Türkische Regierung erzählt verwirrende Geschichte vom Ankara-Attentäter

Noch hält sich Ankara offen, bei der Feuerpause mitzuspielen und den Beschuss der YPG in Syrien zu beenden

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Ungelegen für die Erfolgsmeldung über die zwischen Washington und Moskau vereinbarte Feuerpause in Syrien kommen Meldungen über den Vormarsch des Islamischen Staats in der Provinz Aleppo. Während sich syrische Streitkräfte und die kurdische YPG mit so genannten Rebellengruppen wie al-Nusra oder Ahrar al-Sham bekämpfen, können offenbar die Schutzmächte mit ihren Luftangriffen die Kämpfer des Islamischen Staats nicht groß hindern, weiterhin mitzumischen und ihr Gebiet auszudehnen. Gekämpft wird insbesondere um die für die syrische Armee wichtige Landverbindung durch die Wüste über Khanaser nach Aleppo. Die Hauptstraße nach Damaskus wird sowieso noch vom IS kontroliert.

Immerhin haben mittlerweile das syrische Außenministerium und die von Saudi-Arabien zusammengestellte Gruppe an Milizen und Oppositionsgruppen, verschwurbelt das Hohe Verhandlungskomitee (High Negotiations Committee) genannt, wozu auch die salafistischen, auch mit al-Nusra verbandelten Milizen Ahrar al-Sham and Jaish al-Islam gehören, der Feuerpause zugestimmt, die ab Samstag beginnen soll. Warum die syrische Regierung den verwegenen Plan verkündet hat, im April Parlamentswahlen in einem Land abzuhalten, in dem sie nur über einen kleinen Teil die Kontrolle hat, lässt sich kaum erschließen. Will man durch eine von vorneherein nicht im ganzen Land durchführbare Scheinwahl die eigene Legitimation erhöhen, um besser an einer politischen Lösung beteiligt zu werden?

Widerspenstig gibt sich die Türkei. Vizeregierungschef Numan Kurtulmuş begrüßte zwar das Abkommen zur Feuerpause, gibt sich aber wenig optimistisch, dass es umgesetzt werden kann. Einen Grund schiebt er gleich selbst nach, indem er gestern sagte, dass die Türkei möglicherweise weiter Positionen der YPG in Syrien beschießen müsse, falls dies notwendig sein sollte. Behauptet wird von der türkischen Regierung weiterhin, man müsse zurückschießen: "Die Türkei wird seine territoriale Integrität verteidigen."

Dazu beharrt die türkische Regierung weiter darauf, dass die YPG wie die PKK als Terrororganisation zu gelten habe und daher auch trotz der Feuerpause bekämpft werden müsse. Präsident Erdogan machte gestern erneut deutlich, dass er den IS und al-Nusra mit der syrischkurdischen Partei PYD und der syrisch-kurdischen Miliz YPG gleichstellt. Man habe 30 Jahre lange gegen eine "separatistische Terrororganisation" gekämpft, sagte er: "Nach unserer Perspektive gibt es keinen Unterschied zwischen Terrororganisationen. Wir unterscheiden nicht zwischen al-Shabab, ISIL und al-Nusra oder der PKK, der PYD und der YPG."

Nach dem Terroranschlag auf die Militärbusse in Ankara am 17. Februar waren die türkischen Behörden gleich bei der Hand und präsentierten einen Schuldigen. Es sollte sich um den 1992 geborenen Syrer Salih Necar gehandelt haben, der in direkter Verbindung mit der YPG steht und der als Flüchtling die Grenze zur überquerte, wo er sich hatte identifizieren lassen. Die bei dem Selbstmordattentäter angeblich gefundenen Fingerabdrücke würden mit diesem übereinstimmen. Die Behauptung, man habe Beweise für eine "direkte Verbindung zwischen dem Angriff und der YPG", so Regierungschef Davutoğlu (Davutoglu: "Das Recht, alle Maßnahmen gegen das syrische Regime zu ergreifen, ist uns vorbehalten"), diente offensichtlich als Rechtfertigung dafür, von der türkischen Grenze aus gegen die von der Türkei unterstützten Rebellengruppen vorrückenden YPG-Milizen zu beschießen.

Die kurz zuvor gestartete Offensive der syrischen Armee mit der Unterstützung der russischen Flugzeuge hatte die "Oppositionsgruppen", darunter auch al-Nusra, in Bedrängnis gebracht. Es drohte nicht nur die vollständige Einnahme von Aleppo, sondern auch die Sperrung des Korridors von der türkischen Grenze über Azez nach Aleppo, über den die "Oppositionsgruppen" versorgt werden. So macht der Anschlag mit der unmittelbar folgenden Präsentation des Schuldigen und seiner angeblichen Verbindungen stark den Eindruck einer Inszenierung, um in Syrien militärisch eingreifen zu können, nachdem die Türkei bislang die geforderte Schutzzone nicht durchsetzen konnte, obgleich möglicherweise deswegen Zehntausenden von Flüchtlingen der Zugang zur Türkei verwehrt wurde (Erdogans Sender Gleiwitz).