Die nationalistisch Verbohrten und die völkisch Verblödeten

Wenn Politiker und Bürger dumpfen Vorurteilen nachlaufen

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Viele Europäer, möglicherweise sogar Mehrheiten, sind heute überzeugt, dass die große Zahl der Flüchtlinge aus dem Nahen Osten eine Belastung darstellt. Deshalb ist es hilfreich, sich die Größenordnungen vor Augen zu führen.

In der gesamten Europäischen Union (EU) leben rund 500 Millionen Menschen, in ganz Europa sogar 800 Millionen. Und dieser vergleichsweise auch noch ziemlich reiche Kontinent soll schier zerplatzen, wenn eine oder gar zwei Millionen Flüchtlinge hinzukommen? Meint das jemand ernst?

Es kommt hinzu: Europas Bevölkerung schrumpft seit Jahrzehnten und wird das weiter tun. Der demografische Wandel ist unaufhaltsam. Europa braucht dringend junge Leute. Einige Völker Europas werden in wenigen Generationen fast ausgestorben sein, wenn sie nichts dagegen unternehmen.

Bevölkerungsabnahme bis 2050 in 11 europäischen Ländern nach UN World Population Prospects

Am dramatischsten ist das in Osteuropa, wo man sich am fanatischsten gegen jede Zuwanderung sträubt, obwohl man sie am dringendsten braucht: in Ungarn, Polen, Rumänien, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Slowenien, Tschechien. Was die Politiker da, auf einer Welle dumpfer völkischer Verbohrtheit schwimmend, treiben, ist im Angesicht der demografischen Realität geradezu kriminell - ein Verbrechen an den eigenen Völkern. Und was die Bevölkerungen da tragen, ist eine Art kollektiver Selbstmord aus dumpfer Verbohrtheit.

Die Bevölkerung schrumpft, vergreist und verarmt - besonders in Osteuropa

Europa schrumpft nicht nur, es vergreist und verarmt seit Jahrzehnten. Immer weniger Erwerbstätige müssen in Zukunft immer mehr Rentner versorgen. In gerade mal einer Generation wird fast ein Drittel aller Europäer 65 Jahre oder älter sein. Heute liegt der Anteil noch bei "nur" rund 17 Prozent. Aber wenn die ersten Jahrgänge der Babyboomer-Generation ab 2020 dazukommen, wird er explosionsartig steigen.

Der Anteil der über 79-Jährigen wird sich in diesem Zeitraum sogar fast vervierfachen. Sinken wird demgegenüber der Anteil der EU-Bürger im Erwerbsalter von 20 bis 64 Jahren. 2060 wird nur noch jeder zweite Europäer zu dieser produktiven Altersgruppe zählen. Besonders deutlich wird der Anteil der unter 20-Jährigen zurückgehen: auf unter 19 Prozent im Jahr 2060 - von noch knapp 27 Prozent im Jahr 1990.

Die zehn am bedrohlichsten schrumpfenden Nationen der Welt liegen ausnahmslos in Ost- und Südosteuropa. Bis 2050 wird allein Polens Bevölkerung um 5,7 Millionen Menschen zurückgegangen sein, die Rumäniens um 4,3 Millionen und die Bulgariens um 2,8 Millionen.

Da sagt sich mancher Einfaltspinsel: Na, und? Ein paar weniger. Das macht auch nix. Ein paar Fresser weniger. Und wenn das eine durch und durch proportionale Schrumpfung wäre, könnten die Länder das vielleicht auch verkraften. Aber das ist lebensfremd; denn vor allem der Anteil der Menschen im arbeitsfähigen Alter schrumpft rapide, die Zahl der Menschen im Rentenalter dagegen wird wachsen.

Die Bevölkerung vergreist und verarmt zunehmend. Der Prozess ist schon seit Jahrzehnten in vollem Gange. Wenn die Bevölkerung innerhalb von 35 Jahren um ein Drittel zurückgeht, wie in Kroatien, dem am schnellsten schrumpfenden EU-Land, dann verfällt auch der bescheidene Wohlstand seiner Einwohner, und es besteht die Gefahr, dass die Kroaten dauerhaft am Tropf der EU hängen werden.

Der am schnellsten alternde Kontinent der Erde hat die einmalige Chance, langfristig sein demografisches Schicksal ein wenig zum Besseren zu wenden, indem er Flüchtlinge aufnimmt. Es wäre angesichts der immensen Schrumpfung auch nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, aber wenigstens ein Tropfen. Die Staaten in Osteuropa könnten dies nutzen, nicht einmal aus Menschlichkeit oder Solidarität, sondern im eigenen Interesse. Doch dem steht die eigene dumpfe Verbohrtheit machtvoll entgegen.

Denn wenn die Staaten Osteuropas in den kommenden Jahrzehnten demografisch veröden, werden sie unweigerlich auf viele EU-Fördermilliarden angewiesen sein. Eine gemeinsame Einwanderungspolitik wäre eine ökonomisch und politisch vernünftige Lösung. Man muss sich das genau vor Augen führen: Durch ihre völkische Verbohrtheit organisieren die Osteuropäer ihre eigene Auszehrung und werden deshalb EU-Milliarden brauchen, um ihr selbstverschuldetes Elend zu bekämpfen.