Griechenland beantragt 470 Millionen EU-Hilfe

Idomeni, Bild aus dem Jahr 2015. Foto: W.Aswestopoulos

Flüchtlinge: Dass die Bilder aus Idomeni einen abschreckenden Effekt haben, läuft nicht gegen Berliner Interessen

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In den Monaten Januar und Februar 2016 sind beinahe so viele Flüchtlinge (131.724) über das Mittelmeer auf europäischen Boden gelangt wie in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres (147.209). Der bei weitem größte Anteil, nämlich 122.637, ist in Griechenland angekommen, berichtet das UNHCR heute.

Am Montag stieg die Zahl der Flüchtlinge in Griechenland, die Unterkunft benötigen, auf 24.000, so das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Besonders schwierig sei die Lage für 8.500 Personen, die sich am Grenzort Idomeni aufhalten. Es gebe zu wenig Trinkwasser, zu wenig Essen, unzureichende sanitäre Anlagen. Mindestens 1.500 hätten die Nacht im Freien verbracht. Die Überfüllung führe zu Spannungen und Gewalt.

Gestern hatten Flüchtlinge in Idomeni versucht, die Grenzzäune brachial nieder zu rammen, einige warfen Steine von der griechischen Seite. die mazedonische Grenzpolizei reagierte mit Tränengas, die griechischen Polizisten sollen sich angeblich zumindest anfänglich zurückgehalten haben. Die Bahngleise wurden besetzt. Als Grund für die Aktionen der Flüchtlinge wurde ein Gerücht genannt, wonach Mazedonien die Grenzen wieder öffnen würde, und die Frustration, als sich herausstellte, dass die Realität eine andere war (Idomeni: Eskalation und hässliche Szenen am berüchtigten Grenzkorridor).

"Fähre nach Italien oder die Passage über Albanien"

Obwohl derzeit nur wenige über die Grenze nach Mazedonien gelangen, schubweise etwa 30, so eine Augenblicksaufnahme eines Augenzeugen von rtl/ntv, der Willkür als Sortierungsschema beobachtet, sind Gerüchte, dass die mazedonische Grenze doch noch geöffnet werden könnte, weiterhin im Umlauf, wie die Tagesschau aus Athen berichtet.

Das erklärt zum Teil, warum Flüchtlinge aus Afghanistan sich trotz allem auf den Weg nach Idomeni machen. Der andere Teil der Erklärung liefern die Lage, die wenig Aussichten zulässt, und die Schleuser, die mit der Perspektivlosigkeit, Verzweiflung und einem Rest an Hoffung ihre Geschäfte machen. Mehrere Tausend Euro für neue Routen - "auf einer Fähre nach Italien oder die Passage über Albanien" - würden am Viktoriaplatz in Athen angeboten.

Die Gerüchte, wonach die Grenzen sich irgendwann öffnen, spielen den Schleusern in die Hände. Ob die Kommunikationskampagnen, die Deutschland und Österreich auf Busse in Afghanistan plakatiert oder im afghanischen TV lanciert hat, wirksam sind, ist noch nicht abzusehen. Die österreichische Regierung beharrt auf ihrer Grenzpolitik, auf die abschreckenden Signale, die aus der Wirklichkeit an der mazedonischen Grenze kommen.

Wien: Berlin könne Menschen direkt aus Griechenland holen

Zugleich betont Wien, dass man am Rückstau an der mazedonisch-griechischen Grenze keine Schuld habe, verantwortlich sei Deutschland. Verteidigungsminister Doskozil verlangt eine "klare Linie von Berlin". Er meint Obergrenzen, wie sie der bayerische Ministerpräsident Seehofer fordert, bayrisch-österreichisches Einverständnis.

CSU-Chef dürfte über den Vorschlag Doskozils schmunzeln. "Wenn es für Deutschland keine Obergrenzen gibt", dann könne es "direkt von Griechenland die Menschen holen ".

Indessen machte der mazedonische Präsident Djordje Ivanov deutlich, dass Österreich für die Entscheidung seines Landes, die Grenze nach Griechenland nur für sehr wenige Flüchtlinge zu öffnen, eine große Rolle spielt:

"Solche Entscheidungen werden zusammen mit Polizeibehörden entlang der Balkanroute getroffen", sagte Ivanov. Sollte Österreich seine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen erreichen, bedeute das die Schließung der Balkanroute. «Immer wenn ein Land weiter nördlich seine Grenze schließt, machen wir hier dasselbe.» Zugleich betonte er: «Geschlossene Grenzen liegen sicher nicht in unserem Interesse."

Die Betonung, dass die geschlossenen Grenzen "nicht im Interesse Mazedoniens liegen", verdankt sich wohl auch der Diplomatie, die Mazedonien nötig hat, um mit seinem Antrag auf die EU-Mitgliedschaft weiterzukommen. Daraus würden sich auch Möglichkeiten ergeben, Druck auf Mazedonien auszuüben.

Steinmeiers Kritik

Die Formulierung des deutschen Außenministers Steinmeier zur gegenwärtigen Lage an der griechisch-mazedonischen Grenzen ist, soweit zitiert, auch diplomatisch, ohne große Schärfe:

Die Bilder sind ein Beleg dafür, dass man versuchen kann, eigene nationale Wege zu finden, aber dass sie nicht zur Lösung führen.

Man könnte daraus schließen, dass auch die deutsche Regierung mit der Situation nicht gänzlich unzufrieden ist. Dass die Bilder aus Idomeni einen abschreckenden Effekt haben, läuft nicht gegen Berliner Interessen. Auch aus der Regierung gab es Kritik an Merkels Botschaft im September 2015 und an der Wirkung, die sie auslöste. Dass derzeit weniger Flüchtlinge über die Balkanroute nach Deutschland gelangen, dämpft auch hier die erhitzten Gemüter.

Anderseits kann die Bundesregierung mit Verweis auf die humanitär unakzeptablen Folgen der nationalen Grenzabriegelungspolitik für ihren Plan A werben. Die Situation in Griechenland und an der mazedonischen Grenze wird zum Argument für die europäische Lösung, die am 07. März mit der Türkei verabredet werden soll.

Indessen könnte sich die Situation in Griechenland aber dramatisch verschlimmern, warnt die griechische Regierung. Sie beantragte EU-Hilfe in Höhe von 470 Millionen Euro, um etwa 50.000 Menschen in Aufnahmelagern und weitere 50.000 in einfachen Hotels unterzubringen. Die EU signalisierte Entgegenkommen.