Idomeni: Eskalation und hässliche Szenen am berüchtigten Grenzkorridor

Europas Konzeptlosigkeit wird auf dem Rücken der Flüchtlinge und Griechenlands ausgetragen

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Signale gegen Gerüchte: Österreich und die Staaten der Balkanroute setzen darauf, dass die Verriegelung der nationalen Grenzen ein starkes Abschreckungssignal an Flüchtlinge sendet, wie die Vertreter der "Kettenreaktion der Vernunft" mehrfach betonten. Indessen löste ein Gerücht in Idomeni, am berüchtigten engen Grenzkorridor zwischen Griechenland und Mazedonien, Auseinandersetzungen zwischen Grenzschützern und Flüchtlingen aus.

Medienberichten zufolge verbreitete sich unter Flüchtlingen das Gerücht, wonach Mazedonien seine Grenze "wieder für alle Migranten geöffnet habe". Damit habe ein Sturm von hundert Flüchtlingen auf den Grenzzaun begonnen, berichtet der Standard.

"Öffnet die Grenzen!"

Das Video eines griechischen Mediums zeigt, wie Teile des Zauns niedergerissen werden, aufgebrachte, wütende Steinewerfer, Fotographen, Grenzschützer auf der mazedonischen Seite mit Schilden und Tränengas von der mazedonischen Seite, danach der Kamerablick auf eine unüberschaubare Menge von Flüchtlingen, die sich gebückt zurückzieht, und manches Kind auf dem Rücken und an der Hand.

Unstrittig eine hässliche Szene, die auch von der Organisation Ärzte ohne Grenzen dokumentiert wird. Dort berichtet man von hektischen Bemühungen, den Tränengas-Opfern zu helfen.

Die griechische Zeitung Ekathimerini bezieht sich auf Polizeiangaben und berichtet von 500 Personen, die versuchten an der griechischen Polizei vorbei zu kommen, um zur Bahntrasse zu gelangen, an dem die Züge die Grenze passieren. Dabei skandierten sie: "Öffnet die Grenzen!"

Laut Ekathimerini stecken 6.500 Flüchtlinge auf der griechischen Seite der Grenze fest, manche schon seit acht Tagen, die sie nur mit notdürftiger Verpflegung durchstehen mussten. Gestern schätzte der ntv-Korrespondent vor Ort, Dirk Emmerich, die Zahl der Flüchtlinge in Idomeni auf 7.500 und berichtete, dass 300 durchgelassen wurden.

Seit mehr als einer Woche erlaubt Mazedonien nur mehr Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak die Einreise. An der Grenze zwischen Serbien und Kroatien wird nach Informationen des Standard weiter aussortiert: Syrer und Iraker, die nicht direkt aus den Kriegsgebieten stammen, werde die Weiterreise nach Kroatien verweigert - weswegen 700 Flüchtlinge in den Aufnahmezentren im serbischen Šid warten.

Wenige Flüchtlinge auf der Balkanroute - viele in Griechenland

Die Zahlen der Wartenden in Aufnahmelagern an verschiedenen Stationen der Balkanroute, die der Standard veröffentlicht, liegen im dreistelligen Bereich - 600 Flüchtlinge im nordmazedonischen Tabanovce, die allerdings, weil sie aus Afghanistan kommen, schon seit einer Woche auf die Weiterreise warten und 400 Neuankömmlinge im südserbischen Preševo, die binnen 24 Stunden ankamen. "In Kroatien und Slowenien wurden nach Polizeiangaben in den vergangenen drei Tagen nur noch knapp 1000 Menschen registriert", meldet der Spiegel.

Das steht zahlenmäßig - die Härten der einzelnen Situationen außer Acht lassend - im starken Kontrast zu den Flüchtlingen, die sich in Griechenland aufhalten. Am Sonntag wurde ihre Zahl auf 22.000 geschätzt. Heute kamen gut 1.800 Menschen in Piräus an.

Die europapolitische Lösung dieses Problems heißt Abwarten bis zum Gipfel mit der Türkei am 7. März. Die nationalstaatliche Lösung der Balkanroutenländer heißt Abriegeln und Abwarten - bis sich das Abschreckungssignal durchsetzt.

Griechenland erwartet noch mehr Flüchtlinge. Der griechische Minister für Migration, Yannis Mouzalas, befürchtet, dass im nächsten Monat zwischen 50.000 und 70.000 Neuankömmlinge im Land stranden. Ein Konzept, wie mit dieser Menge an Flüchtlingen, die feststecken, umgegangen werden soll, gibt es bis jetzt nicht (Link auf 47544).