Türkische Regierung übernimmt Kontrolle der Oppositionszeitung Zaman

Kurz vor dem EU-Treffen zur Flüchtlingskrise führt die Türkei erneut vor, dass sie ein Partner ist, der Probleme mit robusten Methoden löst. Innenminister de Maizière empfiehlt die rosa Brille

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Was für ein Timing: Die EU bereitet sich auf das Spitzentreffen am Montag mit der Türkei vor, um Lösungen für den Flüchtlingsexodus zu finden und die türkische Regierung führt aller Welt vor, wie ihr Verständnis im Umgang mit Kritikern aussieht. Sie übernimmt gewaltsam die Kontrolle über die auflagenstärkste Oppositionszeitung Zaman (täglich 650.000 im Februar).

Polizisten gingen gestern in Istanbul mit Tränengas und Wasserwerfern gegen eine Menschenmenge vor, die gegen die Aktion protestierten, die Redaktion der Zeitung wurde gestürmt. Grundlage ist ein Gerichtsurteil, demzufolge die Redaktion durch staatliche Treuhänder übernommen wird.

Polizeigewalt vor dem Eingang von Zaman. Foto: Today's Zaman

Der Staatsanwalt machte vor dem Istanbuler Strafgericht die berüchtigte schablonenhafte Anklage geltend, wonach die "Terroristengruppe", die Zaman betreibt, mit der PKK zusammen arbeite, um die Regierung zu stürzen. So berichtet es die englischsprachige Ausgabe Today‘s Zaman.

Der PKK-Zusammenhang wird in einem Bericht der englisch-sprachigen Ausgabe der Zeitung Hürriyet nicht erwähnt. Dessen ungeachtet streicht auch dieser Bericht, der sich mit dem Gerichtsurteil befasst, das Verstörende heraus.

"Plot gegen die AKP-Regierung"

Der Staatsanwalt legt dem Hürriyet-Kommentator Yetkin zufolge der Zaman-Mediengruppe zur Last, dass sie einer Terrororganisation angehören, die von Fethullah Gülen angeführt werde. Mit dem einstmaligen Verbündeten und seiner Anhänger trägt Erdogan seit 2013 einen Kampf aus.

Verhaftungen von Journalisten unter Terrorverdacht, die Gülen nahestehen sollen, sorgten immer wieder für Schlagzeilen (Erdogan: "Die freieste Presse der Welt"). Mit gewisser Regelmäßigkeit werden auch Zusammenhänge mit der PKK in den Vorwurf-Mix eingebracht.

Die mit Fethullah Gülen verbundene Mediengruppe, die neben Today's Zaman noch andere Medien wie die Wochenzeitung Aksiyon news weekly, den TV-Sender Samanyolu TV und die Cihan News Agency betreiben, ist Teil eines Plots, der das Ziel hat, die türkische AKP-Regierung zu stürzen, so der Vorwurf des Staatsanwalts. Das Gericht, der "sechste Istanbuler Strafgerichtshof des Friedens", folgte dem Staatsanwalt und stellte die oben genannte Ermächtigung zur treuhändischen Übernahme der Redaktion von Today's Zaman aus.

Allerdings gibt es Zweifel an der Neutralität des Gerichts. Der Hürriyet-Bericht verweist darauf, dass das Gericht sich bereits im Fall der Journalisten Can Dündar und Erdem Gül gegen deren Freilassung ausgesprochen habe und damit im Sinne der Regierung gehandelt habe.

Dass die Verhaftung der beiden Journalisten, die Verbindungen des türkischen Geheimdienst zur Terrorgruppe IS dokumentierten, juristisch nicht haltbar war, bestätigte vor kurzem das türkische Verfassungsgericht (Türkische Regierung gefährdet Feuerpause. Erdogan war mit diesem Urteil nicht einverstanden. Er bezeichnete es als "nicht verfassungsgemäß". Begleitet wurde seine den Rechtsstaat missachtende Haltung in der Sache durch weitere Regierungsaktionen gegen die Pressefreiheit (Pressefreiheit in der Türkei weiter eingeschränkt).

Auch nichtkurdische Opposition spricht von Druck auf die Justiz

Wenn nicht nur die Gegner Erdogans, die er als Terroristen bezeichnet, sondern die Oppositionspartei CHP angesichts der Erdogan-Polizeistaatspolitik von Druck auf die Justiz spricht, müsste dies seinen europäischen Partnern zu denken geben.

Stattdessen setzen politische Spitzenvertreter, so etwa exemplarisch der deutsche Bundesinnenminister de Maizière auf die rosa Brille. Besser wäre es nicht "Schiedsrichter beim Thema Menschenrechte für die ganze Welt(!)" zu sein und die Leistungen der Türkei anzuerkennen:

Ankara hat unter humanitären Gesichtspunkten zuletzt Bemerkenswertes geleistet. Dort sind 2,5 Millionen Flüchtlinge aus der Krisenregion in Syrien aufgenommen worden. Das verdient Anerkennung und nicht Kritik.