Brüssel tagt - Griechenland denkt über Evakuierung der Flüchtlinge nach

Bild: W. Aswestopoulos

Die "Balkanroute" wird geschlossen, die Flüchtlinge stauen sich in Griechenland und die Türkei will Geld

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Pünktlich zum Tag des EU-Flüchtlingsgipfels hat die NATO im Militär ihre Operationen zur Eindämmung der Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge offiziell aufgenommen. Während in Brüssel die Politik über eine weitere Einschränkung der Rechte von Flüchtlingen diskutiert und aller Voraussicht nach bis spät in die Nacht debattiert wird, sitzen in Eidomeni an der geschlossenen Grenze Griechenlands zur EJR Mazedonien knapp 14.000 Menschen buchstäblich im Regen.

Bei winterlichen Temperaturen im gebirgigen griechischen Norden finden viele nur in den relativ kleinen, chemischen Toiletten der provisorischen Flüchtlingscamps Obdach. Im alltäglichen, morgendlichen Briefing wies Vize-Verteidigungsminister Dimitris Vitsas darauf hin, dass die Regierung über eine Evakuierung des Camps an der Grenze nachdenkt - und dies als notwendige Aktion betrachtet.

Wie diese Evakuierung aussehen wird, und wohin die Flüchtlinge dann gebracht werden, darüber streiten sich in Griechenland die Geister. Geschlossene, gefängnisartige Lager sind nicht ausgeschlossen. Darüber hinaus ist es fraglich, wie eine Evakuierung in so großem Maßstab gegen den Widerstand der Flüchtlinge durchgeführt werden kann. Aktuell wird jedoch wegen hoffnungsloser Überfüllung des eigentlichen Camps um und im Bahnhof von Eidomeni ein weiteres eingerichtet. Ähnlich wie über Eidomeni denkt Vitsas auch über eine Evakuierung der Flüchtlinge aus dem Hafen von Piräus nach.

Der zu den Hardlinern der Regierung gehörende Bürgerschutzminister Nikos Toskas, wie Vitsas Mitglied der Koordinationsgruppe der Regierung für Flüchtlinge, bezweifelt dagegen, dass sich die Flüchtlinge auf ihrem Weg in den Westen aufhalten lassen. Damit stellt er Grenzschließungen und geschlossene Lager hinsichtlich ihrer Wirksamkeit in Frage.

Der Treck wird gestoppt

Die Ereignisse überschlagen sich. Das Gipfeltreffen der EU-Staatschefs diskutiert, so beweist ein mittlerweile in der Form, aber nicht im Ergebnis verworfener Entwurf eines gemeinsamen Beschlusses, die Schließung der so genannten "Balkanroute". Bereits jetzt wurde der internationale Zugverkehr von Griechenland über die EJR Mazedonien nach Norden bis auf weiteres eingestellt.

In Griechenland werden eiligst 15 neue Hotspots für 17.500 Personen geschaffen. Mehr als 33.000 Menschen leben mit Stand vom Sonntag, den 6. März, in Griechenland auf den Straßen oder in provisorischen Camps. Dabei gibt es auch bei dieser Zahlenangabe einen Disput, weil das Rote Kreuz von mehr als 50.000 Menschen berichtet.

Über das tägliche Briefing der ministeriellen Koordinationsgruppe für das Flüchtlingsproblem wurde am Montag die Zahl der auf dem Festland lebenden Flüchtlinge und nicht in Griechenland sesshaften Immigranten mit 36.419 angegeben. Bis 7:30 h des Montags wurden 2.293 Neuankömmlinge innerhalb von 24 Stunden verzeichnet. Der gleiche Bericht des Briefings vermerkt, dass die Kapazität der Anlagen bei 23.450 - 28.450 Schlafplätzen liegt.

