert seine Interventionen inzwischen auf seiner Homepage.

Obamas Fauxpas

Wie schnell sich der Fehler einschleicht, musste auch Barack Obama erleben. Der amtierende US-Präsident vergab am 29. Mai 2012 die Freiheitsmedaille unter anderem an den Rockmusiker Bob Dylan, die Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison und posthum an Jan Karski.

Der polnische Diplomat (1914-2000) hatte im Zweiten Weltkrieg der britischen und der amerikanischen Regierung aus erster Hand über die deutschen Verbrechen in Polen und besonders über die systematische Ermordung der Juden in den Vernichtungslagern berichtet. "Er überschritt feindliche Linien, um den Völkermord zu dokumentieren", würdigte Obama den Widerstandskämpfer, der - und dann passierte es - den Mord an den Juden im Warschauer Ghetto und einem "Polish death camp" selbst gesehen habe.

Obama hatte es also nur gut gemeint, aber eben leider schlecht gemacht. Polen war empört. Premierminister Donald Tusk zichtigte Obama der "Ignoranz, Ahnungslosigkeit und schlechter Absichten". "Wenn jemand 'polnische Todeslager’'sagt, ist das, als habe es keine Nazis, keine deutsche Verantwortung, keinen Hitler gegeben", kritisierte Tusk. Der polnische Präsident Bronislaw Komorowski schrieb Obama einen Brief. Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski kritisierte Obamas Missgriff als "Beleidigung des polnischen Volkes".

Das Weiße Haus bedauerte die Formulierung umgehend. "Der Präsident hat sich versprochen", teilte Tommy Vietor, der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates, mit. "Er meinte die Nazi-Todeslager in Polen. Wir bedauern die falsche Angabe, die nicht die klare Absicht schmälern sollte, Herrn Karski zu ehren und die mutigen Bürger, die auf der Seite der menschlichen Würde standen im Angesicht der Tyrannei." Obamas Redemanuskript wurde ergänzt. Die Formulierung sei "historisch nicht korrekt. Sie hätte lauten müssen: 'Nazi-Todeslager im von Deutschen besetzten Polen'. Wir bedauern den Fehler."

Was in der Aufregung völlig übersehen wurde: Der Begriff "Polish Death Camp" geht auf Jan Karski selbst zurück beziehungsweise auf die Redaktion des Magazin "Collier's". Dort hatte Karski nämlich im Oktober 1944 einen so überschriebenen Aufsatz veröffentlicht. Gut möglich, dass Obamas Redenschreiber darauf anspielen wollten. Falls ja, ging es völlig schief. Und so schrieb Obama noch einen Brief an seinen polnischen Amtskollegen. "Es gab keine 'polnischen Todeslager'", stellte er darin klar. "Die Tötungszentren in Auschwitz-Birkenau, Belzec, Treblinka und andernorts im besetzen Polen wurden gebaut und betrieben vom Nazi-Regime. Viele Polen dagegen riskierten - und ließen - ihr Leben, um Juden vor dem Holocaust zu retten." Komorowski würdigte Obamas Brief als "wichtiges Moment im Kampf um die historische Wahrheit" und gegen die "irreführende, falsche und schmerzhafte Formulierung 'polnische Todeslager'".