USA: Sterbenlassen durch Nichtbehandlung

Etwa 10.000 Gefangenen wird aus Kostengründen eine Hepatitis-C-Behandlung verwehrt - und damit ihr Tod billigend in Kauf genommen

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Allein im US-Bundesstaat Pennsylvania sind geschätzt 10.000 Gefangene an Hepatitis-C erkrankt. Diese ließe sich relativ einfach behandeln - allerdings mit einem extrem teuren Medikament. Also schaut das zuständige Departement of Correction (DOC), die Gefängnisbehörde, tatenlos zu, wie sich die Krankheit ausbreitet und ihre Nebenwirkungen entfaltet. Gefangene werden im Gefängnishospital mit einem Arm und einem Bein ans Krankenbett gefesselt und - auf gut deutsch gesagt - lässt man sie elendig verrecken.

Das alles wäre wohl niemals ruchbar geworden, wenn nicht auch den wohl berühmtesten politischen US-Gefangenen, den afro-amerikanischen Journalisten Mumia Abu-Jamal, Anfang 2015 dieses Schicksal ereilt hätte. Der preisgekrönte Radioreporter und Vorsitzende der Vereinigung schwarzer Journalisten Philadelphias, geriet in der Nacht des 9. Dezember 1981 in eine Schießerei, an der eine unüberschaubare Anzahl von Personen - Zivilisten und Polizeibeamte - beteiligt war, die für den Polizisten Daniel Faulkner tödlich endete, und Mumia eine schwere Verletzung einbrachte - und den Vorwurf, Faulkner erschossen zu haben.

Jene Nacht war der Beginn eines jahrzehntelang währenden Justizskandals, geprägt von Rechtsbrüchen, durch den sich bis heute Rassismus wie ein roter Faden zieht. Beweisstücke und Akten wurden manipuliert, Zeuginnen und Zeugen zu Aussagen gegen Mumia erpresst, eine Zeugin gar für tot erklärt wurde, damit sie in späteren Verfahren nicht von den Anwälten Mumias befragt werden konnte, Spuren wurden von Anfang an verwischt, und man hat nie in eine andere Richtung als Mumia als Täter ermittelt. Diese Legende wird bis heute aufrecht erhalten, obwohl selbst die Gegenseite, die Bezirksstaatsanwaltschaft Philadelphia, seine Unschuld mehr oder weniger offen zugab, als sie 2011 auf die letzte ihr noch offen stehende rechtliche Möglichkeiten verzichtete, die Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Haft zu verhindern.

Im März 2015 musste Mumia Abu-Jamal auf die Intensivstation eines städtischen Krankenhauses verlegt werden, nachdem er ins Koma gefallen war. Dort wurde Diabetes diagnostiziert. Überdies wurden aufgrund internationalen Drucks verschiedene Untersuchungen an ihm vorgenommen, u.a. auch in Hinsicht auf eine mögliche Krebserkrankung. Dabei wurde die besagte Hepatitis-C-Erkrankung diagnostiziert, die mit gängigen Medikamenten behandelbar wäre. Diese Behandlung wird ihm aber verweigert. Sein Anwaltsteam setzte deshalb alles daran, sie mittels einer Einstweiligen Anordnung durchzusetzen.

Da dieser Versuch scheiterte, verklagte Mumia Abu-Jamal, dem inzwischen eine 63-prozentige Wahrscheinlichkeit attestiert wurde, dass sich die Hepatitis-C zu einer umfangreichen Leber-Zirrhose entwickelt hat, die Gefängnisbehörde. Parallel dazu reichten Gefangene aus verschiedenen Gefängnissen des Bundesstaats Pennsylvania eine Sammelklage ein. Ziel ist es, die Behandlung für alle erkrankten Gefangenen durchzusetzen.

Die Verhandlung im Falle Mumia Abu-Jamal war die erste seit 1981, in der er persönlich gehört wurde. Zwar war er nicht im Gerichtssaal anwesend, wurde aber per Video zugeschaltet. Dabei stellte sich heraus, dass die Gefängnisbehörde Arztberichte gefälscht hatte. Das Ausmaß der Erkrankung wurde beschönigt, um den Einsatz der Medikamente zu verhindern, oder mindestens hinauszuzögern. Das ist nachzulesen in einer Mitschrift des Verfahrens, die jetzt veröffentlicht wurde.

Im Rahmen dieser erstaunlichen Enthüllung erfuhr der Kläger, wie weit fortgeschritten seine Erkrankung bereits ist. Trotzdem erhalten bis dato weder er noch andere Betroffene das fragliche Medikament. Das führt unweigerlich zu der Frage, die Johanna Fernandez, Sprecherin des Anwaltsteams Abu-Jamals schon im vergangenen März stellte: "Wenn mit einem weltberühmten Gefangenen, bei dem gegebenenfalls weltweit hunderttausende Menschen mit Protesten reagieren, wenn mit einem Publizisten mit internationalem Renommee, Mitglied der Schriftsteller-Vereinigung P.E.N., wenn mit diesem Mann und seiner Gesundheit so umgegangen wird, was bedeutet das dann für all die Gefangenen, die über keinerlei Prominenz verfügen, vielleicht noch nicht einmal Angehörige oder eine anwaltliche Vertretung haben, die sie unterstützen?"

Die Familie und das Anwaltsteam fordern seit März 2015 die umgehende Entlassung Mumia Abu-Jamals aus humanitären Gründen.