Stand der Datenerhebung ist Montag, 7. März 2016, 9 h. Quelle: Briefing der Regierung

Angesichts der dramatischen Ereignisse um die Flüchtlinge rückt die Sitzung der Eurogruppe, bei der über weitere Sparmaßnahmen als Vorbedingung für die weitere Finanzierung des Landes und die Rückkehr der Kreditgeber-Quadriga nach Athen verhandelt wird, in den Hintergrund.

Stattdessen wird in Brüssel über Geldtransfers in die Türkei diskutiert. Die Türkei fordert zusätzlich zu den ihr bereits im Oktober zugesprochenen, aber noch nicht ausbezahlten 3 Milliarden Euro weitere drei Milliarden Euro jährlich. Im Gegenzug erklärt sie sich bereit, irregulär nach Griechenland über die Ägäis eingereiste Migranten wieder zurückzunehmen. Das Geld soll direkt an den türkischen Staat und nicht wie im Fall der finanziellen Unterstützung für die in Griechenland festsitzenden Flüchtlinge an Hilfsorganisationen überwiesen werden.

Aus Brüssel sickerte durch, dass es seitens der Türkei eine Art Preisliste für die Kosten pro Kopf und in Bezug auf das Herkunftsland der Flüchtlinge gibt. Wenn bei der Rückführung in die Türkei ein Syrer aus Griechenland in die Türkei zurückkommt, soll dafür ein Syrer aus der Türkei in die EU ausreisen.

Zusätzlich verlangt die Türkei Visafreiheit für ihre Bürger und eine rasche Aufnahme der Türkei in die EU. Gegen Letzteres gibt es starken Widerstand aus Griechenland und Zypern. Bei den finanziellen Forderungen der Türkei zeigen sich nahezu alle EU-Staaten skeptisch. Gegen die automatische Einreise von Syrern und deren Umverteilung auf alle EU-Staaten wehren sich die EU-Mitglieder des so genannten Visegrad-Bündnisses der West-Balkanstaaten. Im Rahmen des aktuellen Umverteilungsprogramms sind bisher nur 766 Flüchtlinge aus Griechenland auf offiziellem Weg in die übrigen EU Staaten gelangt.

Bild: W. Aswestopoulos

Die Vorboten der Grenzschließung

Die Verschlechterung der Lage für Flüchtlinge und Migranten in Griechenland zeichnete sich bereits am Wochenende ab. Für die auf dem Athener Victoria campierenden Immigranten und Flüchtlinge gab es mitten in der Nacht von Samstag auf Sonntag ein böses Erwachen. Bis 5 Uhr morgens war der Platz, der bis dahin von mehreren hundert Menschen bewohnt war, geräumt. Die Beamten versuchten zunächst mit Übersetzern, den Flüchtlingen die ersehnte Reise gen Norden, an die Grenze bei Eidomeni, zu versprechen. Tatsächlich jedoch wurden Menschen in Lager verbracht. In den Tagen vorher hatten die Geschäftsleute und Wirte um den Viktoria Platz als Zeichen eines stillen Protestes riesige "Geschäft zu verkaufen"-Plakate an ihren Schaufenstern angebracht.

Doch auch an der Grenze wurde die totale Schließung faktisch bereits am Wochenende angewandt. Auch unter den wenigen Syrern und Irakern, die noch durchgelassen wurden, gab es Selektionen durch die Grenzbeamten der EJR Mazedonien. Wer aus Damaskus oder Bagdad stammte, wurde zurück nach Griechenland geschickt. Schließlich, so das Argument, seien die Hauptstädte der vom Bürgerkrieg erschütterten Länder sicher.

Das Flüchtlinge oder Immigranten, die über Schleichwege an den Grenzzäunen vorbei in die EJR Mazedonien kommen, sind dagegen alles andere als sicher. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen berichtet über Misshandlungen seitens der dortigen Grenzer und Polizisten. Im Krankenhaus der nordgriechischen Stadt Kilkis finden sich zudem nach ihren Angaben von Polizeihunden gebissene Flüchtlinge ein, die von den Grenzern nach erfolgter Misshandlung wieder nach Griechenland gebracht wurden.