Fukushima - fünf Jahre danach

Das Gebiet bei Sukuiso; eine Woche nach dem Erdbeben und dem Tsunami. Bild: NOAA/NGDC, Dylan McCord, U.S. Navy/gemeinfrei

Die Auswirkungen des Reaktor-Unfalls: Eine echte "Todeszone" gab es außerhalb der Kraftwerksmauern nur so weit, wie die tödliche Kraft der Tsunami-Welle und des Erdbebens reichten

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Stress statt Strahlung: Die ökologischen Auswirkungen des Reaktor-Unfalls von Fukushima im Jahr 2011 sind gering. Trotzdem sterben die ehemaligen Einwohner des Gebiets schneller als andere Japaner - und grundlegende Sicherheitsprobleme sind ungelöst.

Ein auf Generationen unbewohnbares Gebiet, eine Todeszone ähnlich wie bei Tschernobyl in der Ukraine - direkt nach dem Tohoku-Erdbeben im März 2011 überschlugen sich die Vorhersagen. Heute weiß man: Eine echte "Todeszone" gab es außerhalb der Kraftwerksmauern nur so weit, wie die tödliche Kraft der Tsunami-Welle und des Erdbebens reichten.

Die radioaktive Verseuchung des Landstrichs ist hingegen vergleichsweise gering und in den vergangenen fünf Jahren erwartungsgemäß gesunken. Cäsium-137 hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren (Anmerkung: An dieser Stelle stand zuvor irrtümlicherweise die Halbwertszeit von 2 Jahren, die für Cäsium 134 zutrifft. Danke ans Forum und eingegangene Mails für die Hinweise; die Red.) . Die befürchtete Häufung von Schilddrüsenkrebs bei Kindern ist nicht eingetreten; tatsächlich liegt die Rate in den betroffenen Gebieten statistisch sogar etwas niedriger als im übrigen Japan.

Das Risiko durch die Cäsium-Kontamination von Wasser

Ein Artikel im Wissenschaftsmagazin PNAS beschreibt aktuell das Risiko durch die Cäsium-Kontamination von Wasser. Die Forscher haben dazu alle verfügbaren Messungen an Süß- und Salzwasser-Lebewesen ausgewertet. Ihr Ergebnis: Das Risiko, dass ein Fisch mit mehr als 100 Bq pro Kilogramm (das ist die WHO-Grenze für Trinkwasser) belastet ist, ist sowohl bei Süßwasser- als auch bei Seewasser-Spezies nahe Null. Speziell für Arten aus Flüssen und Seen ergibt sich nach wie vor ein gewisses Risiko, dass mehr als 20 Bq / kg gefunden werden - bei Meeresfängen hingegen geht auch dieses Risiko gegen Null.

Im Vergleich zu den Japanern, die "nur" vor den Tsunami-Folgen fliehen mussten, geht es den TEPCO-Opfern finanziell deutlich besser: 300.000 Tsunami-Opfer erhielten in den Folgejahren etwa 20 Milliarden Yen (160 Millionen Euro), während 84.000 Opfer der Atomkatastrophe zusammen 30 Milliarden Yen (240 Millionen Euro) bekamen. Das klingt zynisch - und führt in der Bevölkerung denn auch zu gewisser Entsolidarisierung.

In der Präfektur Fukushima sterben die Menschen schneller als anderswo

In der Präfektur Fukushima, in der sich das zerstörte Kraftwerk befindet, sterben die Menschen trotzdem schneller als anderswo. Bis Ende 2015 zählte man mit 2007 Toten mehr zusätzliche Sterbefälle, als von Tsunami und Erdbeben verursacht (1811 Tote in der Präfektur). 90 Prozent der Betroffenen waren älter als 66 Jahre.

Als Ursachen hat man zum einen physischen und psychischen Stress durch den langen Aufenthalt in Notunterkünften ausgemacht, zum anderen die direkt nach der Katastrophe deutlich schlechtere medizinische Versorgung - auch die Krankenhäuser waren ja von Tsunami und Erdbeben beschädigt. Die Selbstmordrate liegt unter den Evakuierten ebenfalls deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung - und zwar speziell in Fukushima, nicht unter den Geschädigten der anderen betroffenen Präfekturen.

Noch immer konnten Zehntausende nicht in ihre Heimat zurückkehren. Für 2017 plant die Regierung jedoch, die Evakuierungen der Kernzone aufzuheben. Die Strahlenbelastung soll dann im ganzen Gebiet unter 20 mSv pro Jahr liegen. Basierend auf der Halbwertszeit der radioaktiven Stoffe haben Forscher berechnet, dass die zusätzliche Gesamtdosis der Betroffenen dann bei unter 60 mSv liegen sollte - das liegt im Bereich natürlicher Strahlenbelastung über ein ganzes Leben (etwa 150 mSv).

Tatsächlich fragen kritische Stimmen, ob es überhaupt sinnvoll war, die Menschen aus intakten Häusern zu evakuieren. Ein Japaner, der in einer der am stärksten kontaminierten Gemeinden geblieben wäre, statt sein Heim zu verlassen, hätte bis heute eine zusätzliche Strahlungsdosis von gut 50 mSv aufgenommen. Durch das leicht erhöhte Krebsrisiko wären rein rechnerisch weniger Menschen gestorben als an Stress und Verzweiflung.