Balkanstaaten riegeln ab

Das neue österreichische Grenzmanagement bei Spielfeld. Foto: Bundesheer/CC BY-SA 2.0

Montenegro und Bulgarien verstärken ihre Grenzen. Frontex-Chef spricht von einer 600-prozentigen Steigerung der irregulären Grenzüberschreitungen in Griechenland durch Flüchtlinge, die über die Türkei kommen

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Die Staaten auf der Balkanroute riegeln ihre Grenzen stärker ab. Das trifft nicht nur auf Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien zu, die ihr neues rigideres Grenzmanagement mit Verweis auf die Tageskontingent-Politik Österreichs begründen, sondern auch auf Länder, die befürchten, Station von Ausweichrouten auf dem Balkan zu werden.

Montenegro will, wie Ministerpräsident Milo Djukanovic ankündigt, ebenfalls seine Grenzen abriegeln, nach dem Vorbild anderer europäischer Staaten. Bulgarien ist dabei, an der Grenze zur Türkei einen 130 km langen Stacheldrahtzaun zu errichten.

Das bulgarische Parlament beschloss den Grenzschutz mit Soldaten zu verstärken. Im vergangenen Jahr erschoss ein Grenzwächter einen afghanischen Flüchtling.

Auch Slowenien beordert Soldaten an die Grenze zu Kroatien. Das Parlament bewilligte den Entschluss gestern Abend. Weitere Nachahmer-Effekte sind wahrscheinlich.

Wiens Zweifel am Türkei-Abkommen

Die österreichische Regierung hat für morgen eine Balkankonferenz angesetzt - mit den Innen- und Außenministern von Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, dem Kosovo, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien. Das Treffen erregt Kritik und Misstrauen in Griechenland und in der EU.

Die EU und Berlin schickten bereits zuvor Zeichen starker Ablehnung nach Wien (EU-Kommission lehnt ÖsterreichsTageskontingente ab, De Maizère droht). Der neue Wiener Kurs, näher am Kurs der "Geschlossenen nationalen Gesellschaften" der Visegrád-Staaten als an einer europäischen Lösung, wie er Merkel und Juncker vorschwebt, unterminiert die Anstrengungen der beiden genannten EU-Player. Faktisch bekommen die einzelstaatlichen Maßnahmen mehr Gewicht und vor allem Zugkraft - zu Lasten von Griechenland, das mit den abgelehnten Flüchtlingen zurechtkommen muss.

Nach Ansicht der österreichischen Regierungskoalition ist die "europäische Lösung" wenig verlässlich. Hauptsächlich weil sie der Türkei eine zentrale "Schleusenwächter"-Rolle zuweist, aber auch weil überhaupt nicht sicher ist, dass sich die europäischen Staaten doch noch von einer Kontingent-Verteilung ("Umsiedlung") überzeugen lassen.

Für die Haltung Österreichs gibt es Argumente. Die EU macht sich bei der türkischen Lösung abhängig von regionalen Interessen, die Erdogan in der Region verfolgt, mit Einsatz brutaler, menschenverachtender Mitteln - und Zielen, die großes Konflikt- und Fluchtauslöser-Potential in sich tragen, wenn es um Kurden oder die Einrichtung von Schutzzonen in Syrien geht.

Dass sich Merkel für letzteres ausgesprochen hat, ist ein Hinweis darauf, dass Erdogan sich die Grenzwächter-Rolle sehr wohl politisch bezahlen lässt. Wenn es auch Merkel leichtfiel, diesen Loyalitätspreis zu bezahlen, da sie wegen der militärischen Entwicklungen in Syrien keinen Wirklichkeitstest befürchten muss. Allerdings könnten noch andere unangenehme Forderungen der AKP-Regierung kommen. Die EU macht sich mit dem Türkei-Deal erpressbar.

Wie viel kann die Türkei machen?

Es ist noch überhaupt nicht klar, wie sehr die Türkei zu einer "humanen Lösung" der Flüchtlingskrise beitragen, also für gute Bedingungen von Flüchtlingen in ihrem Land sorgen kann - an dieser Stelle ist anzuerkennen, dass sie die meisten Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen hat -, und wie sehr sie willens ist, abgewiesene Flüchtlingen zurückzunehmen und ihre Grenzen stärker zu kontrollieren.

Konkret: Der anhaltende Zuzug von Flüchtlingen auf griechische Inseln nährt bei manchen den Argwohn, dass die Türkei hier mit einer nachlässigen Grenzpolitik bereits Politik macht, Druck ausübt, um der EU zu verdeutlichen, wie wichtig ein Abkommen mit ihr ist. Eine andere Lesart wäre: Dass es kaum möglich ist, die türkischen Grenzen so zu kontrollieren, dass bedeutend weniger Flüchtlinge nach Griechenland kommen.