Erdogan will neue Stadt in Syrien für Flüchtlinge

Die EU darf sich auf immer neue Pläne des türkischen Partners gefasst machen, der seinen Einfluss in Syrien vergrößern will

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Zwei Tage vor dem EU-Sondertreffen mit Vertretern der Türkei zeichnet sich ab, dass der politische Preis für eine Vereinbarung mit Ankara zur Lösung der Flüchtlingskrise beträchtlich ist: Die EU schließt einen Deal mit einem Staat, dessen Regierung gegen fundamentale Prinzipen der Gemeinschaft verstößt, die Achtung von Grundrechten (Türkische Regierung übernimmt Kontrolle der Oppositionszeitung Zaman).

Dazu kommt, dass der türkische Präsident Erdogan das Flüchtlingsproblem immer wieder eng mit Interessen verknüpft, die er in Syrien verfolgt: die Verhinderung mit einander verbundener Kurdengebiete in Syrien und im Irak und einen Machtwechsel in Damaskus. Das Ziel, dass Baschar al-Assad seinen Posten räumen soll, bleibt für Erdogan wie auch für seinen saudi-arabischen Verbündeten ganz oben auf der Agenda ihrer expansiven Regionalpolitik.

Ein neuer Vorschlag Erdogans versucht aufs Neue, diese Interessen in den Kontext einer Lösung des Flüchtlingsproblems einzuspannen. Bei einer Rede am Freitagabend in Istanbul schlug der türkische Präsident dazu die Schaffung einer neuen Stadt im Norden Syriens vor.

Auf 4.500 km2 sollte sich das "urbane Zentrum", das Flüchtlinge aufnehmen soll, ausdehnen. Wo im Norden Syriens die Stadt genau errichtet werden soll, darüber machte der türkische Präsident keine Angaben. Allerdings habe er mit dem US-Präsidenten Obama bereits über Koordinaten gesprochen - ohne allerdings ein "fruchtbares Ergebnis" zu erzielen. Der US-Präsident weiß um das politisch Utopische dieses Vorhabens angesichts der russischen Einwände.

Das wissen auch die EU-Verhandlungspartner. Aber sie stehen der Türkei gegenüber in einer anderen Abhängigkeit als die USA. Die Grenzpolitik wie auch die Syrienpolitik der Türkei wirkt sich auf den Exodus der Flüchtlinge aus, die nach Europa wollen. Dass die deutsche Kanzlerin Merkel bereits den Plan Erdogans zur Errichtung einer Schutzzone unterstützt hat, ist ein Hinweis auf das Drängen des türkischen Präsidenten und darauf, dass sich die deutsche Regierung schwer damit tut, sich ganz deutlich und rigide von Erdogans Syrienpolitik abzugrenzen.

Erdogan wird sein Interesse daran, ein direktes Einflussfeld auf syrischem Terrain zu haben, aller Wahrscheinlichkeit nach immer wieder mit neuen Vorschlägen unterbreiten. Selbst wenn man Nachrichten darüber, wie Flüchtlingsaufnahmelager als Basis für militärische Operationen genutzt werden, misstraut, weil sie aus parteiischen Quellen des syrischen Bürgerkriegs kommen, so ist die militärisch-strategische Nutzung von nordsyrischen Flüchtlingsschutzzonen durch die Türkei sehr wahrscheinlich.

Ein Blick auf die militärischen Vorgänge im Südosten der Türkei genügt, um der türkischen Führung hier nicht allzu viele Skrupel zu unterstellen. Für die EU bedeutet das, dass sie durch den Deal mit der Türkei weiter in den syrischen Schlamassel gezogen wird. Auch wenn es, wie spekuliert wird, gar nicht mehr so sehr um gesamteuropäische Verteilungspläne geht, sondern vor allem darum, dass die Türkei mehr Flüchtlinge zurücknimmt.