Schlafmangel führt zu "Munchies"

Endocannabinoid löst Appetit auf Fett und Kohlehydrate aus

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Dass Cannabis den Appetit kräftig steigert, ist seit langem bekannt - The Munchies, der englische Ausdruck für diesen Effekt, löste in den 1990er Jahren die (geschrieben missverständliche) Denglisch-Wortbildung "Turnhunger" auch in der deutschen Sprache ab. Nun hat ein Team um die an der University of Chicago forschende Neurowissenschaftlerin Erin Hanlon herausgefunden, dass die biochemischen Prozesse, die diesen Appetit auslösen, mit dafür verantwortlich sind, dass Menschen bei Schlafmangel zu mehr, fetterem und kohlehydratreicherem Essen neigen.

Für die gestern in der Fachzeitschrift Sleep erschienene Studie testeten die Wissenschaftler 14 gesunde Erwachsene in einer Forschungsklinik:

Erst wurden in vier Tagen und Nächten mit jeweils siebeneinhalb Stunden Schlaf und drei Mahlzeiten zu verschiedenen Tageszeiten die individuellen Normalwerte für das Appetithormon Ghrelin, das Sättigungshormon Leptin und das Endocannabinoid 2-Arachidonylglycerol (2-AG) ermittelt, das den Cannabinoiden im Hanf ähnelt. Am letzten Tag dieses ersten Experimentteils stellte man den Probanden nach dem Mittagessen eine Schüssel mit Snacks zur Verfügung und hielt fest, wie viel sie davon aßen.

Anschließend ließ man die Teilnehmer während 96 Stunden nur noch durchschnittlich vier Stunden und zwölf Minuten pro Nacht schlafen. Dadurch stieg der Ghrelinspiegel und der Leptinspiegel fiel. Der 2-AG-Spiegel, der mit siebeneinhalb Stunden Schlaf morgens niedrig, mittags hoch und nachmittags wieder niedriger war, erreichte mit viereinhalb Stunden Schlaf 90 Minuten nach dem Aufstehen einen Spitzenwert, den der Körper bis neun Uhr Abends aufrecht erhielt.

Die Probanden berichteten während dieses zweiten Experimentteils nicht nur von einem subjektiv stärkeren Hungergefühl, sondern nahmen sich am letzten Tag auch durchschnittlich 300 Kalorien mehr aus der Snackschüssel - 80 Kalorien mehr als die ungefähr 220 Kalorien, die sie durch die etwa 13 zusätzlichen Wachstunden in den vier Tagen zusätzlich verbrannt hatten. Bei ihrer Auswahl bevorzugten sie besonders fette und kohlehydratreiche Produkte.

Süßigkeitenautomat von 1952. Foto: Minnesota Historical Society. Lizenz: CC BY-SA 2.0

Bereits 2013 hatte ein Team um den Psychologen Kenneth Wright in einem Versuch mit 16 jungen Erwachsenen an der Universität of Colorado in Boulder herausgefunden, dass Menschen mit Schlafmangel mehr Kalorien zu sich nehmen, als sie zusätzlich verbrennen. Dazu hatten sie ihre Probanden nach drei Nächten mit jeweils neun Stunden Schlaf in zwei Gruppen mit jeweils acht Personen aufgeteilt: Eine Gruppe durfte in den folgenden fünf Nächten weiter ausschlafen, der anderen kürzte man die Schlafdauer auf fünf Stunden pro Nacht.

Bei diesem Experiment, bei dem die Teilnehmer durchgehend Zugang zu Süßigkeiten, Chips, Obst und anderen Lebensmitteln hatten, nahmen die Probanden, die man zum widernatürlichen Wachbleiben zwang, durchschnittlich ein Kilo zu.

Wie wichtig ausreichend Schlaf für die Gesundheit ist, zeigte im letzten Jahr auch eine Studie des Mediziners Aric Prather von der University of California: Sein Team maß bei 164 Erwachsenen eine Woche lang, wie gut und lang sie schliefen, und setzte die in Einzelzimmern isolierten Probanden anschließend Erkältungsviren aus. Dabei zeigte sich, dass die Erkältung bei Teilnehmern, die weniger als sechs Stunden pro Nacht schliefen, vier Mal so häufig ausbrach wie bei Probanden mit mindestens sieben Stunden Schlaf pro Nacht. Damit hat Schlaf einen deutlich größeren Einfluss auf die Erkältungsanfälligkeit als Faktoren wie der Tabakkonsum oder die Ernährung (die - wie oben dargelegt - eng mit dem Schlaf zusammenhängt).

Wer dauerhaft wenig schläft, erhöht auch sein Risiko, an Diabetes zu erkranken. Dieser Effekt ist ungefähr so stark wie der von Übergewicht. Allerdings zeigten im Januar veröffentlichte Studienergebnisse der Medizinerin Josiane Broussard, dass sich der Körper innerhalb gewisser Grenzen regeneriert, wenn er an Wochenenden ausschlafen kann und nicht arbeiten muss.

Broussard verkürzte die Schlafdauer von 19 jungen Männern in ihrem Experiment von achteinhalb auf viereinhalb Stunden und stellte dabei fest, dass die Insulinempfindlichkeit dabei um 23 Prozent sank, während der Dispositionsindex um 16 Prozent zunahm. Ließ sie die Probanden nach vier viereinhalb-Stunden-Nächten zwei Nächte lang neun bis zehn Stunden schlafen, normalisierten sich die Werte wieder.

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