Zika-Länder: Frauen betteln um Abtreibungspillen

Papst verbietet weiterhin Verhütung

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Das Zika-Virus, das sich derzeit in den Ländern Lateinamerikas ausbreitet, kann bei schwangeren Frauen dafür verantwortlich sein, dass Kinder mit einem viel zu kleinen Kopf auf die Welt kommen und ihr Leben lang geistig schwer behindert bleiben oder bald sterben. Seit das ursprünglich afrikanische Virus - möglicherweise begünstigt durch die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 - den Atlantik überquerte, stiegt die Zahl der Mikrozephaliefälle in Brasilien um das 24-fache (vgl. WHO: Zika-Virus ist internationaler Notfall).

El Salvador hat seinen Bürgern deshalb geraten, mit Schwangerschaften bis zum übernächsten Jahr zu warten. Bis dahin hoffen die Behörden, die Krankheit in den Griff zu bekommen.

Viele Lateinamerikaner hören allerdings eher auf ihre Pfarrer als auf ihre Gesundheitsexperten. Und die predigen auf dem weitgehend katholischen Kontinent, was der Papst in Rom ihnen vorgibt: Dass nicht nur Abtreibung, sondern auch Verhütung abseits der sexuellen Abstinenz und der (eher unsicheren) Knaus-Ogino-Temperaturmessung Sünde ist und dafür sorgt, dass die Seele nach dem Tod nicht ewig an der Seite Gottes lebt, sondern der ewigen Verdammnis anheimfällt. Im Volksglauben entspricht dieses Seelenschicksal häufig einem Höllenglauben - ähnlich dem, den Salafisten predigen.

In zahlreichen lateinamerikanischen Ländern ist Abtreibung deshalb verboten - darunter auch in El Salvador. In anderen, wie beispielsweise in Kolumbien, sind die Schranken für eine medizinische Indikation sehr hoch. Der Aufruf der UN, dass diese Verbote nach dem Zika-Aufbruch überdacht werden sollten, hat daran bislang nichts geändert. Auch der Papst bekräftigte trotz des Zika-Ausbruchs noch einmal explizit das Abtreibungsverbot der Katholischen Kirche. Hinsichtlich des Verhütungsverbots deutete er zwar mehr Gesprächsbereitschaft an, hob es jedoch nicht auf.

Baby mit Mikrozephalie (links) im Vergleich mit einem normalen Säugling. Foto: U.S. Centers for Disease Control and Prevention.

Die kanadische Frauenrechtsorganisation Women on the Web hat jetzt öffentlich gemacht, dass sie seit Dezember eine vierstellige Zahl von Briefen aus lateinamerikanischen Ländern erhielt, in denen Frauen darum betteln, dass man ihnen die Abtreibungspille RU-486 zuschickt. Das Medikament sorgt für eine relativ unkomplizierte Abtreibung, die im Bedarfsfall auch außerhalb eines Krankenhauses durchgeführt werden kann. In Deutschland darf sie (eher aus politischen, denn aus medizinischen Gründen) trotzdem nur an Abtreibungskliniken abgegeben werden. In Frankreich wurde das Medikament bereits 1988 zugelassen, viele andere Länder folgten Anfang der 1990er Jahre.

Die Zahl der Briefe, in denen Frauen aus Lateinamerika nach RU-486 fragen, nimmt Women on the Web zufolge weiter zu - derzeit sind es 40 bis 50 am Tag. Viele der Frauen, die der Organisation schrieben, wurden positiv auf Zika getestet, andere fürchten nur, dass sie mit dem Virus in Kontakt gekommen sein könnten oder misstrauen ihren katholischen Ärzten, die sie in Sicherheit wiegen. Die NGO geht davon aus, dass es sich bei den Frauen, die ihnen schreiben, nur im einen winzigen Bruchteil der Frauen handelt, die angesichts der Zika-Gefahr gerne abtreiben würden, es aber nicht legal können. Women on the Web befürchtet, dass solche Frauen ohne legale Alternativen zu unsicheren Abtreibungsmethoden greifen, die ihre eigenen Leben gefährden.

Die Pillen, die die kanadische Organisation betroffenen Frauen schickte, wurden in der Vergangenheit regelmäßig vom Zoll beschlagnahmt - zum Beispiel in Brasilien. Eine Empfängerin wurde dort 2008 sogar wegen versuchten Mordes angeklagt (aber freigesprochen). Women on the Web appelliert angesichts des aktuellen Seuchenproblems an lateinamerikanische Politiker und Behördenleiter, diese Praxis zumindest so lange zu ändern, bis Zika unter Kontrolle ist.

Glaubt jemand an Übersinnliches, ist er Sachargumenten häufig nur sehr bedingt zugänglich. Das zeigt sich nicht nur an den Positionen zur Abtreibung und Verhütung im Seuchenfall, sondern auch in anderen politischen Fragen, in denen ehemaligen Theologiestudenten und andere Religiöse sich oft weigern, absehbare Konsequenzen zur Kenntnis zu nehmen und stattdessen an Welten jenseits von Erfahrung und Vernunft glauben - quer über alle politischen Lager hinweg.

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