Gartenzwergpolitik

Sind wir und unsere Europäische Zusammenarbeit noch zu retten?

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Wie oft wird derzeit der Satz verwendet: "Um Angela Merkel wird es einsam"? Ob auf der politischen Bühne Berlins, Deutschlands oder Europas, stets schwingt ein vorwurfsvoller Unterton mit. So, als wäre es ihr Fehler, ihr Versagen, als trüge sie dafür Verantwortung. Als würde sie sich aus Sturheit politisch isolieren oder ins Abseits begeben. Das genaue Gegenteil ist der Fall.

Für ein Land, das von so vielen vorgeblichen Verantwortlichen, von so vielen vorgeblichen politischen Vertretern, von so vielen vorgeblichen Experten, von so vielen vorgeblichen kundigen Meinungsbildnern bevölkert wird, ist es beschämend und bestürzend zugleich.

Ganz offenbar ist sie die einzige, die erkannt, begriffen und analysiert hat, dass und warum die Dynamik der derzeitigen Problemlagen im Begriff ist, das mitnichten selbstverständliche, sondern historisch einzigartige Projekt der friedlichen (!), freiwilligen (!) und dauerhaften (!) Europäischen Zusammenarbeit und des Europäischen Zusammenwachsens (wovon die Europäische Union nur ein Teil ist) zu zerstören.

"Wir schaffen das" - was als humanitär inspirierter Aufruf, als einer Notlage geschuldeter Appell daherkam, war ein knallhartes und weitreichendes politisches Statement. In Übersetzung lautet es: "Wir haben gar keine andere Wahl, als es zu schaffen, weil sonst Europa zusammenbricht - mit verheerenden und weitreichenden Folgen für jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger."

Was sie den Menschen, deren Illusionsblase damit zerplatzte, leider nicht sagte, aber hätte sagen sollen: Wir können uns den Problemen der Welt nicht länger verschließen, wie wir es über Jahrzehnte ruch- und schamlos zu tun pflegten - ob wir dies mögen oder nicht, die Probleme der Welt werden uns fortan heftig erschüttern. Wir müssen diese Herausforderungen historischen Ranges anerkennen, wir müssen uns enorm anstrengen, wir müssen auch unkonventionelle Wege gehen.

Tun wir dies nicht, bleibt als einzige Alternative: Der Rückfall in mehr oder weniger aggressive Nationalismus-Konzepte jeder Spielart - mit allem, was wir überwunden geglaubt hatten wie Abschottung, Ausgrenzung, Repression, Unterdrückung, Zäune und Mauern. Und womöglich Schießbefehlen.

Dass die Bundeskanzlerin ungeachtet der sie umgebenden aufgescheuchten Hühnerhaufen versucht, auf allen erdenklichen Wegen wirksame Schritte herbeizuführen, die dieses Szenario verhindern könnten, zeugt von ihrer Weitsicht und ist ein Verdienst historischen Ranges. Dass sie nicht wankt und damit sowohl eigene Wahlniederlagen als auch den Aufstieg der Noch-nicht-Nazis in Kauf nimmt, zeugt zudem von historischer Größe. Was ist schon der Verlust von Landesregierungen oder die Anwesenheit einer Partei wie der AfD in einigen Landesparlamenten gegen den Zusammenbruch der Europäischen Zusammenarbeit?

Denn die Krise ist mitnichten eine "Flüchtlings-Krise". Ohnehin gibt es keine "Flüchtlinge", sondern allein flüchtende Menschen.